Was könnte Finnlands zukünftige Zugkraft sein?

Wir begegnen einigen finnischen Unternehmern, die mitbestimmen, wie sich die Menschen in Zukunft kleiden, arbeiten und verbinden werden.

Sari Stenfors, geschäftsführende Direktorin des Augmented Leadership Institute in Kalifornien, betrachtet jeden, der eine Brille trägt oder ein Smartphone benutzt als potenziellen, zukünftigen Cyborg. Eines Tages, so glaubt sie, werden wir im Streben nach mehr Zufriedenheit durch dezentralisierte Arbeit in der Lage sein, uns mit Maschinen und sogar mit anderen menschlichen Gehirnen zu verbinden. In ihrer Zukunft werden persönliche Daten das wertvollste Gut sein, das man besitzen oder veräußern kann.

„Wie viele möchten Einfluss auf die eigene Zukunft haben, um sie zu verbessern?“ Stenfors stellte diese Frage dem Publikum bei einem Auftritt als Hauptrednerin auf der jährlichen Veranstaltung für Start-up-Unternehmen und Investoren, Slush Helsinki, die nur wenige Wochen vor dem Jahreswechsel stattfand. „Wie viele von Ihnen haben die Eigeninitiative ergriffen, etwas dafür zu tun?“

„Es liegt an uns zu entscheiden, welche Bestandteile wir möchten. Wir müssen darüber nachdenken, welche Grundelemente wir künftig zusätzlich haben möchten.“

Warm bleiben ist immens wichtig

Aino Aarnio-Juurinen von Avanto Technologies zeigt einige ihrer Kreationen beheizter Kleidung.
Foto: Visa Kupias

Unter den anderen Besuchern von Slush, einer Veranstaltung, auf der sich Tausende Startup-Unternehmer tummeln, befanden zwei junge Finninnen, Aino Aarnio-Juurinen und Suvi Ellilä. Die beiden vertreten jeweils eine neue Firma mit großen Ideen und Erfolgsplänen.

Aarnio-Juurinen ist Mitbegründerin und Chief Tech Officer des Herstellers Avanto Technologies für beheizbare Kleidung („avanto“ ist das finnische Wort für ein Loch, das fürs Winterschwimmen in die Eisoberfläche eines Sees oder des Meeres geschnitten wird). Im Rahmen ihrer Magisterarbeit an der Aalto- Universität in Espoo, im Großraum Helsinki, entwarf sie einen Tauchanzug mit Infrarot-Heizsystem. In Zusammenarbeit mit Geschäftspartner Visa Kupias wollte Aarnio-Juurinen benutzerfreundliche tragbare Technologie mit Stil schaffen. Jetzt geht Avantos Richtung in die Bereitstellung seiner Infrarot-Heiztechnologie für etablierte Unternehmen der Bekleidungsindustrie.

„Wir können Menschen wie Bauarbeitern, Wachpersonal, Militärpersonal oder Seeleuten, die in einer kalten Umgebung arbeiten, durch regelbare Wärme in ihren Kleidungsstücken helfen“, sagt Aarnio-Juurinen. „Das verringert die Notwendigkeit für mehrere Kleidungsschichten und verbessert die Leistung.“

Ihre kleine Firma, zu der die beiden Gründer und ein Mitarbeiter gehören, strebt die Marktführung im Bereich tragbarer, integrierter Heizlösungen an. Avanto Technologies hat bereits einige Investoren auf sich aufmerksam gemacht und wurde im Slush 100 Showcase-Wettbewerb für Start-ups unter die Top 50 gewählt.

Die Klärung widersprüchlicher Anforderungen

Bei Selko machen sich Suvi Ellilä (zweite von links) und ihr Team (von links: Faisal Mokammel, Tuomas Ritola und Vladislav Nenchev) künstliche Intelligenz zunutze, um Datenprobleme im Rahmen der Gesetzgebung und Bestimmungen im Ingenieurwesen zu lösen.
Foto: Tarmo Pekola

Suvi Elliläs Firma für künstliche Intelligenz (KI), Selko, die sich mit der Lösung von Datenproblemen im Rahmen der Gesetzgebung und Bestimmungen im Ingenieurwesen beschäftigt, landete sogar in der Top 10 des Slush 100 Showcase.

„Die (Top-10-Platzierung) war besser, als wir erwartet hatten“, meint Ellilä, die im April 2017 als leitende Geschäftsführerin zu Selkos vierköpfigem Team stieß.

Selko (ein finnisches Wort, das für Klarheit und Verständlichkeit steht) hilft durch künstliche Intelligenz großen Ingenieurunternehmen bei der Bewältigung eines erheblichen Teils der bürokratischen Anforderungen.
So unterliege etwa ein Ingenieurunternehmen, das mit Flugzeugen, Satelliten oder Kernkraftwerken arbeitet, vielen Vorschriften, erklärt Ellilä. Ihre Firma könnte Ingenieuren dabei helfen, die Gesetzestexte und die möglicherweise widersprüchlichen Anforderungen, die sie enthalten, zu durchforsten.

KL könnte auch dazu beitragen, dass sich die Sicherheitsvorschriften eines Unternehmens im Budgetrahmen halten, möglicherweise Steuergelder für öffentlich finanzierte Projekte gespart und Arbeitsunfälle verhindert werden können. Selko möchte KI für die Produktentwicklung nutzen und unter anderem ihre potenziellen Möglichkeiten in den Bereichen Recht und Gesundheitswesen ausbauen.

„Es liegt an uns, wie weit wir in der Lage sind, den Algorithmen beizubringen, die Besonderheiten verschiedener Branchen zu begreifen“, sagt Ellilä. „Wir haben jedoch mehr Ideen als Zeit; daher müssen wir sicherstellen, dass wir unsere Anstrengungen an der richtigen Stelle zum Einsatz bringen.“

In großen und kleinen Dimensionen denken

Sowohl Ellilä als auch Aarnio-Juurinen von Avanto Technologies sagen, dass sie von den Innovationen, die durch Nanotechnologie geschaffen werden, am meisten fasziniert sind – der Manipulation von Materie auf atomarer, molekularer und supramolekularer Ebene, die im Gesundheitswesen, in der Chemie, Biologie, im Ingenieurwesen und anderen Bereichen eingesetzt werden kann.

„Ich bin sehr an Nanomotoren (winzige Vorrichtungen, die Dinge bewegen) in der Bionanotechnologie interessiert, wo geniale biologische Mechanismen für Nanostrukturen verwendet werden“, sagt Ellilä. In einer anderen Größenordnung denkend, meint sie aber auch: „Ich würde meine Zeit gern effizienter nutzen; daher finde ich die Idee von selbstfahrenden Autos sehr ansprechend.“

Aarnio-Juurinen verfolgt ebenfalls die rasant voranschreitende Nanotechnologie und ihre Anwendungen, die sogar zur Selbstreinigung von Textilien fähig sind. Von Beruf Designerin für Bekleidung hat sie jedoch auch die Nachhaltigkeit und Zukunft der Konsumkultur im Blick.

„Wir benötigen nicht unbedingt mehr nutzlose Dinge in dieser Welt, aber wir können die gegenwärtigen Lösungen mit ökologischem Denken verbessern“, sagt sie. „So könnte Kleidung wieder zu Rohstoffen recycelt werden, oder die gesamte Bekleidungsindustrie könnte durch 3D-Druck revolutioniert werden.“

Von Nina Broström, Februar 2018