Null ist nicht nichts – zwei Zero-Waste-Restaurants in Helsinki

Die Methoden sind zwar sehr verschieden, doch beide Restaurants haben dasselbe Ziel: null Müll bei Lebensmitteln. Loop recycelt Zutaten, die Läden sonst wegwerfen würden, und Nolla hat alle Abfälle in seiner Küche verbannt.

„Essen ist was Politisches“, findet Ossi Paloneva, der Chefkoch des Helsinkier Restaurants Loop, das erstaunlich verlockende Speisen aus „Lebensmittelabfall“ serviert, d. h. aus Zutaten, die Geschäfte normalerweise in den Müll werfen.

„Ich war stets der Meinung, dass es doch hirnrissig wäre, als Koch überhaupt nicht an das Ganze zu denken“, erläutert er.

Die Schätzungen, wie viel Nahrung in Finnland jährlich verschwendet wird, variieren zwar, doch laut dem Wastestimator-Projekt, das von National Resources Institute Finland in Auftrag gegeben und von Januar 2016 bis Februar 2017 durchgeführt wurde, wird die Menge auf 335 Millionen bis 460 Millionen Kilo beziffert. Auf das Konto der Gastronomie gehen davon im Durchschnitt jährlich 70.000 Kilo. Abgesehen von Fragen der Moral oder Umweltverträglichkeit sind diese Abfallmengen aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll.

Trotz des relativ progressiven Bewusstseins der Finnen, unbedingt recyceln zu müssen, und einer Infrastruktur, die das Recycling unterstützt, tut man sich in Finnland mit dem Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung immer noch schwer. Die Bemühungen in der Helsinkier Restaurant-Szene könnten Vorbilder für diesen Wirtschaftszweig schaffen und Lebensmittelmüllberge abtragen helfen.

Was tun mit einem halben Lieferwagen Cornflakes?

Mitarbeiter des Restaurants Loop entladen einen Lieferwagen mit Lebensmitteln, die sonst weggeworfen worden wären.Foto: Niclas Mäkelä/Otavamedia/Lehtikuva

Das Restaurant Loop verbirgt sich in einem ehemaligen Spital in Lapinlahti, einem noch relativ unentdeckten grünen Winkel Helsinkis, der nur fünf Gehminuten von der U-Bahnstation im Stadtviertel Ruoholahti entfernt liegt. Zur Mittagszeit an einem Montag ist das Restaurant voll, und die zufriedenen Gäste bedienen sich mit Behagen an seinem reichhaltigen vegetarischen Büffet.

Trotz der etwas abseits gelegenen Lage hat sich das Restaurant bei Einheimischen und abenteuerlustigen Touristen einen Namen gemacht, wenn auch Eventgastronomie nach wie vor Loops Standbein ist.

„Das Konzept ist etwas verrückt und führt zu einer völlig anderen Art des Kochens“, sagt Paloneva und fügt hinzu, dass finanzieller Profit nicht der Hauptbeweggrund für diese ungewöhnliche Unternehmung sei, die von der Vereinigung „From Waste to Taste“ ins Leben gerufen wurde. „Bei Abfallprodukten gelten ganz andere Regeln. Aber das Erstaunlichste ist vielleicht, dass so viel guter Willen vorhanden ist. Es ist ein heißes Thema, und Unternehmen möchten mit uns assoziiert werden.“

Bei den Renovierungsarbeiten verwendete Loop überschüssige Baumaterialien, die von mehreren Unternehmen gespendet wurden. Der wichtigste Beitrag kommt jedoch von den rund zehn Dutzend Läden im Großraum Helsinki, die die Lebensmittel liefern.

