1944 packte meine Großmutter ein paar Habseligkeiten zusammen und siedelte mit ihrem neugeborenen Baby um. Das Moskauer Waffenstillstandsabkommen war gerade unterzeichnet worden. Ihre Heimatregion, Uukuniemi in Karelien, war Teil Südostfinnlands; dreiviertel davon würden von nun an sowjetisches Territorium werden.
Zu den Dingen, die sie bei sich trug, gehörte mit ziemlicher Sicherheit ein Anstellgut für Roggenbrot, auch Vorteig oder Starter genannt, bei dem es sich um ein Stück Teig handelt, das man gären lässt und später dann dem nächsten Schub Brotteig hinzufügt. Roggenbrot war damals noch viel mehr als heute eines der Grundnahrungsmittel der finnischen Ernährung.
Wie wahrscheinlich war es, dass Oma das Anstellgut mitgenommen hatte? Ich fragte meine Großtante danach und sie sagte: „Natürlich hatte sie es dabei“, was andeutete, dass die Frage albern war.
Die ersten Schritte
Meine Großmutter brachte mir das Kochen bei. Schweigsam und zurückhaltend war sie eine unwillige Lehrerin, ich dagegen ein hartnäckiger Schüler. Sie mochte behaupten, sie könne sich nicht erinnern, wie man süßes Kardamom-Hefegebäck, „Pulla“ genannt, backt, aber es half ihrem Gedächtnis auf die Sprünge, als sie meine Anfängerversuche in der Küche beobachtete. Ich erinnere mich, wie sie zu mir sagte: „Noch mehr Butter!“
Nach ihrem Tod wurde mir mit einem Gefühl des Verlustes und der verpassten Chance klar, dass ich nie gelernt hatte, Roggenbrot zu backen, das finnische Nahrungsmittel, das ich am liebsten mag.
Ich erwähnte dies meiner Tante in Südfinnland gegenüber. Sie ging in die Küche und kam mit einem kalten, grauen Ball in einer Plastiktüte zurück. Dies war, wie sie glaubte, ein Anstellgut für Roggenbrot, das sie im Gefrierschrank meiner Großmutter gefunden hatte. Später mutmaßten wir, dass er von dem ersten Wandervorteig abstammte, den sie aus Karelien hierher mitgenommen hatte.
Total auf Roggen stehen
Laut einer Website namens „Suomi syö ja juo“ (Finnland isst und trinkt), die vom Helsinkier Hotel- und Restaurantmuseum unterhalten wird, begann der Roggenanbau in Finnland um 500 v. Chr. Das Leben im landwirtschaftlich geprägten Finnland war jahrhundertelang mit der Aussaat, dem Anbau und der Ernte von Roggen für die Brotproduktion verbunden.
In Ostfinnland wurde einmal pro Woche und in Westfinnland zweimal im Jahr gebacken, sodass die Menschen im Westen getrocknetes Brot und im Osten weiches Brot aßen. Brot, besonders Roggenbrot, gehörte zu fast jeder Mahlzeit. Noch heute gilt Roggenbrot als das beliebteste Brot des Landes.
Meine Familie und ich sind kürzlich nach Zagreb in Kroatien gezogen. Um das Anstellgut über den Kontinent zu bringen, hatte ich ein Stück Teig ausgerollt und es an einem sonnigen Ort auf der Fensterbank trocknen lassen. Dadurch blieben die Bakterien erhalten, die das Brot aufgehen lassen. Später, nachdem ich den Starter „gefüttert“ hatte (frisches Mehl und Wasser hinzugefügt hatte, um ihm neue Energie zu geben), erwachte er wieder zu neuem Leben.
Eine Zutat ist Geduld
Zum Backen von Roggenbrot benötigt man Geduld, denn es sind über mehrere Tage hinweg verschiedene Schritte erforderlich.
Man muss das Anstellgut bei jemandem besorgen (Man kann auch seinen eigenen Starter zubereiten; siehe Rezept weiter unten). Im amerikanischen Portland in Oregon, wo ich aufgewachsen bin, gab es zwei miteinander konkurrierende Stränge von Roggenanstellgut. Die Besitzer von beiden behaupteten, ihre Sorte sei die Beste, und vielleicht waren beide nur zufällig „100 Jahre alt“.
Der Vorteig mag Wärme. Als ich in Helsinki lebte, stellte ich die Schüssel ins Badezimmer auf einen beheizten Handtuchhalter. In Zagreb schalte ich die Heizung in der Küche ein und schloss fest alle Türen und Fenster.
