Für so manche Menschen zählt der Ekelfaktor nicht. Für sie ist das Essen von Insekten eine umweltbewusste Wahl.
Der UN-Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation zufolge erfordert die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch 22.000 Liter Wasser, inklusive dem Wasser, das zum Anbau von Futter verwendet wird. Rinder brauchen zudem viel Weidefläche.
Mit dem Wachstum der Weltbevölkerung nimmt auch die Nachfrage nach Rindfleisch und anderem Fleisch rapide zu. Doch Viehzucht belastet die Umwelt.
Mit einem Proteingehalt von bis zu 25 Prozent sind Grillen mit Rindfleisch vergleichbar und viel umweltfreundlicher, denn sie brauchen nur wenig Wasser, Nahrung und Raum. Weitere essbare Insekten sind Heuschrecken, Termiten, Mehlwürmer, Maden und verschiedene Arten von Raupen und Käfern.
Eine rasche Checkliste zugunsten der Züchtung von Insekten, die manchmal auch als „Micro-livestock“ bzw. „Mikrovieh“ bezeichnet werden, sieht folgendermaßen aus: Insekten sind reich an Vitaminen und Mineralien, können sich von Bioabfällen ernähren, erzeugen deutlich weniger Treibhausgase, kommen mit wenig Wasser und Raum aus und haben einen schnelleren Züchtungs- und Wachstumszyklus.
Alles bloß im Kopf
Wir besuchen in Tampere eine Insektendegustation, die sich „Bugs love beer“ (Insekten mögen Bier) nennt. An diesem Tag überzeugen die leckeren Gerichte die Besucher: Die Kirschtomaten mit indischem Harissa, Mehlwürmern und Sprossen sind köstlich, ebenso wie die Insekten-Frikadellen aus Linsen, Karotten, Zwiebeln und Grillenmehl. Die Gäste spülen das Mikrovieh mit Mikrobrauereibier herunter.
„Bei diesen Veranstaltungen beantworte den Gästen stets ihre Fragen und erkläre ihnen die ökologischen und ökonomischen Vorteile“, sagt Chefkoch Topi Kairenius. „Und dann können sie natürlich selbst probieren, wie köstlich diese Gerichte sein können.“
In Finnland bekannt für seine Insektenküche fördert er aktiv die sogenannte Entomophagie in den Medien und bei gut besuchten Verkostungsevents. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Einstellung zum Essen von Insekten zu verändern.
Das Essen von Insekten bzw. die Entomophagie (entomo ist das griechische Wort für Insekt) wird seit Jahrtausenden in vielen Teilen der Welt praktiziert.
Die finnische Firma Entocube, die dasselbe Stammwort im Namen führt, züchtet Grillen im Großraum Helsinki, verkauft auf Grillen aufbauende kulinarische Produkte und liefert überdies angehenden Grillenfarmern Zuchtanlagen (eigentlich sehen sie wie Schränke aus). Nach CEO Perttu Karjalainen berichtet die finnische Presse rege über diese neue Branche.
„Medien und Prominente wie die Madventures-Jungs (tollkühne finnische TV-Stars) spielen eine wichtige Rolle, wenn sie Insekten als interessant und lecker präsentieren“, sagt er. „Insekten zu essen, ist trendy geworden, und dieser Trend wird wahrscheinlich zunehmen, da die Finnen immer umweltbewusster werden.“
Internationale Insektenwirtschaft
Eine 2016 von der Universität Turku durchgeführte Online-Umfrage bat Finnen um ihre Meinung zum Essen von Insekten. Siebzig Prozent der Teilnehmer zeigten Interesse an Insektengerichten. In vielen anderen europäischen Ländern fielen die Ergebnisse im Vergleich dazu niedriger aus. Weniger als 40 Prozent der Schweden sprachen sich dafür aus und in Deutschland gar nur 25 Prozent.
Die Universität nahm an einem zweijährigen Projekt mit dem Titel „Insekten in der Nahrungskette“ teil und untersuchte verschiedene Aspekte der Entomophagie in Finnland.
Jaakko Korpela, ein Projektleiter des Functional-Foods-Forums (des Forums für funktionelle Lebensmittel) der Universität, erläutert: „Ziel ist es, durch die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschern neues Know-how zu fördern und Finnland an die Spitze eines neuen internationalen Insektenwirtschaftsfeldes zu avancieren.“ So bildet Insekten als Tierfutter für Fische oder Hühner eines der Diskursthemen.
Santtu Vekkeli gründete 2014 die Nordic Insect Economy, um die Insekten-Lebensmittelsicherheit, die Verarbeitung und die weitläufigere Insektenwirtschaft, einschließlich ethischer, ökologischer und sozialer Aspekte, zu begünstigen. „Wir befassen uns mit unseren eigenen Pilotfarmen in Europa, den USA und Asien“, sagt er, „sowie mit weiteren Großproduktionsanlagen in allen Klimazonen.“ Die Firmenwebsite beschreibt ihn als „ersten Unternehmer für Insektennahrung in Finnland“. Er erfindet auch den größten Teil der Ausrüstung und Maschinen, die für das Unternehmen, das sich in der südostfinnischen Stadt Kouvola befindet, benötigt werden.
Insekten à la carte
Wir sind uns nicht sicher, welcher Begriff appetitlicher ist, „Entomophagie“ oder „Insekten-Essen“. Auf jeden Fall sind essbare Insekten in Finnland und in der EU an einem Wendepunkt angelangt.
„Die bisherige Novel Food-Verordnung wird von einer neuen Verordnung abgelöst werden. Ihre vollständige Umsetzung tritt ab dem 1. Januar 2018 in allen EU-Mitgliedsstaaten einschließlich Finnland in Kraft“, sagt Leena Mannonen von der Abteilung für Ernährung und Gesundheit des finnischen Land- und Forstwirtschaftsministeriums. „Die neue Regelung erfasst auch eindeutig alle Insektenprodukte.“
Ein unklarer Text in der alten Verordnung hatte einer Handvoll EU-Ländern, darunter Dänemark, Spielraum für ihre eigenen Interpretationen gelassen, und damit hatten sie schon vor einigen Jahren Insektenprodukte vermarkten können. Finnland schloss sich ihnen an, als das Ministerium im September 2017 plötzlich verlautbarte, dass es die Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln aus Insekten erlauben werde, was auch bedeutete, dass die Produkte den Vorschriften und Anforderungen der Lebensmittelsicherheit unterliegen.
Einige bedeutende finnische Lebensmittelproduzenten wie Schokoladen- und Backwarenhersteller Fazer haben bereits ihr Interesse an der Insektenwirtschaft bekundet. So kann Mehl aus gemahlenen Insekten auf verschiedenste Weise verwendet werden, in Brot, Keksen, Frikadellen und Pizzas, um nur einige Beispiele zu nennen, denn diese sprechen die Verbraucher besser an.
Insektenrezepte von Insektenkoch Topi Kairenius
Schokoladenüberzogene Heuschreckengetrocknete Heuschrecken 1.Schmelzen Sie die Schokolade in einem Kochtopf oder Fonduetopf. Bei der Verwendung eines Kochtopfes vor dem Hinzufügen der Schokolade zuerst zwei Deziliter Flüssigkeit wie etwa Sahne erhitzen. Grillencracker1,5 dl Grillenmehl 1.Mischen Sie die trockenen Zutaten (außer den Samen) gründlich zusammen. Wasser und Öl dazu geben. Insektenfrikadellen100 g Kidneybohnen 1. Paniermehl, Grillenmehl, Salz und Gewürze mischen. |
Von Hernan Patiño, Oktober 2017