Zum Zeitpunkt unseres Interviews war Perttu Pölönen gerade vom Eurasischen Medienforum in Kasachstan zurückgekehrt, wo er an einer Podiumsdiskussion über die Zukunft des Arbeits- und Bildungsmarkts teilgenommen hatte. Alljährlich hält er Hunderte von Vorträgen im In- und Ausland.
„Morgen reise ich nach Österreich und halte beim dortigen EuroSkills-Wettbewerb eine Keynote über Fähigkeiten der Zukunft“, sagt er. „Das freut mich sehr, denn ich glaube an Zusammenarbeit und Networking.“
Technologie ermöglicht globale Vernetzung, verändert aber auch den Blick auf unsere eigenen Fähigkeiten und die Bildung unserer Kinder. Visionäre wie Pölönen können dazu beitragen, uns die technologiebasierte Arbeitswelt der Zukunft zu erklären.
Fähigkeiten wichtiger als Berufsbezeichnungen
Pölönen ruft dazu auf, unsere berufliche Identität auf die Fähigkeiten zu stützen, die wir einbringen können, statt auf einen bestimmten Beruf mit einer konkreten Bezeichnung.
„Statt anderen deinen Beruf zu nennen, sag ihnen lieber, welche Fähigkeiten du in das große Ganze einbringen kannst“, schlägt er vor. „Beschreibe deine Identität: Wer bist du? Lehrer? Mediator? Aktivist? Problemlöser? Oder vielleicht ein Mensch, der andere zusammenbringen oder besonders gut mit anderen zusammenarbeiten kann? Überleg dir, welche Bedürfnisse bestehen und welchen emotionalen Mehrwert du für das große Ganze zu bieten hast. Auf diese Weise beschränkst du dich nicht auf einen bestimmten Beruf, sondern beginnst, in unserer Welt des stetigen, raschen Wandels eine Vielzahl beruflicher Entfaltungsmöglichkeiten zu sehen. So gesehen sind Fähigkeiten weit wichtiger als Berufsbezeichnungen.“
Für jemanden, der erst Ende 20 ist, hat er bereits eine bemerkenswerte Karriere aufgebaut. Wie würde er seine Fähigkeiten beschreiben?
„Ich sehe mich als einen Menschen, der Farbe und Würze ins Spiel bringt und das Thema, um das es geht, verdeutlichen kann. Ich suche nach Informationen und achte auf Ideen, die ich gemeinsam mit anderen weiterentwickeln kann. Ich kann auf Zusammenhänge hinweisen. Und ich hoffe, anderen helfen zu können, indem ich nach meinen Wertvorstellungen handle.“
Die Arbeitswelt der nahen Zukunft
Wenn wir unseren derzeitigen Weg weiter beschreiten, wird sich die Arbeitswelt zunehmend polarisieren.
„In Zukunft wird es mehr Niedrig- und Hochlohnsektoren geben als heute“, so Pölönen. „Der Arbeitsmarkt wird globaler werden. Es wird mehr Mikrounternehmer geben und ein Mensch wird mehrere Arbeitsidentitäten annehmen müssen. Ich bin überzeugt, dass künftig jeder mehr Verantwortung für sein Arbeitsleben übernehmen und in der Lage sein muss, seine Fähigkeiten überzeugend zu präsentieren.“
Und die Bezahlung? Wird diese nicht auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen?
„Auf jeden Fall. Aber durch das Wachstum des allgemeinen Wohlstands und die dringende Notwendigkeit, nachhaltige Lebensstile zu entwickeln, wird sich die Bedeutung von Geld in Wohlfahrtsstaaten verringern“, meint Pölönen. „Kontinuierliches Wachstum verliert an Bedeutung, wenn es keine wirklichen Bedürfnisse mehr erfüllt. Ich glaube, die Menschen werden den Wert der Freizeit immer deutlicher erkennen.“
Der menschliche Faktor im Digitalzeitalter
In diesem TEDx-Talk-Video stellt Perttu Pölönen die Frage: „Was kann ich von dir bekommen, was ich nicht von Google bekommen kann?“Video: TEDx Talks
Technologie wird die Arbeitswelt der Zukunft stark beeinflussen.
„Das Internet wird zur Chancengleichheit beitragen, wenn die gesamte Welt erst einmal Zugang dazu hat, aber so weit sind wir noch lange nicht“, sagt Pölönen. „Wir müssen unbedingt vielseitige Teams für die Entwicklung der Technologie zusammenstellen, damit diese allen zur Verfügung steht und den Bedürfnissen aller gerecht wird. Die technologische Entwicklung ist zu wichtig, als dass man sie einer kleinen und homogenen Gruppe von Ingenieuren überlassen dürfte.“
Zwar verändern künstliche Intelligenz und Robotik bereits heute unseren Blick auf die Arbeitswelt, aber dennoch gibt es nach wie vor eine Reihe von Kernkompetenzen, wie nur Menschen sie besitzen.