Man muss den Starter nach ein oder zwei Tagen „füttern“, wenn er nicht zu gären beginnt. Das erreicht man, indem man etwa einen Deziliter des Vorteigs in der Schüssel lässt und den Rest wegwirft. Einen Deziliter Mehl und die gleiche Menge lauwarmes Wasser hinzufügen, verrühren und abdecken. Wenn er einen starken, stechenden Geruch verströmt, weiß man, dass er nun fertig ist.
Magischer Geschmack
Die wahre Magie entsteht, wenn man Roggenmehl, Wasser und Salz hinzugefügt und den Teig geknetet hat. (Wenn sich das Anstellgut auf dem Höhepunkt seines Fermentationszyklus befindet, ist keine zusätzliche Hefe mehr erforderlich.) Dies sollte am Abend gemacht werden, und dann sollte der Teig über Nacht etwa zehn Stunden lang an einem warmen Ort gehen.
Morgens daraus Laibe formen, die noch mindestens zwei weitere Stunden gehen sollten und schließlich gebacken werden. Die lange Gärung trägt dazu bei, den säuerlichen, würzigen Geschmack zu entwickeln, der ein Kennzeichen des finnischen Roggenbrotes ist (einige Rezepte verwenden eine kürzere Gärungszeit).
Timing ist alles, und es kann schwierig sein, es so zu koordinieren, dass der Vorteig beispielsweise am Freitagabend fertig ist, damit man am Samstagmorgen backen kann.
Lebenserhaltende Geschichten
Brot ernährt uns, genau wie die Geschichten aus unserer Vergangenheit. Ich sage meinen Jungs immer, dass Roggenbrot stark macht; ich erzähle ihnen von meiner Großmutter und ihrem Haus in Ilomantsi, einer Kleinstadt in Nordkarelien, nahe der heutigen russischen Grenze.
Wenn ich sie im Winter besuchte, baute ich Schneeburgen und ging mit meiner Schwester und unseren Cousins Skifahren und Rodeln. Nachdem ich wieder im Haus war, spielte ich auf dem großen holzbeheizten Backofen, der aus Ziegeln gebaut war. (Meine Großmutter machte morgens ein Feuer darin, und der Ofen blieb den ganzen Tag warm.) Anhaftender Schnee schmolz von meinen Wollsocken, und die Feuchtigkeit verdunstete dann auf den noch warmen Ziegeln.
Ich erzähle meinen Kindern, wie es gewesen sein muss, sein Zuhause zu verlassen und Flüchtling zu werden, und ein Baby unterwegs warm und gefüttert zu halten. Und, sage ich, ist es nicht lustig, wenn man daran denkt, dass es zu all diesen Zeiten und an all diesen Orten dasselbe Roggenbrot gegeben hat, das ihr auch jetzt noch esst?
Von Eric Bergman, Oktober 2023
Rezept: Finnisches Roggenbrot aus Sauerteig
Das folgende Rezept wurde mit Genehmigung des Martta-Verbands (auf Finnisch als Martat bekannt) erneut veröffentlicht. Die bereits 1899 gegründete gemeinnützige Organisation bietet Beratung zu den Themen Lebensmittel, Ernährung, Gartenarbeit, Umwelt, Familienfinanzen und Verbraucherfragen.
Ein weiteres Rezept für Roggenbrot – und viele andere Speisen – findet man auf unserer Webseite mit ostfinnischen Rezepten. Diese Methode erfordert die Zugabe gebrauchsfertiger Hefe, wohingegen der Sauerteig im folgenden Rezept keine handelsübliche Hefe enthält, was dem Brot einen würzigen Geschmack verleiht, den viele Puristen lieben. (Trotzdem enthält die letzte Phase des folgenden Brotrezepts ein optionales Hinzufügen von Hefe.)
Egal, welche Roggenbrotsorte man bevorzugt, sollte man sich unbedingt auch unsere anderen leckeren Rezeptartikel anschauen.
Den Starter herstellen
In Finnland kann man sich das Anstellgut gegebenenfalls bei einer Bäckerei, bei Freunden, Nachbarn oder im Geschäft besorgen. Man kann es jedoch auch selbst herstellen.
1. Tag
- 3 Esslöffel Roggenmehl
- 3 Esslöffel lauwarmes Wasser
- Die Zutaten in einem kleinen Glasgefäß vermengen und das Glas dann zwei Tage lang an einen warmen Ort, beispielsweise auf den Kühlschrank, stellen. Den Deckel des Glasbehälters lose daraufsetzen, damit die Luft zirkulieren kann.
