Von gut zu „am gutesten“: Spitzenplatz für Finnland im Good Country Index

Finnland ist die Nummer eins im neuesten Good Country Index, mit dem gemessen werden soll, „was jedes Land der Erde zum Wohle der Menschheit beiträgt“. Wir sprechen mit Simon Anholt, dem Autor des Index, darüber, was mit „am gutesten zu sein“ gemeint ist.

Es gibt eine Fülle von internationalen Ranglisten und Berichten. Was unterscheidet jedoch den Good Country Index vom Global Competitiveness Index, dem Prosperity Index, dem World Happiness Report, dem Environmental Performance Index und allen anderen?

Der Good Country Index zieht eine Bilanz mithilfe von 35 Indikatoren, die die Beiträge der jeweiligen Länder in sieben verschiedenen Kategorien messen: Wissenschaft und Technologie, Kultur, Frieden und Sicherheit, Weltordnung, Planet und Klima, Wohlstand und Gleichheit sowie Gesundheit und Wohlbefinden.

Darüber hinaus geht es beim Good Country Index vor allem darum, was die jeweiligen Nationen für den Rest der Welt an Gutem leisten, und nicht darum, was in ihren eigenen Grenzen geschieht.

Die Fühler ausstrecken

Simon Anholt rief 2005 den Anholt Nation Brands Index ins Leben und gründete 2014 den Good Country Index.Foto: Sara Gibbings/Troy TV

„So ziemlich jeder einzelne (der anderen Indexe) untersucht auf die eine oder andere Weise die landesinternen Erfolge“, sagt Anholt. „Folglich behandeln sie die Welt so, als ob sie aus völlig separaten unabhängigen Inseln der Menschheit bestehen würde, die nichts miteinander zu tun haben.“

Seit den 1990er Jahren berät der in London lebende Simon Anholt Führungspersönlichkeiten aus mehr als 50 Ländern in Sachen Nation Branding. 2005 gründete er den Anholt Nation Brands Index. Allmählich nahm er jedoch den Bedarf für eine neue Art von Studie wahr und führte deshalb 2014 den Good Country Index 2014 ein (Finnland wurde damals Zweiter).

„Da wir in einem stark vernetztem, voneinander abhängigen Zeitalter leben, einem Zeitalter der fortschreitenden Globalisierung, war es gewiss sehr sinnvoll herauszufinden, wie Länder sich gegenseitig beeinflussen und damit das gesamte System prägen“, erläutert er.

Obwohl der Good Country Index eine immense Menge an Daten zusammenträgt, bezeichnet Anholt das als bloß „seine Fühler ausstrecken“, denn die Studie hat ihre Grenzen. „Die Wirkungskraft eines Landes auf die Welt auf 35 Indikatoren zu beschränken, ist offensichtlich nur ein Fingerzeig.“

Konversation und Kooperation siegen im Konkurrenzkampf

Schüler versammelten sich im Januar 2019 vor dem finnischen Parlament in Helsinki, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern. Laut Simon Anholt können die Bürger den Good Country Index dazu benutzen, Politiker zur Rechenschaft zu ziehen, indem sie sich in der Wahlkampfzeit beispielsweise auf die zentralsten Themen konzentrieren.Foto: Mesut Turan/Lehtikuva

Der Index bietet auch Möglichkeiten: „Er soll eine neue Form von Gespräch in Gang bringen und die Menschen aus diesem Grund dazu veranlassen, Ländern neue Fragen zu stellen.“

Dies gilt unabhängig davon, auf welchem Platz das eigene Land rangiert. Eigentlich ist das Wort „Rangfolge“ irreführend. Der Good Country Index zielt darauf ab, Konversation, Kooperation und gemeinsames Engagement zu fördern, statt darauf, wer das Ranking-Rennen „gewinnt“.

„Ich werte nicht“, stellt Anholt fest. Aus diesem Grund werden die verschiedenen Kategorien von Indikatoren in den Gesamtergebnissen nicht gewichtet. „Ich veröffentliche ihn (den Index) nur in Form einer Rangliste, weil dies die einfachste Methode ist, all diese Daten zu verarbeiten und den Menschen ein Gesamtbild zu vermitteln“, denn ein Vergleichsindex bringe die Menschen dazu, sich mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen.

Nach der ersten Veröffentlichung des Good Country Index erzählten ihm politische Aktivisten in Australien, dass sie die Datenmatrix des Index dazu benutzt hätten, ihre Fragen an Wahlkandidaten darauf zu konzentrieren, wie diese bestimmte Kategorien thematisieren würden, in denen das Land unterdurchschnittlich abgeschnitten habe. „Er ist ein Werkzeug. Wenn die Menschen sich dafür entscheiden, ihn dazu zu gebrauchen, ihre Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, dann ist das wunderbar. Das bedeutet nämlich, dass er funktioniert“, behauptet Anholt. In Finnland finden im April 2019 Parlamentswahlen und im Mai 2019 die Wahlen zum Europäischen Parlament statt.

Inspirationen und Erfahrungen teilen

Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark können auf eine lange Geschichte regionaler Kooperation zurückblicken und stehen wohl deshalb häufig an der Spitze des Good Country Index.Foto: ESA/eyevine/Lehtikuva

Der Good Country Index hat es zwar auf die Förderung von Diskussion und Zusammenarbeit abgesehen, ist jedoch nicht gegen den Grundgedanken des Wettbewerbs. Wenn Länder versuchen, die „gutesten“ zu sein, sei das absolut vernünftig.

