Finnlands Literatur prescht nach Vorne

Finnlands coole, Genre reiche Literatur steht im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse. Werfen Sie einen Blick hinein.

Finnland ist in diesem Oktober Ehrengast der Internationalen Frankfurter Buchmesse, der größten Buchmesse der Welt mit einer 500 Jahre alten Tradition. Noch nie hat Finnland so viele weltweite Veröffentlichungen so zahlreicher, origineller, finnischer Autoren der verschiedensten Genres von so hohem Niveau wie heute vorweisen können.

Mit seinen weitläufigen Naturgebieten, in denen es sich gut denken lässt, seiner wechselreichen Geschichte, den Unmengen von Leseratten und ungekünstelten Menschen ist das Hightech-Land geradezu prädestiniert, große Autoren hervorzubringen. Die noch recht junge finnische Literatur hat mit der Frankfurter Buchmesse jetzt den großen, internationalen Durchbruch geschafft.

Katja Tukiainens Comics enthalten “ungemein starke Grafiken und Storys über Mädchen,” sagt Maria Antas von FILI, der Förderorgansiation für finnische Literatur.

Katja Tukiainens Comics enthalten “ungemein starke Grafiken und Storys über Mädchen,” sagt Maria Antas von FILI, der Förderorgansiation für finnische Literatur.Illustration: Katja Tukiainen 2010

Die Frankfurter Buchmesse ist das Schaufenster der internationalen Literatur: In der deutschen, von den Römern gegründeten Bankenstadt am Main kommen vom 8.-12. Oktober rund 10.000 Journalisten, etwa 7.500 Aussteller und um die 270.000 Besucher aus über 100 Ländern zusammen, und Finnland wird unter dem Thema “Finnland. Cool” den Mittelpunkt bilden.”

Die finnische Literatur zeichnet sich durch eine ungeheure Vielfalt aus, angefangen von der Kinder- und Jugendliteratur über Krimis, Comics und Fantasy bis hin zu Belletristik und Poesie. „Die Romanschriftsteller, du meine Güte! Wir haben so viele Stimmen, so viele Ausdrucksweisen, so zahlreiche Themen, dass man sie kaum aufzählen kann“, sagt Iris Schwanck, die Direktorin von FILI, einer Institution zur Förderung der finnischen Literatur, die in fünfjähriger Arbeit Finnlands Beitrag zur Frankfurter Buchmesse auf die Beine gestellt hat.

Die jüngere Autorengeneration: politischer, urbaner, globaler

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„Die Finnlandschwedin Johanna Holmström befasst sich in ihrem Buch “Asphaltengel” mit Frauenrechten und Religion.”Foto: Riikka Hurri

Rund 60 finnische Autoren und Autorinnen werden persönlich auf der Messe und in einem ausgedehnten Rahmenprogramm vertreten sein. „Wenn man Dinge festhält, fängt man Zeit ein“, sagt Sofi Oksanen, die literarisch unschlagbare Chronistin der estnischen Geschichte. Die vielfach, vor allem für ihren Roman „Fegefeuer“ (2011), international ausgezeichnete Literaturpreisträgerin, eine der eindringlichsten und unverblümtesten Stimmen Finnlands, wird auf der Frankfurter Buchmesse die Eröffnungsrede für „Finnland. Cool“ halten.

Mit ihrem weiteren Buch der Estland-Reihe, „Als die Tauben verschwanden“ (2014), gehört sie wie etwa Katja Kettu, eine der international aufkommenden Schriftstellerinnen mit einer sehr eigenen literarischen Sprache („Wildauge“, 2014), oder Kjell Westö, der in Finnland ungemein populäre Chronist Helsinkis und seiner Gesellschaft („Das Trugbild, 2014, Hägring 38/Mirage 38) zu der jüngeren finnischen Literatengeneration, die sich gesellschaftskritisch mit dem Zweiten Weltkrieg sowohl in Finnland als auch Estland auseinandersetzt.

„Die Literaturthemen befassen sich heute sehr häufig mit Politik, auch wenn sie aus der persönlichen Mikroperspektive aus analysiert wird. Vor zehn Jahren gab es bei uns noch viele Bücher über traurige Familiengeschichten. Der Vater trinkt, die Mutter ist in der Psychiatrie, und die Kinder leiden“, sagt Maria Antas, die Leiterin der Literaturprogramme bei FILI.

Insgesamt ist Finnlands jüngere Literatur globaler, urbaner, desweilen satirischer geworden und stellt den Menschen und seine Herausforderungen in der heutigen Zeit in den Mittelpunkt. „In einer ganzen Reihe von Büchern tauchen jetzt auch Figuren auf, die zur muslimischen Kultur gehören. Das ist in Finnland ein ganz neues Phänomen“, sagt Antas. Ein Beispiel dafür ist die Finnlandschwedin Johanna Holmström mit ihrem „Asphaltengel“ (2014), in dem sie u.a. zeigen will, dass „jede Frau, ob westlich oder nichtwestlich, mit einem Preisschild versehen ist“, so die Autorin.

Mord-Macht Finnland und Finnish Weird

Autorin, Drehbuchautorin und Comic-Texterin, Johanna Sinisalo, schuf den Genre-Begriff Finnish Weird.