3. Tag
- 2 Esslöffel Roggenmehl
- 2 Esslöffel lauwarmes Wasser
- Weiteres Mehl und Wasser hinzufügen und das Glasgefäß für einen weiteren Tag an denselben Ort stellen.
4. Tag:
Nun kann man mit dem Anstellgut Brot backen. Anfangs ist der Starter nur leicht säuerlich, wird er aber zum Brotbacken verwendet, verstärkt sich der Geschmack. Das Anstellgut hält sich im Kühlschrank etwa zwei Wochen, im Gefrierschrank jedoch länger.
Roggenbrot aus Sauerteig
Nachdem man nun den Vorteig hat, wie macht man dann das eigentliche Roggenbrot? Dieses Rezept ergibt zwei Brote.
Phase 1:
- 2 dl lauwarmes Wasser
- ca. 1 dl Sauerteigstarter
- 2 dl Roggenmehl
Phase 2:
- 6 dl lauwarmes Wasser
- 1/2 bis 1 Esslöffel Salz
- (ca. 10 g Hefe) [optional, siehe weiter unten]
- 1,6 – 1,8 Liter Roggenmehl [ca. 1 kg]
Phase 1:
1. Wasser, Sauerteigstarter und Mehl zu einem glatten Teig verrühren.
2. Mit Frischhaltefolie lose abdecken und an einen warmen Ort stellen, beispielsweise in die Nähe des Herds oder auf den Kühlschrank. Über Nacht stehen lassen oder bis sich so richtig Blasen bilden.
3. Wenn der Sauerteig Blasen schlägt und ein leicht säuerliches Aroma entwickelt, ist er fertig.
Phase 2:
1. Das Salz (Menge je nach Belieben) und das Wasser zum Teig dazugeben und verrühren, bis sich das Salz aufgelöst hat. Wer sicherstellen will, dass der Teig wirklich aufgeht, löst etwas Hefe in der Teigflüssigkeit auf. (Viele Bäcker legen Wert darauf, dass der Teig auf natürliche Weise aufgeht, ohne Hefe hinzuzufügen.)
2. Das Mehl nach und nach unter den Teig mengen. Die Qualität des Mehls beeinflusst die Menge, die benötigt wird.
3. Den Teig kräftig durchkneten, mindestens zehn Minuten mit der Hand oder fünf Minuten maschinell, bis er glatt und ziemlich fest ist. Mit einem Tuch abdecken, an einen warmen Ort stellen und aufgehen lassen, bis sich sein Volumen verdoppelt hat, je nach Temperatur nach etwa drei bis sechs Stunden. Es ist wichtig, den Teig schön gehen zu lassen.
4. Den Teig auf eine gut bemehlte Arbeitsfläche geben und etwas vom Teig auf dem Boden der Schüssel übriglassen, der das Anstellgut für das nächste Mal bilden wird. Den Teig mehrmals kräftig durchkneten.
5. Den Teig in zwei Teile teilen und diese dann zu runden Kugeln rollen. Auf ein Backblech legen und mit einem Tuch abdecken. Man kann den Teig auch dazu verwenden, ein ziemlich dünnes Brot mit einem Loch in der Mitte zu backen [Anmerkung der Redaktion: Dies ist eine weitere traditionelle Brotform, die man hier häufig sieht]. Den Teig zwei bis drei Stunden gehen lassen, je nachdem, wie warm der Ort ist. Drückt man den Teig leicht mit dem Finger an, sollte er rasch wieder aufgehen. Möchte man das Brot etwas flacher machen, kann man die Laibe flacher drücken. Mit einer Gabel Löcher in die Oberfläche der Brote stechen.
6. Die Brote bei 225 Grad etwa 20 Minuten backen, dann die Temperatur auf 180 Grad senken und etwa 40 Minuten weiterbacken. Wer flacheres Brot mit einem Loch in der Mitte backen möchte, backt es 20 bis 30 Minuten lang bei 225 Grad. Ob das Brot fertig gebacken ist, prüft man, indem man es umdreht und mit den Fingerknöcheln auf die Unterseite des Laibs klopft. Wenn ein hohles, dumpfes Geräusch zu hören ist, ist es fertiggebacken. Die Brote nun unter einem dicken Tuch abkühlen lassen.
Tipp: Wer einen Elektroofen benutzt, kann Wasser in einen Behälter schütten, beispielsweise in eine Metallschale, und diese auf den Boden des Ofens stellen. [Dies wird dazu beitragen, eine schönere Kruste zu erzeugen.]
Rezept mit freundlicher Genehmigung des Martta-Verbandes