Schon mit ihrem ersten, 2006 auf Finnisch erschienenen Roman „Die Ruhelose“ konnte sich Riikka Pulkkinen in die Spitzengruppe junger finnischer AutorInnen einreihen. In Finnland läuft “Die Ruhelose“ jetzt als Mini-Serie im Fernsehen. Mit den folgenden Büchern „Wahr“ und „Die Fremde“ zementierte sie ihren Erfolg.
Wie auch in ihrem zweiten, in viele Sprachen übersetzten Bestseller „Wahr“ geht es auch in Riikka Pulkkinens packenden, diesen September auf Deutsch publizierten Debütroman „Die Ruhelose“ um die fundamentalen Hauptthemen der Literatur und antiken Tragödie: Schicksal versus freie Entscheidung, Gesetz versus innere ethische Prinzipien, Tod und Liebe.
”Die Luft an dem Tag, an dem Anja Aropalo zu sterben beschloss, war süßlich und dicht wie Zuckerwatte”, so der erste Satz des Romans. Die 53-jährige, kinderlose Literaturprofessorin schreibt mit Tabletten die Worte ”Elend”, ”Leben”, ”Last” und ”Lust” und schluckt dann die Worte. Doch der Selbstmord klappt nicht.
Tunnel des Vergessens
Der Roman der sensiblen, 1980 im nordfinnischen Oulu geborenen Autorin und Kolumnistin handelt vordergründig von Selbstmord, Todesfantasien und Sterbehilfe sowie den Konflikten des Frau-Werdens bzw. Älter-Werdens von Nichte Marie und Tante Anja.
Anjas Mann, ein Architekt, der sich ”am Eingang zum Tunnel des Vergessens” befindet, bittet seine Frau, ihn zu töten, sobald die Alzheimer-Krankheit ihn voll im Griff hat.
”Anja sah ihrem Mann in die Augen und begriff, dass zwei Welten sich voneinander entfernt haben”, heißt es im Roman. Anja muss nun zwischen Liebe, Loyalität zu ihrem Mann, Ihren eigenen zwiespältigen Gefühlen und dem Gesetz, dass Sterbehilfe verbietet, entscheiden.
Unterdessen findet ihre rebellierende 16-jährige Nichte Marie, eine Ritzerin, die in einer destruktiven Liebesbeziehung mit dem verheirateten Lehrer Julian gefangen ist, ”an den Tod zu denken ist ein Spiel”.
Wo verläuft die Grenze?
”Liebe und Begehren, wo verläuft die Grenze”, fragt der Lehrer seine Klasse. Der finnische Originaltitel nennt sich „Raja“, übersetzt „Grenze“, und von Grenzziehungen, Grenzsituationen, die in der Jugend und im Alter verschieden sind, ist im Buch denn auch die Rede.
„In dem Roman geht es einerseits um die Bitte: ‚Töte mich‘. Marie stellt sie dem Lehrer Julian und Anjas Ehemann Anja. Auf der anderen Seite steht da fast die gleiche Forderung ‚Du sollst nicht töten!‘ Die Thematik des Romans ergibt sich aus diesen widersprüchlichen Bitten und Forderungen. Wie soll man den einen töten und gleichzeitig den anderen retten?“, erläutert Pulkkinen den Inhalt ihres Buchs.
Sie habe dem Aufeinanderprall von Gesetz, Bitte und Begehren im Zusammenhang des Sterbens, Lebens, Liebens nachgehen wollen, sagt die Autorin, die früher Sportlerin war. „Dabei ist eine Tragödie oder Metatragödie entstanden, deren Form ich ebenfalls erforschen will.“
Fremdsein
Pulkkinen, die sich selbst als etwas überbesorgten Menschen bezeichnet, interessieren als Schriftstellerin “Fragen über Leben und Existenz, auf die ich meiner Prosa nach fundamentalen Antworten suche”.
In ihrem 2012 auf Finnisch erschienenen Roman „Vieras“ (Die Fremde) geht es beispielsweise um das Anders-Sein, um Andershäutigkeit, Migranten, Kultur, Religion und Körperbild in der lange Zeit homogenen finnischen Gesellschaft im Kontrast zum Meltingpot New Yorks. „Eine Person kann sich in einem neuen Land einleben. Sie bleibt dennoch eine Fremde, genauso wie sie sich gegenüber eine Fremde ist, solange sie in sich das sprachlose Unbekannte trägt, das keinen Namen hat“, heißt es ins Deutsche übersetzt in etwa in dem Buch.
Und wiederum steht das Schicksal von Frauen und Mädchen im Vordergrund. Laut Pulkkinen war das finnische Frauenmodell immer das eines Opfers und beruhte auf Geschichten des Kampfes gegen die Gesellschaft. Doch sei die finnische Gesellschaft mittlerweile egalitärer als ihr kulturelles Frauenbild. Früher hätten Frauen wie sie stets nachts geschrieben und die übrige Zeit die Kinder, das Heim betreut und eventuell noch einen Tagesberuf ausgeübt.
„Gut, dass die finnische Frau heute der Kindergärtnerin ihre Kinder übergeben, im Café an ihrem Roman schreiben und danach sogar noch zur Maniküre gehen kann“, sagt Riikka Pulkkinen, die Mutter einer einjährigen Tochter ist, lächelnd.
Von Rebecca Libermann, Oktober 2014