„Wir haben Fahrer, die Tag für Tag unsere Lieferwagen mit aussortierten Lebensmitteln beladen, hauptsächlich mit Gemüse und Obst“, erzählt Paloneva. „Wir passen unsere Speisekarte jeweils dem an, was gerade verfügbar ist. So haben wir einmal einen halben Lieferwagen voller Cornflakes erhalten und zunächst gedacht: ‚Nein, das können wir nicht verwenden‘. Aber dann haben wir daraus Mehl gemacht.“

100% null ist das Ziel

“Wir verwenden kein Wegwerfplastik oder überhaupt etwas, was nicht irgendwie wiederverwertbar ist“, erzählt Luka Balac, einer der drei Küchenchefs, die das Ravintola Nolla (Restaurant Null) gegründet haben.Foto: Tim Bird

Ein weiteres Helsinkier Restaurant, das Ravintola Nolla (Restaurant Null), handelt nach einem Prinzip, das dem Loop diametral gegenüber steht. Statt zur Verminderung des Mülls anderer beizutragen, engagiert sich Nolla bei seinem Tun für den wirksamen Kampf gegen jegliche Art von Verschwendung. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels war Nolla gerade dabei, in seine neuen Räumlichkeiten im trendigen Stadtteil Punavuori umzuziehen, wo es Anfang 2019 erneut seine Türen öffnen wird.

Drei Köche, die sich aus dem Ausland kommend in der finnischen Gastronomieszene zusammenfanden, sind Nollas Initiatoren, und zwar der Portugiese Carlos Henriques, Albert Franch Sunyer aus Barcelona und Luka Balac aus Serbien.

„Wir alle drei hatten schon immer eine starke Verbundenheit zur Herstellung unseres eigenen Essens“, meint Balac, „und wir waren uns alle zutiefst bewusst darüber, dass etwas grundsätzlich falsch daran war, wie der Abfall von Nahrungsmitteln und Lebensmittelverpackungen – insbesondere die aus Plastik, was ein riesiges Problem darstellt – gehandhabt wurde. Wir fanden schließlich zu dem Konzept von Zero Waste. Wir verwenden kein Wegwerfplastik oder überhaupt etwas, was nicht wiederverwendbar ist.“

Diese Denkweise ändert alles, von der Art und Weise der Menüplanung bis zur Lagerung. Aber anstatt das Konzept als Verkaufstrick oder Novum auszubeuten, ist ihr Ansinnen, es in ihr „Gesamtpaket“ einzubinden.

Neuland

Küchenchef Luka Balac zeigt voller Stolz die superschnelle Kompostanlage, die Nolla hat. Der Kompost wird an die kleinständigen, lokalen Landwirtschaftsbetriebe gesandt, die die saisonalen Nahrungsmittel liefern.Foto: Tim Bird

Zufällige Restaurantgäste werden nicht unbedingt wissen, dass die Wassergläser aus im Präsidentenpalais weggeworfenen Flaschen produziert worden sind –  ein kleines, aber gutes Beispiel für das Konzept der Kreislaufwirtschaft. Sie wissen möglicherweise auch nicht, dass dort eine superschnelle Kompostanlage jeden Bissen Essen verschlingt, den die Kunden nicht verkonsumieren. Der Kompost wird an die kleinständigen, lokalen Landwirtschaftsbetriebe zurückgesandt, die die saisonalen Nahrungsmittel, die auf der Speisekarte stehen, liefern.

Dahinter steht das kompromisslose Streben, Zero Waste zur Regel und nicht zur Ausnahme zu machen, womit letztendlich sogar die Anziehungskraft verschiedener Apps obsolet würde, die die Verbraucher auf spezielle Angebote für Lebensmittel aufmerksam machen, die das Verfallsdatum überschritten haben. Balac zufolge müssen Restaurants und Geschäfte ihr Managementsystem ändern, um sicherzustellen, dass es erst gar nicht zu einer übermäßigen Lagerhaltung kommt.

„Niemand sonst in den nordischen Ländern tut so was“, behauptet er. „Wir betreten hier Neuland. In einigen Jahren, wenn wir demonstriert haben, dass dies ein praktikables Geschäftsmodell ist, wird unser Handeln, wie ich denke, weitaus üblicher werden.“

Von Tim Bird, November 2018