In Finnland trägt Sivistys zum Wohlbefinden bei und hilft, zukünftige Herausforderungen zu lösen

2024 ist in Finnland das Year of Sivistys (Jahr der Sivistys). Es stellt ein seit langem etabliertes Konzept der gesellschaftlichen Aufklärung und des Lernens in den Mittelpunkt und nutzt seine Stärken, um die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu bewältigen.

Jeder, der Finnisch gelernt hat, weiß wie schwierig es sein kann, bestimmte Wörter prägnant in andere Sprachen zu übersetzen.

Sisu ist ein solches Wort. Es ist als das Wort bekannt geworden, mit dem die Finnen ihre eigene Eigenschaft der hartnäckigen, ausdauernden Entschlossenheit angesichts von Herausforderungen, die von trivialen bis hin zu lebensbedrohlichen Dingen reichen, bezeichnen. Das lässt sich in anderen Sprachen mit nur einem Wort nicht angemessen ausdrücken.

Sivistys ist ein weiterer Begriff, bei dem eine zufriedenstellende direkte Übersetzung in den meisten Sprachen nicht möglich ist. Die Bedeutung des Begriffs ist so weit, dass bei der Gestaltung des englischsprachigen Kampagnenmaterials gar nicht versucht wurde, ihn mit einem einzigen Wort zu übersetzen. Die finnische Stiftung für lebenslanges Lernen, die KVS-Stiftung (die Abkürzung beruht auf dem finnischen Namen), hat das Jahr 2024 zum Year of Sivistys erklärt.

Die Stiftung beschreibt Sivistys als ein „dynamisches, sich entwickelndes und innovatives Konzept“ und bietet zwei Definitionen an. Die erste ist ein „allgemeines gesellschaftliches Ziel und ein gesellschaftlicher Wert“ und lässt sich mit dem Wort „Aufklärung“ zusammenfassen. Die zweite bezieht sich auf einen Typ Mensch, dessen zivilisiertes Verhalten zum Wohlbefinden und zur Entwicklung von Umwelt, Gemeinschaft und Gesellschaft beiträgt. Keine der beiden Definitionen ist ein Maß für Ausbildung oder Bildung.

Handeln und Empathie zeigen

In einem großen Raum mit Bücherregalen und einer Balkonebene sitzen mehrere Studenten an Tischen mit Laptops und Büchern.

Die Hauptbibliothek der Universität Helsinki bietet eine beeindruckende Umgebung zum Lesen und Lernen.
Foto: Mika Huisman/Helsinki University

Das Programm des „Year of Sivistys 2024“ soll zum einen aufzeigen, was Sivistys für das oft gepriesene finnische Bildungssystem bedeutet, zum anderen aber auch, wie es in der finnischen Gesellschaft im weiteren Sinne wahrgenommen werden kann.

„Sivistys ist ein Konzept, das sowohl auf die Gesellschaft als auch auf den Einzelnen ausgerichtet ist“, sagt Lauri Tuomi, Geschäftsführer der KVS-Stiftung. „Es besteht nicht nur aus vielfältigem Wissen, kritischem Denken, Handeln und Empathie, sondern auch aus den Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für die Lösung gesellschaftlicher Probleme mit anderen erforderlich sind.“

Das Programm markiert den 150. Jahrestag der Gründung der KVS-Stiftung im Jahr 1874, also noch vor der Unabhängigkeit Finnlands von Russland (1917) und lange bevor Finnland, ebenso wie die anderen nordischen Länder (Dänemark, Island, Norwegen und Schweden), mit einem hohen Bildungsniveau, Wohlstand und sozialem Zusammenhalt assoziiert wurde.

Demokratie und Beteiligung

Zwei Männer in Anzügen stehen nebeneinander.

Nach der zweiten Runde der finnischen Präsidentschaftswahlen im Februar 2024 warteten die Kandidaten Alexander Stubb (links) und Pekka Haavisto gemeinsam auf die Ergebnisse und bestärkten sich gegenseitig.
Foto: Heikki Saukkomaa/Lehtikuva

„Als finnisches Konzept hat sich Sivistys nicht in einem Vakuum entwickelt“, sagt Tuomi. „Der Begriff hat eine lange Geschichte und ist dem, was in den anderen nordischen Ländern als bildning oder im Deutschen als Bildung bekannt ist, sehr ähnlich. Die Wurzeln des Begriffs lassen sich bis mindestens ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, als Finnland eine wesentlich ärmere Region war.

