Finnischer Film aus Ostafrika heimst internationales Lob ein

Der somalisch-finnische Filmregisseur Khadar Ayderus Ahmed erzählt von einer Filmidee, die an ihm nagte und ihn einfach nicht in Ruhe ließ, mit all ihren daraus resultierenden Martern und Triumphen.

Guleds Freund möchte ihm von seinem Problem erzählen: Soll er eine Ziege oder eine Kuh kaufen? Das Dilemma hält ihn nachts wach und er braucht Rat. Guled zuckt mit den Schultern, will meinen: Das nennst du ein Problem? Ich kann dir gerne von Problemen berichten.

Guled legt los: Seine Frau sei schwer krank und brauche eine teure Operation, um zu überleben, sein kleiner Sohn respektiere ihn nicht, seine Verwandten hassen ihn, und er pirsche mit 45 Jahren wie ein kreisender Bussard, mit einer Schaufel über der Schulter, um Dschibutis Krankenhäuser, um Leichen zu jagen und damit wenigstens ein wenig Geld zu verdienen.

Aus diesem ​​Elend entspringt die ergreifende Liebesgeschichte, „The Gravedigger’s Wife“ (Die Frau des Totengräbers), deren Drehbuchautor und Regisseur der somalisch- finnische Filmemacher Khadar Ayderus Ahmed ist. Nach seiner Premierenfeier in der Semaine internationale de la critique bei den Filmfestspielen von Cannes 2021 gewann der Film auch beim Toronto International Film Festival den Amplify Voices Award. Beim Pan-African Film and Television Festival von Ouagadougou erhielt er Afrikas renommiertesten Filmpreis, den Golden Stallion. Außerdem wurde er als erster Beitrag Somalias für die Oscar-Verleihung in der Kategorie Bester internationaler Film eingereicht.

Der Welt eine Geschichte vermitteln

Ein Mann und eine Frau starren sich lächelnd in die Augen, während andere zuschauen.

Guled (Omar Abdi, links) und Nasra sind ein liebevolles Paar mit einem Sinn für Humor.
Foto: Lasse Lecklin/Bufo

Ahmed entkam als Kind dem somalischen Bürgerkrieg und gelangte dann im Alter von 16 Jahren als Flüchtling samt seiner Familie nach Finnland. Er entwickelte Guleds Geschichte aus einer persönlichen Tragödie heraus, denn nach dem Tod seines kleinen Neffen vor zehn Jahren, sagt Ahmed, habe er das Bild von Krankenwagen jagenden Totengräbern nicht mehr aus dem Kopf bekommen.

„Es ließ mich nicht in Ruhe, bis ich mich hinsetzte und über sein Leben schrieb“, erklärt Ahmed. „Ich hatte nur das Bild eines Totengräbers vor Augen, sonst nichts. Ich musste alles um diesen Totengräber herum konstruieren. Es war, als ob er zu mir gekommen wäre, um mir seine Geschichte zu erzählen und mich gebeten hätte, diese Geschichte dem Rest der Welt zu vermitteln.“

Beschwerlicher Weg

Eine Frau legt ihre Arme um die Schultern eines Mannes.

Nasra und Guled sprechen über ihre Situation.
Foto: Lasse Lecklin/Bufo

Die Erzählung dreht sich um Guled (Omar Abdi) und Nasra (Yasmin Warsame), ein liebevolles, neckisches Paar, das sich zum Spaß uneingeladen auf Hochzeiten herumtreibt. Nasra hat jedoch ein Nierenleiden, das sie umbringen wird, es sei denn, Guled kann 5.000 US-Dollar für die Operation aufbringen. Seine Zwangslage führt ihn auf einen beschwerlichen Weg, und zwar zu Fuß in das kleine Dorf, das er als junger Mann unter befremdlichen Umständen verlassen hatte.

