Finnische Autorin Linda Liukas lehrt Kids die Poesie des Kodierens

Finnlands Edutech-Guru Linda Liukas hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kindern Technologie nahe zu bringen.

Sie ist die Ada Lovelace des 21. Jahrhunderts, die die Poesie des Programmierens auf märchenhafte Art vermittelt.

Der rote Pferdeschwanz, die Sommersprossen und das entwaffnende Lachen der 31-Jährigen lassen sofort darauf schließen, warum sie als „geekige Pippi Langstrumpf“ beschrieben wird. Sie ist ebenso furchtlos, inspirierend und unglaublich intelligent wie die quirlige rothaarige Heldin aus den Kinderbüchern von Astrid Lindgren. Kindern etwas beizubringen schafft sie mit derselben Leichtigkeit, mit der Pippi Lang­strumpf einst ein Pferd einhändig in die Luft stemmte.

Viele drehen sich nach ihr um, als sie in ihrer hautengen Kunstlederhose und Turnschuhen Helsinkis am Meer gelegene hippe, neue Saunabar „Löyli“ betritt. Fröhlich plappernd zieht sie den Grund für ihre Aufregung aus ihrer prall gefüllten Handtasche: Linda Liukas hat gerade ihr neuestes Buch „Hello Ruby: Expedition to the Internet (2017)“ vorgestellt.

Es ist das dritte Buch ihrer preisgekrönten „Hello Ruby“-Buchreihe, die das Programmieren demystifiziert und Kinder die Grundlagen des rechnergestützten Denkens lehrt. Ihre Bücher wurden mit dem beliebtesten chinesischen Designpreis, dem „Design Intelligence Gold Award“, im Wert von 130.000 Euro prämiert.

Alphabetisierung des 21. Jahrhunderts

Wir benötigen vielschichtigen Input von Menschen aller Art, angefangen bei den Kindern“, beteuert Linda Liukas.Foto: Elina Manninen/Keksi

Linda Liukas als „erfolgreiche Kinderbuchautorin“ zu bezeichnen wäre etwa so, als würde man behaupten, Steve Jobs hätte „Computer verkauft“. Sie ist eine facettenreiche Pionierin mit einer klaren Zielsetzung: Kinder dazu zu inspirieren, sich durch Technologie zu artikulieren.

„Ich wünschte, es hätte ein Buch wie ‚Hello Ruby‘ gegeben, als ich aufgewachsen bin. Das Programmieren ist die Alphabetisierung des 21. Jahrhunderts, und eine zunehmende Anzahl globaler Probleme haben Ähnlichkeit mit Softwareproblemen, die Softwaredesigner alleine aber nicht lösen könnten. Wir benötigen vielschichtigen Input von Menschen aller Art, angefangen bei den Kindern“, beteuert sie.

„In meiner Kindheit musste ich mich zwischen Kunst und Mathematik entscheiden. Warum sollte man nicht beides wählen? Computer wurden geschaffen, um verschiedenste Probleme zu lösen. Ich verstehe mich als jemanden, der Kindern kreative Denkwerkzeuge an die Hand gibt und ihnen nicht einfach nur das Programmieren beibringt.“

Leidenschaft, Kindern Technologie beizubringen

„Hello Ruby“ verwendet alle möglichen Methoden, um Kindern das Kodieren beizubringen, einschließlich altmodischer Papier- und Scherenarbeiten.Foto: Otso Kaijaluoto

Ihre Entwicklung vom Geek zur weltberühmten Buchautorin war ein „unverhofftes Abenteuer“, befeuert von ihrer kindlichen Leidenschaft für Lesen, Zeichnen und Computer.
„Im Nachhinein scheint es offensichtlich, warum diese Aspekte in meiner derzeitigen Arbeit zusammengeflossen sind.“

Während andere Mädchen Rockstar-Poster aufhängten, schwärmte Linda Liukas aus der Ferne für Al Gore.

„Ich war etwas exzentrisch. Ich hatte mir schon mit 13 selbst das Programmieren beigebracht, um die finnische Al Gore-Fanseite zu erstellen,“ erinnert sie sich lachend.

Aus ihrer Leidenschaft wurde eine echte Liebe zur Technologie, als sie und ihre Brüder Anfang der 1990er-Jahre den Familienlaptop in seine Einzelteile zerlegten.

