Über Liebe, Krieg, Kulturen und Frauen

Die beiden finnischen Autorinnen Katja Kettu und Johanna Holmström ziehen in- und ausländische Leser in ihren Bann.

Die beiden jungen finnischen Autorinnen Katja Kettu und Johanna Holmström haben es geschafft, mit ihrer intensiven Erzählkunst die Leser im In- und Ausland in ihren Bann zu ziehen.

„Was ich in der Operation Kuhstall getan habe. Weil ich ein schwacher Mensch bin. Weil ich dich liebe, Johannes, weil ich dein Kind trage. Als ich das begriffen hatte, wurde alles anders. Danach war ich bereit, alles zu tun, um zu überleben.“

Dieses Zitat aus dem soeben auf Deutsch erschienenen finnischen Bestseller „Wildauge“ von Katja Kettu enthält im Kern die gesamte – vor, während und nach dem Lapplandkrieg spielende – Liebesgeschichte zwischen der heißblütigen, archaischen lappländischen Hebamme, die zum Todesengel wird, und dem distanzierten deutschen SS-Obersturmführer und Reporter Johannes, der beim Massaker von Babyn Jar in der Ukraine dabei war.

Urgewaltige Wörterschlacht um existenzielle Fragen

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Eine Schriftstellerin bei der Arbeit: Katja Kettu sortiert die Kapitel ihres Romans „Wildauge“.Foto: Lari Mäkelä

„Kettu ist völlig einzigartig in ihrem Schreiben. ‚Wildauge‘ war das schwierigste Buch meines Lebens. Es war wirklich eine Wörterschlacht. Das war so schwierig zu verstehen und wiederzugeben und so unendlich reich an einem komplizierten Wortschatz“, sagt Angela Plöger, Kettus renommierte Deutsch-Übersetzerin.

Katja Kettu hortet seit ihrer Kindheit Wörter, je ausgefallener umso besser. Die 1978 im lappländischen Rovaniemi geborene Autorin, Journalistin, Animationsregisseurin und Punksängerin gehört zu Finnlands neuen literarischen Stimmen, die derzeit international auf sich aufmerksam machen. Und ihre Stimme ist urgewaltig, ganz ihre eigene und teilweise so lebensnah, so brutal, dass es einem davor graut.

„Mancher Mann hat sich allein schon davor geekelt, dass ich z.B. den Geburtsvorgang so krass beschreibe. Dies ist etwas absurd. Während des Krieges passierten viel mehr Abscheulichkeiten als das Wunder einer Geburt“, sagt die zierliche, junge Autorin.

So werden in der Operation Kuhstall im Zweiglager 322 Titowka Frauen „als Versuchstiere benutzt“ und „Wehmutter“ Wildauge macht letzten Endes – der Liebe und dem Zwang gehorchend – mit. Am Ende kreist alles um den Zeitpunkt, „an dem Wildauge klar wird, dass sie sich nicht vom Krieg fernhalten und sich niemand vor der Verantwortung entziehen kann“, erläutert die Autorin.

Tabu-Themen des Lapplandkriegs

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Kettu ist eine der ersten, die die Situation der Frauen, Kinder und Kriegsgefangenen im finnischen Lapplandkrieg behandelt.Foto: Ofer Amir/WSOY

Kettu ist eine der ersten, die die Situation der Frauen, Kinder und Kriegsgefangenen im finnischen Lapplandkrieg behandelt und das aus der sehr emotionalen bzw. emotionslosen, zynischen bzw. sarkastischen Sichtweise der beiden konträren Hauptprotagonisten.

Ihr 2011 geschriebener Roman „Wildauge“, dem „Surujenkerääjä“ (Der Trauersammler) und Hitsaaja“ (Der Schweißer) vorausgingen und „Piippuhylly“ (Die Gallerie) folgten, beruht auf den Aufzeichnungen ihrer Großmutter, aber auch Erinnerungen an den Großvater, der am Lapplandkrieg teilgenommen hatte.

Der Lapplandkrieg begann im September 1944 nach dem zwischen Finnland und der Sowjetunion ausgehandelten Separatfrieden, der die Finnen dazu zwang, ihre ehemaligen deutschen Waffenbrüder aus Finnland zu vertreiben. Diese ließen auf ihrer Flucht nach Norwegen verbrannte Erde, Frauen und Kinder zurück, über die zu sprechen von da an tabu war.