„In der westlichen Kultur kümmert sich das Gesundheitssystem um seine Bürger“, sagt Ahmed. „Aber in Afrika gibt es dieses Privileg nicht. Man muss alles aus eigener Tasche zahlen. Ich wollte unbedingt das afrikanische Gesundheitssystem mittels einer Liebesgeschichte beleuchten.“

Erfüllte Ambitionen

Ein Junge umarmt einen anderen Jungen auf einer Schotterstraße.

Guleds Sohn Mahad (Kadar Abdoul-Aziz Ibrahim, links) lebt auf der Straße.
Foto: Lasse Lecklin/Bufo

Ahmed, der heute in Paris lebt, ist mit Bollywood- und Hollywood-Produktionen aufgewachsen. Sein Streben war die Filmindustrie, und er wollte deshalb eine Filmschule besuchen. „Aber ich war nicht privilegiert genug, um dort aufgenommen zu werden“, sagt er. „Ich beschloss, niemanden meine Zukunft definieren (und vorzuschreiben) zu lassen, was ich tun darf und was nicht.“

Er brachte sich sein Können selbst bei. Er drehte mehrere Kurzfilme in Helsinki, ein Weg, der ihn zum „The Gravedigger’s Wife“, seinem ersten Spielfilm, führte. Budgetbeschränkungen erlaubten ihm bloß drei Wochen Dreharbeiten, die von intensiver afrikanischer Hitze und einem Ausbruch von Durchfall heimgesucht wurden, der die gesamte Crew plagte. Die Dreharbeiten wurden kurz vor der Inkraftsetzung von Corona-Beschränkungen abgeschlossen, wodurch das Cannes-Debüt des Films um ein Jahr verschoben werden musste.

Keiner der von Ahmed besetzten Schauspieler war ein Profi. Abdi ist Ahmeds langjähriger Freund und Warsame ist in Kanada für ihre Arbeit als Model bekannt, hat aber nie in der Filmindustrie gearbeitet. Kadar Abdoul-Aziz Ibrahim, der den Jungen Mahad, den Sohn des Paares, spielt, fand er zwei Wochen vor Beginn der Dreharbeiten und erlaubte ihm, die meisten seiner Zeilen zu improvisieren.

Die Zukunft des Kinos in Finnland

Schauen Sie sich den Trailer zu „The Gravedigger’s Wife“ an.

„Der Regisseur muss genug Selbstvertrauen haben, damit er genau weiß, was er will und wie er das aus der Besetzung herausholen kann, wenn man es mit Laiendarstellern zu tun hat, die keine Erfahrung besitzen“, meint Ahmed. „Ich glaube, dass es mir wirklich gelungen ist, Leute von der Straße um mich zu scharen und in 21 Tagen das Beste aus ihnen herauszuholen.“

Zusammen mit dem Film „Abteil Nr. 6“ des finnischen Regisseurs Juho Kuosmanen, der sich den Großen Preis von Cannes teilte und überdies bei den Oscars 2022 als Kandidat für den besten ausländischen Film antritt, trägt auch Ahmed zur Profilierung der finnischen Filmindustrie bei. Seit Aki Kaurismäki, der Filme in den USA, Frankreich und England gedreht hat, hat es keine finnischen Regisseure mehr gegeben, die so ​​prominent auf der internationalen Bühne waren.

„Das sagt viel über die Richtung aus, in die das finnische Kino geht“, sagt Ahmed, der mit Kuosmanen an der Postproduktion für eine finnische Fernsehsendung arbeitet. „Jetzt ist eine neue Generation am Ruder, die die finnische Filmszene auf ein internationales Niveau hebt. Juhos Film läuft auf Russisch und wurde außerhalb Finnlands gedreht. Mein Film wurde in Somalia auf Somalisch gedreht. Aber beides sind finnische Produktionen. Das besagt, dass die Zukunft des Kinos in Finnland internationaler sein wird.“

Von Michael Hunt, Dezember 2021