Der rapide Strukturwandel in der finnischen Telekombranche eröffnet Unternehmen bei der Suche nach hochkarätigen Ingenieurtalenten hervorragende Chancen. Finnland ist heute der ideale Standort für die Einrichtung von Forschungs- und Entwicklungseinheiten.
Die finnische Telekomindustrie entwickelte sich aufgrund des kontinuierlichen Wachstums zwischen 1990 und 2009 zu einem landesweit wichtigen Sektor. Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) galt als Eckpfeiler der finnischen Wirtschaft. Nokia war damals das Kleinod und der Stolz aller Finnen.
Aufstieg und Untergang der Nokia-Mobiltelefone
Im darauffolgenden Jahrzehnt führten das Heranreifen der Telekomindustrie, neue Akteure, ein neues globales Modell und veränderliche Marktanteile zu einem Strukturwandel. 2009 begann Nokia, sein Engagement im Mobilfunksegment zurückzufahren und Stellen in großem Umfang zu streichen. Konfrontiert mit sinkenden Verkaufszahlen entschied sich Nokia 2013 schlussendlich, sein Mobilfunkgeschäft an Microsoft zu verkaufen. Dies hatte einen drastischen Einbruch des umfangreichen Nokia-Ökosystems zur Folge.
Im Sommer 2015 folgten weitere Hiobsbotschaften: Microsoft kündigte den Personalabbau in seinem Mobilfunkgeschäft an und entließ in Finnland knapp 2.300 Mitarbeiter. Der F&E-Standort Salo sollte geschlossen werden, und in ganz Finnland war mit weiteren größeren Entlassungen zu rechnen.
Und das Ergebnis? Der entmutigende Todesstoß für die finnische IKT-Branche? Weit gefehlt. So einfach geben Finnen nicht auf. Es war der Auftakt eines neuen Kapitels, einer neuen Vision und einer zielstrebigen Wiederbelebung.
„Helsinki zählt zu den Top fünf Hightech-Metropolen der Welt.“
Ein Neuanfang
Weitläufige und rapide Veränderungen sind schmerzhaft, aber auch eine starke Triebfeder für Erneuerung. Wichtige Akteure in der Mobilfunkbranche haben das Parkett verlassen, aber die finnische IKT-Industrie sprüht heute vor Energie und ehrgeiziger Anpackmentalität.
Telekommunikation, Funk- und Mobilfunktechnologie sind noch immer gut aufgestellt. Die IKT-Zulieferindustrie ist schlank und kompetent, und die finnische Gaming-Industrie boomt. Hunderte neuer Technologie-Start-ups haben eine dynamische Start-up-Szene geschaffen. Und neue Akteure wie Intel, Huawei, LG und Zalando haben F&E-Einheiten in Finnland eingerichtet, um sich den vorhandenen Talentpool und die lokale Hightech-Gemeinschaft zunutze zu machen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie über innovative Hauptstädte zählt Helsinki zu den Top fünf Hightech-Metropolen der Welt.
„Diese rasante Veränderung bietet eine einmalige Chance, finnische F&E-Kompetenz von Weltrang zu nutzen. Man könnte sagen, dass finnische Ingenieure zu Finnlands größten Assets gehören“, erklärt Minna Matinaho, Leiterin für Kundenprozesse bei Invest in Finland.
„In Finnland stehen Preis und Leistung von Technologiefachkräften in einem großartigen Verhältnis zueinander. Die F&E-Ingenieure sind innovative Problemlöser und engagieren sich für ihre Aufgabe und ihren Beruf“, hebt sie hervor.
Finnen sind besonders engagiert
Creoir ist ein finnisches Start-up, das Design- und Ingenieurdienstleistungen anbietet. Es wurde mit dem iF-Designpreis 2015 ausgezeichnet und spezialisiert sich auf die Gestaltung von Benutzeroberflächen für Verbrauchermarken. Creoir zeichnet vor allem für das Design des Marshall-London-Smartphones und der Ibis-Smartwatch verantwortlich. Ehemalige Nokia-Mitarbeiter stellen einen Großteil des Personals. Pekka Väyrynen, der Geschäftsführer von Creoir, ist davon überzeugt, dass die finnische Arbeitsmentalität von entscheidender Bedeutung ist.
„Bevor ich Ende 2012 zu Creoir stieß, war ich Leiter der Produktentwicklung für Nokias N9 Meego-Telefone in Oulu.“ „Während meiner internationalen Geschäftsreisen kam ich mit unterschiedlichen Arbeitskulturen im Kontakt und erkannte, dass es finnischen Arbeitnehmern im Blut liegt, Initiative und besonderes Engagement zu zeigen“, führt Värynen aus.
„Sie können die Arbeit vielleicht zu einem günstigeren Preis ins Ausland auslagern, aber finnische Arbeitnehmer sind extrem flexibel. Wenn Ihnen Qualität und Termintreue am Herzen liegen, sollten Sie sich für Finnland entscheiden“, betont er nachdrücklich.
Etablierte Netzwerke und gute Sprachkenntnisse
Zu den Hinterlassenschaften von Nokia und Microsoft gehören etablierte berufliche Netzwerke.
„Rückblickend weiß ich die fachliche Kompetenz, die wir bei unserer Arbeit für Nokia gesammelt haben, am meisten zu schätzen. Die alten Netzwerke sind für den derzeitigen Erfolg unseres Unternehmens entscheidend. Sie gestatten uns die Ausweitung unserer Produktion. Und sie ermöglichen es potenziellen Kooperationspartnern, Informationen über uns einzuholen“, so Väyrynen weiter.
Eine weitere wertvolle Hinterlassenschaft ist die Möglichkeit, Englisch als Arbeitssprache zu nutzen.
„Finnen sprechen ein ausgezeichnetes Englisch. Wir sind es gewohnt, in einem internationalen Umfeld mit zahlreichen Standorten zu arbeiten und haben Kontakte in aller Welt. Das bedeutet, dass wir für etwaige Probleme immer eine Lösung finden können.“
Weitere Vorteile für internationale Unternehmen, die in Finnland eine Präsenz aufbauen möchten, sind die äußerst niedrige Mitarbeiterfluktuation und eine offene Kommunikationskultur.
„Die Mitarbeiter wechseln nicht zweimal pro Jahr, wie in bestimmten anderen Ländern. Das bedeutet, Sie müssen keine wertvolle Arbeitszeit in die Einarbeitung neuer Mitarbeiter oder in Schulungen investieren. Finnen können außerdem ihre Fehler eingestehen. Probleme lassen sich oft schneller lösen, wenn man nicht darauf bedacht ist, sein Gesicht zu wahren“, kommentiert Väyrynen.
Von Leena Koskenlaakso, September 2016