„Wettbewerb ist in Ordnung“, sagt Anholt. „Er ist eine sehr effektive Triebfeder. Er wird lediglich dann zum Problem, wenn er das Einzige ist, das wir vergöttern. Das ist allerdings bei den meisten Ländern häufig der Fall.“ Seines Erachtens nach könnte „Governance-Kultur weltweit“ von grundsätzlich konkurrierend auf grundsätzlich partnerschaftlich umgeschaltet werden.

Etwas mehr zusammenarbeiten, etwas weniger gegeneinander konkurrieren, lautet sein unkomplizierter Vorschlag. Die nordischen Länder, die auf eine lange Geschichte regionaler Zusammenarbeit blicken können, befinden sich häufig an der Spitze des Index (die neuesten Ergebnisse lassen Schweden, Dänemark und Norwegen auf den dritten, fünften bzw. siebten Platz landen).

Was gut für die jeweiligen Nachbarn und den Rest der Welt ist, ist auch häufig gut für das eigene Land. „Man erzielt letzten Endes oft eine bessere Leistung im eigenen Land, wenn man sich Inspirationen und Erfahrungen in anderen Ländern zunutze macht und gute Ideen miteinander teilt“, erklärt Anholt.

Finnlands Stärken

Ein Kinderspiel wie ein Spaziergang im Park: Eine der Unterkategorien, in der Finnland gut abschneidet, ist die Einhaltung von Umweltvereinbarungen.Foto: Pasi Markkanen

Unter den sieben Kategorien des Good Country Index schneidet Finnland bei Wohlstand und Gleichheit mit am höchsten ab; es liegt dort an zweiter Stelle. Die 35 Unterkategorien umfassen u. a. Geburtenrate, ökologischer Fußabdruck, erneuerbare Energie, Spenden für wohltätige Zwecke, die Anzahl der Nobelpreise, Exporte kreativer Güter, humanitäre Hilfsbeiträge und die Anzahl der gesendeten UN-Friedenstruppen ins Ausland.

Finnlands Stärken sind Bewegungsfreiheit, Pressefreiheit, die Anzahl der Patente und internationaler wissenschaftlicher Publikationen, im Ausland getätigte Direktinvestitionen, geleistete Lebensmittelhilfe, Einhaltung von Umweltvereinbarungen und Cybersicherheit. Ein Verbesserungsbereich ist die Anzahl ausländischer Studenten: Finnland ist bekannt für sein Bildungssystem, doch Zahlen deuten darauf hin, dass es mehr tun sollte, um ausländische Studenten anzuziehen.

„Meine Botschaft an Finnland ist dieselbe Botschaft, die ich jedem Land geben würde, das an der Spitze des Index steht: Es handelt sich hierbei um keine Auszeichnung. Wer bin ich schon, um ein Land für sein Verhalten auszuzeichnen? Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Botschaft hinsichtlich seiner Verpflichtungen“, so Anholt.

Im Good Country Index gut abzuschneiden, zeige, dass ein Staat gut in der Gemeinschaftsarbeit sei und im Gegensatz zu manchen anderen „einige Dinge ausgeknobelt hat“, meint Anholt. Er solle „den inländischen und internationalen Nutzen eines verstärkten Engagements und verstärkter Zusammenarbeit“ auch weiterhin unter Beweis stellen.

Laut Anholt geht es darum, dass Länder „sich bereit und verfügbar machen, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten. Es ist also eine Gelegenheit für Finnland, in einer neuen Form mit anderen Ländern zu kooperieren.“

Der Musterfall

Licht scheint in die Hauptbibliothek der Universität Helsinki: Der Good Country Index legt nahe, dass Finnland mehr tun sollte, um ausländische Studenten anzuziehen. Foto: Sakari Piippo

„Zusammenarbeit von Staaten“ war in den letzten Jahren nicht gerade eine gemeinsame Parole bei Politikern. Stattdessen machte in den Nachrichten ständig das Wort „Polarisation“ die Runde.

„Wenn das nicht ein Musterfall für mehr Engagement und mehr Zusammenarbeit ist, was soll es sonst sein“, fragt Anholt. Er meint damit die Zusammenarbeit zwischen Menschen, die sich um die Welt als Ganzes Sorgen machen, im Gegensatz zu jenen, die sich mehr auf ihre eigenen Länder konzentrieren. Beides sei stichhaltig, sagt er. „Es ist sehr wichtig, dass der Good Country Index keinen weiteren Beitrag zum Tribalismus leistet.“

Die Messungen im Index weisen auf schwierige Fragen in Bezug auf Klimawandel, Migration, Gesundheitsfürsorge, Armut und andere Punkte hin. Wenn aber die Arbeit nun gerade darin besteht, sich in diese Statistiken hinein zu versenken, wie kann man da noch positiv bleiben?

Man schafft einfach ein Land. Anholts neuestes Projekt ist The Good Country, (übers. Das gute Land) das er und die Amerikanerin Madeline Hung gemeinsam gegründet haben und das man am leichtesten als ein virtuelles Land bezeichnen könnte. Es soll „beweisen, dass wir, wenn Länder lernen, zusammenzuarbeiten, echte Fortschritte machen.“ Jeder, der zur Lösung globaler Herausforderungen beitragen möchte, kann sich online anmelden und dort Bürger werden.

Im wirklichen Leben wird auch Finnland weiterhin überlegen, mit welchen Maßnahmen es der Menschheit dienen kann. Momentan ist das das “Guteste”, was es tun kann.

Von Peter Marten, Januar 2019