Autorin, Drehbuchautorin und Comic-Texterin, Johanna Sinisalo, schuf den Genre-Begriff Finnish Weird.Foto: Timo Jaakonaho/Lehtikuva

90 neue Krimis erscheinen jährlich in Finnland. Viele davon werden in andere Sprachen übersetzt. Vor allem in Deutschland wächst der Markt ständig. Im Gegensatz zum gängigen „Schwedenkrimi“ ist der „Finnenkrimi“ sachlicher, urwüchsiger, häufig auch ironischer, und natürlich spürt man auch hier Finnlands lange Grenze zu Russland.

Es dominieren die Polizei- und Detektivgeschichten wie etwa bei den Bestsellerautoren Leena Lehtolainen und Matti Rönkä oder Pekka Hiltunen, bei dem die in London lebenden Angehörigen einer Untergrundorganisation, die Grafikerin Lia und die Psychologin Mari, Menschenhändlern und korrupte Politiker jagen.

Die Meister des Polit- und Psychothrillers sind etwa Ilkka Remes, einer der meistgelesenen Autoren in Finnland, dessen Antagonisten häufig Russen sind, und Taavi Soininvaara, der gleich zwei Reihen hat, eine spielt bei der finnischen Sicherheitspolizei, die andere in der Geheimorganisation Mundos Novus.

Shootingstars sind etwa Kati Hiekkapelto, die sich mit aktuellen Themen wie Einwanderung oder Multikulturalität befasst, und Antti Tuomainen, der Vertreter des Roman Noir und der Dystopie. Und Risto Isomäki, ein Wissenschaftler und Umweltaktivist, brilliert mit seinen Öko-Thrillern und Science-Fiction-Büchern.

Science-Fiction spielt auch eine Rolle bei „Finnish Weird“, einem eigenständigen finnischen Literaturgenre, das skurril, satirisch und futuristisch Science-Fiction, Fantasie und Satire, nordischer Mythologie und desweilen auch Horror mischt, und voller schräger Figuren und bizarrer Erzählstränge steckt. Den Begriff und die Finnland eigene Literatur-Gattung hat die auch internationale erfolgreiche Autorin, Drehbuchautorin und Comic-Texterin, Johanna Sinisalo, 2010 erschaffen.

Alleine in den deutschsprachigen Verlagen werden in diesem Jahr rund 210 Neuerscheinungen, Übersetzungen aus den beiden Landessprachen Finnisch und Schwedisch, veröffentlicht. Deutsch ist die führende Übersetzungssprache der finnischen Literatur. Doch ist die finnische Literatur vermehrt auch in zahlreichen anderen Sprachen erhältlich. Insgesamt werden in einem normalen Jahr jährlich rund 200 finnische Bücher in 40 bis 50 Sprachen veröffentlicht.

Tove Jansson und die Comic-Szene

Tove Jansson und die Comic-Szene

Selbstportrait mit Pelzhut (1941): Tove Jansson hatte eine vielseitige Karriere als Malerin und Illustratorin sowie als Autorin von Büchern für Kinder und Erwachsene.© Moomin Characters™

Dieses Jahr feiert Finnland den hundertsten Geburtstag der finnlandschwedischen Künstlerin und Schriftstellerin mit den tausend Talenten, Tove Jansson. Sie ist die zeichnerische und schriftstellerische Schöpferin der Mumins, die Ikone der finnischen Schwulen- und Lesbenbewegung, die Wegbereiterin für Finnlands ausgedehnte weibliche Comic-Scene und vieles mehr.

“Sie war ein Multitalent, arbeitswütig, sehr lebendig. Sie hatte eine große Willenskraft. Ihre große Leidenschaften waren die Kunst, Menschen, das Leben und die Liebe“, erzählt die renommierte Kunsthistorikerin und Sachbuchautorin Tuula Karjalainen, deren wunderbar lebendige „Tove Jansson: Die Biographie“ (2014) 2014 in 12 Sprachen erscheint. Tove Jansson und ihre Bücher bilden einen der Schwerpunkte des Ehrengasts Finnland auf der Frankfurter Buchmesse.

Wohl dank Jansson besitzt Finnland nicht nur eine experimentierfreudige, schräge und blühende Comic-Szene für Kinder und Erwachsene, die sogar staatlich unterstützt wird, sondern auch eine, die „sehr stark von Frauen dominiert ist“, so Antas.

„Global gesehen ist es absolut erstaunlich, dass es hier die Frauen sind, während diese Kunst- und Literaturform in den meisten Ländern von den Männern dominiert wird. In Finnland ist auch die Ausbildung auf dem Gebiet des Comics auch sehr ausgeprägt. Außer Jansson war eine der Inspirationsgeberinnen vor allem Katja Tukiainen mit ihren ungemein starken Grafiken und Storys über Mädchen“, erzählt Antas begeistert.”

Besonders in Frankreich sind die finnischen Comics-Künstler äußerst beliebt. Aber auch in Deutschland kommt jetzt der „Comic-Atlas Finnland!“ heraus.

Von Rebecca Libermann, September 2014