Die finnische Küche im Schnittpunkt zwischen Ost und West

Ost und West vermählen sich in Finnland, wo Meisterköche sich an den Köstlichkeiten aus aller Welt inspirieren und dies mit den hochwertigen Produkten des eigenen Landes kombiniert zu einem unvergesslichen kulinarischen Erlebnis werden lassen.

Die finnische Küche legt Wert auf frische Ingredienzien. Ihre Bereicherung war stets, dass FinnIand im Schnittpunkt zwischen Ost und West lag.

Schon im Mittelalter drangen lukullische Genüsse aus der Fremde von Westen über Schweden und von Osten über Nowgorod nach Finnland vor. Später, im frühen 20.Jahrhundert, kochten finnische, deutsche, schwedische und russische Meisterköche in den hiesigen Restaurants schließlich auch Speisen nach französischer Fasson.

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Das elegante Interieur des Restaurants Chez Dominique Foto: Katja Hagelstam

Heute lassen sich finnische Köche von kulinarischen Köstlichkeiten und neuen Ideen aus aller Welt inspirieren, von denen sie Teile entnehmen und zu einer wahrhaft eigenständigen finnischen Küche verschmelzen. Die sechs Michelin-Sterne, die vier Helsinkier Restaurants (Chez Dominique, Demo, Carma and Postres) verliehen wurden, zeugen für die erstklassige Gastronomie, das fachkundige Personal und die engagierten Küchenchefs der finnischen Hauptstadt.

Die Jahreszeiten

Fisch, Wild, Waldpilze und wilde Beeren, reine Ingredienzien mit unnachahmlichen Aromen bilden das Fundament der finnischen Esskultur, in die die Jahreszeiten mit ihren speziellen Speisen und Zutaten Abwechslung bringen. Aalraupen-Ragout im Mittwinter, Blinis und Aalraupenrogen zu Fastnacht, Mämmi (ein aus Roggenmehl und Malz gebackenes Dessert) und Lammbraten zu Ostern, neue Kartoffeln mit Hering zum Mittsommernachtsfest, Flusskrebse im August, Wild im Herbst und Weihnachtsschinken schmecken zur „richtigen Zeit“ am allerbesten.

Was Seen, Flüsse und Meer hergeben

Frischen Fisch gibt es rund ums Jahr, und er wird auf vielerlei Weise zubereitet. Die alte Pökelmethode – zwei Handvoll Fisch und eine Handvoll Salz – mutet aus der Perspektive der heutigen Küche, in der man Lachs, Renken und Barsch nur leicht mariniert, ziemlich brachial an. Gedünsteter Zander auf Spinat, geräucherte Barschtimbale mit Kerbelsoße, Lachshaschee in Kürbisblüten und Strömlinge auf Salatbett mit französischem Weißwein gehören zu den feinsten Delikatessen, die Wasser zu bieten hat. Die finnischen Restaurants verwenden für ihre klassischen Fischgerichte häufig Zander. Man sagt ja, dass Fische aus kalten Gewässern am besten schmecken.

Wild im Überfluss

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Die von Alvar Aalto entworfene Inneneinrichtung im Restaurant Savoy stammt aus den 1930er Jahren Foto: Katja Hagelstam

Rentier, Elch und Federwild offerieren ein delikates Essen. Der Klassiker unter den Rentiergerichten ist geschnetzeltes Rentier, aus gefrorenen Fleischschnitzen zubereitet, mit Kartoffelpüree und Preiselbeerkompott serviert, begleitet von einem kühlen Bier.

Französischer Rotwein wiederum empfiehlt sich zu mit Pilzen und Edelpilzkäse gefüllten Rentiertaschen. Ganz edel sind Elchfilets, die in der modernen Gourmetküche mit Spinat, Aprikosen und Ziegen-Cheddar gefüllt, mit Balsamicosirup gewürzt und mit Soignon-Ziegenkäse gratiniert und schließlich zusammen mit Süßkartoffeln, Portabellopilzen, Minifenchel und Elchsoße serviert werden. Nach alter Art nur mit weißem Pfeffer und Salz gewürzt dagegen bäckt man Federwild wie Moorschneehuhn und Rebhuhn.

Waldpilze

Waldpilze passen zu Fleisch- wie auch Fischgerichten. Lorcheln in Suppen und Ragouts läuten im Frühjahr die Pilzsaison ein (ohne sachgemäße Behandlung sind Frühjahrslorcheln giftig!). Kurz nach der Sommersonnenwende schießen die ersten Röhrenpilze und Pfifferlinge aus dem Boden. Wenn warmer Pfifferlingssalat, gegrillte Renke mit Flusskrebssoße und Beerenkuchen auf den Tisch kommen, ist das Ende des Sommers nicht mehr weit. Täublinge und Reizker wie die anderen Speisepilze gehörten einst zur Kost der ostfinnischen Landbevölkerung. In den Herren- und Pfarrhäusern Westfinnlands hingegen aß man nur Röhrenpilze und Pfifferlinge.