„Durch das Herumtüfteln an Computern lernte ich, dass das Programmieren ein kreatives Werkzeug ist, mit dem man Welten erschaffen kann. Von zuhause stammt auch meine furchtlose Neugierde für Technologie.“

Rails Girls go global

Auszüge aus unserem Interview mit Linda Liukas, aufgenommen auf der Terrasse der Helsinkier Meeresküstenbar Löyly.Video: ThisisFINLAND Magazine

Liukas absolvierte aufgrund ihres unstillbaren Lernhungers mehrere Studiengänge, darunter Philosophie, Betriebswirtschaftslehre, Französisch und visuellen Journalismus. Nach ihrem Studium in Stanford hatte sie ein Aha-Erlebnis.

„In den USA konnte ich beobachten, dass sich Menschen Technologie wirklich zunutze machen, um die Welt zu verändern. Das hat mich dazu inspiriert, Rails Girls zu gründen, um Frauen stärker in IT zu involvieren.“

Rails Girls ist heute eine aktive globale Initiative, die Frauen die Grundlagen des Programmierens lehrt. Diese gemeinnützige Community organisiert Workshops und bietet Frauen Zugang zu Technologie, die ihnen als Plattform dient, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen.

Ruby erklärt alles

„Es geht einfach um Kommunikation“, meint Linda Liukas.
Foto: Vesa Tyni

Auf Rails Girls folgte „Hello Ruby“. Das Konzept entstand, als Liukas die Open-Source-Programmiersprache Ruby lernte. Immer, wenn sie über einen schwierigen Programmiergrundsatz nachgrübelte, zeichnete sie Bilder eines rothaarigen Mädchens und fragte sich: „Wie würde Ruby das erklären?“

Für ihr erstes Buch sammelte sie 380.000 Dollar auf Kickstarter. Es wurde zum meist finanzierten Kinderbuch der Plattform. „Hello Ruby: Adventures in Coding“ (2015) wurde bereits in mindestens 22 Sprachen veröffentlicht.

In ihrem dritten Buch möchte sie Kindern das Internet auf phantasievolle Art und Weise näherbringen.

„Über das Internet wird so schwarzmalerisch berichtet, dass es dunkel und unheimlich wirkt. Mein Buch zeigt, dass es einfach um Kommunikation geht“, erklärt Liukas.
„Ich porträtiere es als Schneeschloss – die Metapher macht es ansprechender. Ich bin nie aus den Märchen herausgewachsen, also bringe ich Kindern durch Geschichtenerzählen etwas bei.“

Eine Mischung aus Ada Lovelace und Klein-Mü

Ruby zeigt ihren Lesern eine Maus.Illustration: Linda Liukas

Auf die Frage welche persönlichen Eigenschaften sie mitbringt, die Kinder auf der ganzen Welt derart inspirieren, antwortet Liukas beherzt:

„Ich bin neugierig! Und wenn ich über etwas Interessantes stolpere, bin ich unglaublich begeisterungsfähig“, sagt sie mit einem breiten Grinsen, als wolle sie genau diesen Punkt verdeutlichen.

„Selbstvertrauen ist meine dritte Stärke. Mein Wahlspruch lautet ‚Geht nicht gibt‘s nicht‘. Das ist das Erbe meiner Kindheit. Ich bin mit Büchern von Tove Jansson and Astrid Lindgren aufgewachsen. Klein-Mü und Pippi Langstrumpf sind meine Mentoren. Wir hatten in Skandinavien schon immer vielfältige Rollenvorbilder.“

Liukas wird oft als Verfechterin des Frauen-Empowerments bezeichnet. Sie besteht allerdings darauf, dass es in ihrer Kernaussage nicht um Feminismus, sondern um Vielfalt geht.
„Ich mag es, wenn kleine Jungs aus Japan mir erzählen, dass Ruby und nicht die männliche Figur Django ihre Lieblingsfigur ist. Es ist toll, dass Jungen ein Mädchen als Heldin akzeptieren. Ich möchte Mädchen in die Welt der Technologie einführen, aber ich möchte Jungs ebenso dabei helfen, unterschiedliche Persönlichkeiten zu akzeptieren und Krankenpfleger zu werden, wenn sie es sich wünschen.“

Yoga und Einhörner

Kodieren ist so, als ob man Computerchips beibringt, wie man sich verhält, scheint dieses Bild zu implizieren.Illustration: Linda Liukas

Als unheilbarer Bücherwurm liest Liukas mindestens ein Buch pro Woche und verschlingt Titel von Harry Potter bis Hemingway. Ihre Inspirationsquellen sind vielschichtig – von Yoga über Pizza am Freitagabend bis hin zu funkelnden, dekorativen Einhörnern.