„Als Gegengewicht zur digitalen Entwicklung darf man das Menschliche nicht vergessen. Im Gegenteil: In Zukunft wird man die besonderen Fähigkeiten des Menschen noch höher schätzen als heute.“
Inmitten der dritten industriellen Revolution ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, was der Mensch in die Arbeitswelt einbringen kann.
„Lassen sich menschliche Lehrkräfte durch KI ersetzen?“, fragt sich Pölönen. „Technologie kann Lehrkräften helfen zu erkennen, womit sich die Kinder schwertun und was sie bereits verstanden haben. Andererseits kann ein Mensch in einer Weise auf die Bedürfnisse eines Kindes eingehen, wie es bei einem Roboter niemals möglich wäre. Ein Mensch kann die Körpersprache eines Kindes lesen und Emotionen wie Interesse und Fürsorge zeigen. Ein Mensch kann erkennen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um ein bestimmtes Wissen zu vermitteln. Menschen zeichnen sich durch Sensibilität und emotionale Intelligenz aus, die der Technologie fehlen.“
Die hohe Bedeutung von Bildung
In Zukunft lassen sich die wertvollsten Fähigkeiten eines Bewerbers vielleicht gar nicht an seinen Qualifikationen erkennen.
„Wie kann man zeigen, dass man gut darin ist, kreative Problemlösungen zu finden, oder dass man einen tollen Sinn für Humor hat?“, gibt Pölönen zu bedenken. „Diese menschlichen Qualitäten sind schwer zu messen, aber es sind Eigenschaften, die nur der Mensch in die Arbeitswelt einbringen kann.“
Er selbst studierte Komposition an der renommierten Sibelius-Musikakademie in Helsinki, wurde sich aber nach dem Abschluss darüber klar, dass er auch viele andere Interessen verfolgen wollte. Daher ging er ins Silicon Valley, um sich dort bei der Singularity Education Group mit Zukunftstechnologien auseinanderzusetzen. Von dort ging er nach Myanmar und gründete ein EdTech-Unternehmen.
„Bildung bleibt ein sehr wichtiges Thema, aber das Hauptaugenmerk muss den Fähigkeiten gelten, nicht irgendwelchen Diplomen“, sagt er. „Im Studium erwirbt man Fähigkeiten, die man in vielen Berufen einsetzen kann: Projektmanagement, Kommunikation oder kritisches Denken. Ich bin ein überzeugter Verfechter interdisziplinärer Teams, denn die Probleme, die wir heute zu lösen haben, sind äußerst komplex. Wir können es uns nicht leisten, sie aus nur einem Blickwinkel zu betrachten.“
Statt Abschlüssen zu viel Bedeutung beizumessen, betont Pölönen den Wert ständigen, lebenslangen Lernens.
„Das Internet ist voll von Lerninhalten, die leicht zugänglich und oft sogar kostenlos sind und die ständig aktualisiert werden.“
Derzeit braucht die Welt Menschen mit der Fähigkeit, sich die Zukunft vorzustellen.
„Die Futurologie hilft uns dabei, Entscheidungen bewusst zu treffen und den Weg, den wir einschlagen, bewusst zu überdenken. Sie hilft uns, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, denn durch unser konkretes Handeln gestalten wir die Zukunft. Statt so schnell wie möglich vorzugehen, müssen wir überlegen, was für die Zukunft relevant ist.“
Der Erfinder von MusiClock
Perttu Pölönen (geboren 1995) ist Futurologe, Erfinder und Autor. Er hat sich bei der Singularity Education Group im Silicon Valley mit Zukunftstechnologien beschäftigt und ist Mitbegründer eines EdTech-Unternehmens in Myanmar. Außerdem hat er den größten Jugend-Wissenschaftswettbewerb der EU gewonnen. 2018 nahm das Magazin MIT Technology Review ihn in seine Liste der 35 Innovatoren unter 35 in Europa auf.
Pölönen ist der Erfinder der MusiClock, auf Finnisch „Sävelkello“, einer Anwendung zum Erlernen von Tonleitern, Akkorden und Intervallen. Er hat seine Erfindung in ein Produkt umgesetzt und seine Anwendung wird mittlerweile auf der ganzen Welt genutzt.
Bücher von Perttu Pölönen: Future skills (im finnischen Original: Tulevaisuuden lukujärjestys), Viva Editions. Tulevaisuuden identiteetit (Künftige Identitäten, nur auf Finnisch erhältlich), Otava.
By Päivi Brink and Susanna Bell, ThisisFINLAND Magazine 2022