Beeren in Hülle und Fülle

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Moltebeerencreme Foto: Katja Hagelstam

Die finnischen Beeren, meist Wildbeeren, sind besonders aromatisch. Sie schmecken köstlich in kalten Desserts. Das Standdartrepertoire auf der Speisekarte von Luxusrestaurants sind Moosbeere, Sanddorn, Arktische Himbeere und Moltebeere mit Eiskrem und Likör. Ganz vorzüglich ist Moltebeerencreme mit frischen Moltebeeren, Moltebeerlikör und Moltebeersoße, und ein zünftiger Abschluss für eine Rentiermahlzeit sind gefrorene rote Johannisbeeren mit heißer Karamellsoße.

Beeren komplettieren auch den Geschmack von warmen Fleisch- und Wildgerichten. Zum urfinnischen Leberauflauf gehört neben zerlassener Butter Preiselbeermus. Zu Rentierfilet werden Lorcheln und Moosbeeren oder eine Sahnesoße mit Preiselbeersoße gereicht, und Rentiersoße wird mit schwarzem Johannisbeergelee gewürzt.

Desserts für jeden Geschmack

Eiscreme hat über die letzten Jahrhunderte seine Stellung als Königin der Desserts behauptet, wenngleich die Geschmacksmoden sich verändert haben. Heutzutage wird das Mittagessen gern mit einem Walderdbeer-Eis, garniert mit Walderdbeermus gekrönt. Erdbeermus rundet man mit Erdbeerlikör und Koskenkorva-Wodka ab, und zur Crème Caramel gibt es Vanilleeiscreme. Zum Schokoladenkuchen wird schwarzes Johannisbeer-Eis und Johannisbeersoße serviert sowie zum Mokkaeis Mokkasirup. Auch Desserts aus Weizenbrot oder Streusel, Törtchen und Beerenkuchen werden zum Kaffee gereicht.

Flusskrebse – der Stolz des Nordens

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In festlicher Laune klingt der Sommer mit einem Krebsessen aus. Foto: Katja Hagelstam

Das festliche Krebsessen in den schon dunkler werdenden Abenden des Spätsommers sind integraler Bestandteil der finnischen Esskultur. In früheren Zeiten standen die Schalentiere im Mittelpunkt, und der Höhepunkt eines Festes war der Einmarsch der Kellner mit Hunderten gekochter und gekühlter, nach Dill duftender Krebse und eiskaltem Schnaps.

Die Krebsessen unserer Tage sind leichter: Die Flusskrebse sind Vorspeise, gefolgt von t Geflügel, beispielsweise Stockente, und Waldbeeren als Dessert. Das ganze Jahr über werden in den Restaurants allerdings Krebsbutter und Krebsschwänze verwendet. So runden mit Kognak flambierte Krebsschwänze, Krebsbutter und gehackter Dill den Geschmack einer Flusskrebssuppe ab.

Ländliche Esskultur

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts ernährte sich dër Normalbürger hauptsächlich von Getreide, Fisch und Milchprodukten, also Brot, Grützen, Pökelfisch und Sauermilch. Die Assimilierung westlicher und östlicher Einflüsse zeigt sich immer noch in der Esskultur des Großteils der finnischen Bevölkerung. Die Grenze zwischen Ost und West wird gewöhnlich auf einer Linie gezeichnet, die vom Fluss Kymijoki im Süden bis nach Oulu verläuft. Nordfinnland wird mal dem Osten, mal dem Westen zugerechnet, je nachdem, von welchem Aspekt der Volkskultur man ausgeht.

In Westfinnland aß man hartes Roggenbrot, in Ostfinnland weiches und in Nordfinnland Fladen- und Gerstenbrot. Die Sauermilch, die im Westen des Landes getrunken wurde, war schleimig und sämig, während sie in Ostfinnland dick und klumpig war. Käse und verschiedene Wurstsorten wurden früher nur in Westfinnland hergestellt. Aus Nordfinnland stammt der traditionelle Leipäjuusto (Brotkäse), ein am offenen Feuer gebackener Labkäse. In Lappland wird er in heißem Kaffee getunkt. In Sahne geschmort mit Moltebeeren serviert ist er ein typisch finnischer Nachtisch.

Die Autorin ist Leiterin des Hotel und Restaurant Museums  in Helsinki.

This article is based on the book The Best Kitchen in Town, published by the Finnish Literature Society in 2007

Von Kirsti Grönholm, Februar 2010