„Ich verbringe so viel Zeit am Computer, dass ich einfache, bodenständige Aktivitäten benötige. Sonst wären meine Arbeit und mein Privatleben zu stark miteinander verwoben. Ich versuche, Tove Jansson nachzueifern, für die Kunst und Leben ein und dasselbe waren.“

Edutech-Botschafterin

Liukas TEDx-Vortrag über Kinder und Informatik hat allein auf der TED-Website fast zwei Millionen Aufrufe erhalten.Video: TED

Liukas trug entscheidend dazu bei, dass das Programmieren in den finnischen Lehrplan aufgenommen wurde. Sie bietet nun internationale Beratungsdienste an und arbeitet aktiv mit US-Pädagogen des New York City-Bildungsprogramms und mit japanischen Lehrkräften zusammen.

Weitere Projekte sind in Vorbereitung und umfassen die Veröffentlichung der chinesischen Übersetzung von „Hello Ruby“. Auch die Arbeit an ihrem vierten Buch zum Thema künstliche Intelligenz ist in vollem Gange.

Eines ist sicher: Nichts kann Liukas in ihrem Bestreben, die Welt durch Technologie zu verbessern, aufhalten, ob als Autorin, Illustratorin, Programmiererin oder Pädagogin.
„Meine berufliche Identität ist sehr flexibel. Wir Menschen sind eben nicht binär wie Computer. Wie Walt Whitman sagte: ‚Wir sind alle unendlich weit‘.“

Inspirierende Zitate von Linda Liukas

Im dritten Band von „Hello Ruby“ von Linda Liukas begeben sich die Figuren auf eine Expedition ins Internet.Illustration: Linda Liukas

  • „Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Ada Lovelaces von morgen optimistisch aufwachsen, Technologie wagemutig angehen und sie nutzen, um eine neue, wundervolle, spielerische und ein ganz klein wenig skurrile Welt zu schaffen.“
  • „Wir sollten uns alle daran gewöhnen, nach vorn zu fallen. Jeder stürzt ab und an – früher oder später kommen alle mal ins Stolpern. Das Programmieren lehrt einen, Fehler zu tolerieren.“
  • „Die skalierbarsten Veränderungen ereignen sich in der Kindheit. Die Welt ändert sich, wenn sie von Kindern verändert wird.“
  • „Wenn das Programmieren die neue Lingua Franca ist, sollten wir alle Dichten lernen, statt Grammatikunterricht zu nehmen.“

Weitere Tech-Superfrauen aus Finnland

Pia Henrietta Kekäläinen. Mitbegründerin des Unternehmens Carbo Culture, das hochwertige Karbonprodukte aus Biomasse herstellt. Sie ist ebenfalls Mitbegründerin von Mehackit, das kreative Technologiekurse für Jugendliche und Lehrer anbietet. Foto: Iiris Heikka

Nelli Lähteenmäki. CEO und Mitbegründerin von Fifth Corner Inc., dem Entwickler der YOU-App, einer wissenschaftsbasierten Selbstverbesserungsplattform, die Menschen befähigt, durch schrittweise Mikroaktionen positive Veränderungen zu erzielen. Fifth Corner Inc. ist für das Gesundheitswesen, für Versicherungen, Unternehmen und Verbraucher tätig. Foto: Marc Olivier Le Blanc

Maria Ritola. Mitbegründerin von Iris.ai. Das Unternehmen hat einen wissenschaftlichen KI-Assistenten entwickelt, um Forschungsprozesse in Unternehmen und an Universitäten zu beschleunigen. Iris.ai arbeitet gegenwärtig an der Semi-Automation der Literaturkartierung, dem mühseligsten Teil des Forschungsprozesses. Langfristiges Ziel des Unternehmens ist die Entwicklung eines KI-Wissenschaftlers. Mehr dazu auf Seite 6. Foto: Samuli Skantsi

Jenny Wolfram. CEO und Gründerin von BrandBastion, das die schnellste und präziseste Automationslösung für die Sicherung von Werbeinvestitionen in sozialen Medien in Echtzeit bereitstellt – rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche. Foto: Interviewee

Mari Lättilä. Mitbegründerinnen von Qentinel, eines unabhängigen Anbieters von Qualitätssicherungsleistungen und Software-Beratungsdiensten. Sie arbeiten für Unternehmen, die auf hochwertige IT-Systeme und Software angewiesen sind. Foto: Interviewee

Marjo Sjöberg. Überdies eine Mitbegründerin von Qentinel. Foto: Interviewee

Von Silja Kudel, ThisisFINLAND Magazine 2018