„Damals gab es eine starke Bewegung, jedem Bürger die Möglichkeit zu geben, zu lernen“, sagt Tuomi.

Sivistys, so glaubt er, ist in der Lage, die Demokratie zu stärken und die Bürger zu ermutigen, sich aktiv an ihrer Gesellschaft zu beteiligen. Sivistys spielte eine besondere Rolle bei der Entwicklung Finnlands von einem relativ armen zu einem der erfolgreichsten Länder der Welt. Das Konzept Sivistys selbst hat sich weiterentwickelt, und Tuomi sieht die Veranstaltungen im Jahr 2024 als eine Erinnerung an seine aktuelle Bedeutung.

Hilfe bei der Suche nach Lösungen

Zuschauer sitzen in einem großen Raum und hören mehreren Personen zu, die auf einer Bühne diskutieren.

Think Corner, ein Café in der Universität Helsinki, bietet Diskussionsveranstaltungen für die Öffentlichkeit.
Foto: Matti Pyykkö/Helsinki University

„Die Bedeutung von Sivistys wird im täglichen Leben der Menschen gestärkt und mit Blick auf die Zukunft neu formuliert“, sagt Tuomi. „Akteure und Netzwerke aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft sind zur Teilnahme eingeladen.“ Dazu gehören so unterschiedliche und wichtige Bereiche wie Bildung, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, Sport, Kultur und Kunst, Jugendarbeit, Museen und öffentliche Bibliotheken.

„Die Botschaft des Ministeriums für Bildung und Kultur bei der Genehmigung des Year of Sivistys 2024 und der KVS-Stiftung als Koordinator war, dass es an der Zeit ist, das Konzept an die heutige Zeit anzupassen“, sagt er. „Wir stehen vor großen Herausforderungen wie Klimawandel, Krieg und Digitalisierung, und Sivistys kann dabei helfen, Lösungen für diese Herausforderungen zu finden.“

„Wir laden alle ein, etwas über die Geschichte von Sivistys zu erfahren und darüber zu diskutieren, was es heute und in Zukunft bedeutet“, sagt Tuomi. „Unser Ziel ist es, dass Finnland weltweit nicht nur für Sisu, Sauna und [den Komponisten Jean] Sibelius bekannt ist, sondern auch für Sivistys.“

Year of Sivistys: Veranstaltungen und Informationen

Auf einem Tisch sind vier kleine Holzklötze gestapelt, auf denen jeweils ein Wort steht: Zukunft, Demokratie, Liebe, Technologie.

„Die Zukunft der Zivilisation“ ist ein Spiel mit Dutzenden von Miniaturblöcken im Soppi, einem Wissenschaftszentrum für Bildung und Lernen. Im Uhrzeigersinn von oben: Zukunft, Demokratie, Liebe, Technologie.
Foto: KVS-Stiftung

Digitalisierung und Empathie sind die übergreifenden Themen mit Veranstaltungen in folgenden Kategorien:

  • nachhaltige Zukunft
  • Vielfalt und Gleichstellung
  • Kultur und Kunst
  • Wissenschaft
  • Alphabetisierung und Dialog
  • lebenslanges Lernen

Eine Auswahl an Veranstaltungen:

  • Verbindung von Sport, Natur und Wohlbefinden in einem Sportinstitut
  • eine Garten-Poetry-Veranstaltung in Kittilä im hohen Norden Finnlands
  • ein finnischer Abend in Luxemburg
  • freiwillige Naturschutzprojekte mit dem World Wildlife Fund
  • ein Büchermarkt für antiquarische Bücher
  • Archäologie für die breite Öffentlichkeit, organisiert vom Heureka Wissenschaftszentrum in Vantaa (nördlich von Helsinki)
  • Wald-Wissenschaftstag, organisiert von der Universität Helsinki

Die KVS-Stiftung betreibt im Helsinkier Stadtteil Töölö auch das Wissenschaftszentrum für Bildung und Lernen Soppi. Die dortige Ausstellung beschreibt die Geschichte und den künftigen Weg des finnischen Bildungssystems.

Von Tim Bird, Mai 2024