Kettus Roman „Wildauge“ wird 2015 unter dem Titel „Wildeye“ in der Regie von Antti Jokinen ins Kino kommen.

Über die Unterscheidung von Kultur und Religion

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Johanna Holmström, die nach eigenen Worten lieber denkt als redet und gern alles hinterfragt, schreibt auf Schwedisch, der zweiten Landessprache FinnlandsFoto: Riikka Hurri

Wie bei Katja Kettu sind auch bei Johanna Holmström Frauen, ihre Beziehungen zueinander und das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen Themen ihrer Bücher und die Sprache manchmal recht derb. Die in der finnischen und schwedischen Presse umjubelte, 33-jährige Journalistin, hat arabische Literatur studiert, zwei Töchter und einen marokkanischen Exmann. Holmström, die nach eigenen Worten lieber denkt als redet und gern alles hinterfragt, schreibt auf Schwedisch, der zweiten Landessprache Finnlands, und hat bereits mehrere Auszeichnungen für ihre Bücher erhalten.

Nun ist ihr Buch „Asphaltengel“ auf Deutsch erschienen, ein sarkastischer, flotter Roman über die Unterscheidung von Kultur und Religion, das neue Phänomen der islamischen Migration in Finnland sowie die repressiven Züge der finnischen Gesellschaft.

„Als ich 2005 mit dem Buch begann, war die politische Rechte in Finnland auf dem Vormarsch, und es gab eine Menge irreführender Diskussionen über den Islam in den Medien. Das hat mich geärgert, weil ich damals mit einem moslemischen Mann verheiratet war, der ebenfalls Probleme hatte, zwischen arabischer Kultur und der Religion Islam zu unterscheiden“, führt die Autorin als Grund für das Schreiben ihres Romans auf.

Holmström zeichnet in der Coming-of-Age-Story, in der sich Drama, Komödie und Krimi kreuzen, ein vielschichtiges, von Rassismus und Gewalt gefärbtes Bild der finnischen Gesellschaft, in der Mädchen häufig am meisten leiden müssen, ganz egal welcher Religion oder Ethnizität.

Alle Frauen tragen ein Preisschild

„Wir sind sehr unwillig, die Überreste von Sexismus und Patriarchat in unserer eigenen, heutigen Gesellschaft in Finnland zu sehen“, wettert Holmström.

„Wir sind sehr unwillig, die Überreste von Sexismus und Patriarchat in unserer eigenen, heutigen Gesellschaft in Finnland zu sehen“, wettert Holmström.Foto: Riikka Hurri

„Jede Frau heutzutage, ob westlich oder nichtwestlich, ist mit einem Preisschild versehen. Unterschiede sind da, aber sie sind insignifikant, solange keine von uns völlig frei ist“, Holmström über den Kern ihres Romans. Der handelt von einer zum Islam konvertierten Finnin, die so fanatisch ist, dass es ihrem muslimischen Mann, und ihren beiden Töchtern Samira und Teenager Leila, aus deren weltkluger Sicht der Roman erzählt wird, zu viel wird und eine Tragödie passiert.

„Mama findet, dass …, der hijab die einzige Möglichkeit ist, sich vor den verdammten Blicken zu schützen, die ihr unablässig sagen, dass sie nicht aussieht wie diese retuschierten vierzehnjährigen Models in der Elle und der Vogue… Eine Frau, die selbst entscheidet, was ein Mann von ihr sehen darf, und seinem Blick etwas entgegenstellt, ist eine Revolutionärin, die sich die Kontrolle über den eigenen Körper zurückgeholt hat“, sagt Leila in „Asphaltengel“.

„Feminismus ist absolut kein Thema in Finnland und daher auch nicht die muslimische Frau. Diskutiert wird über den Schleier. Man scheint hier die Meinung zu vertreten, dass eine nicht verhüllte Frau frei ist. Aber es geht dabei nur um ‚aus den Augen, aus dem Sinn. Wir sind sehr unwillig, die Überreste von Sexismus und Patriarchat in unserer eigenen, heutigen Gesellschaft in Finnland zu sehen“, wettert Holmstrom.

Von Rebecca Libermann, Oktober 2014