2015 steht ganz im Zeichen des 150.Geburtstags des Nationalkomponisten Jean Sibelius, zu dessen Ehren in Finnland und rund um den Globus Sonderveranstaltungen und Konzerte stattfinden. Wir haben zwei Insider um Tipps gebeten, wie man so richtig mitfeiern kann, und sehen, was Sibelius und Heavy Metal gemeinsam haben.
Sibelius steht dem finnischen Pianisten Folke Gräsbeck sehr nahe. Er hat zwei Drittel seiner annähernd 600 Werke interpretiert, darunter 90 Erstaufführungen von seltenen und neu entdeckten Kompositionen.
Im April wird Gräsbeck ein Album veröffentlichen, in dem er auf Sibeliuses eigenem Flügel spielt. Das Album wurde nämlich in Ainola aufgenommen. So heißt Sibeliuses Haus, das in der Nähe des Städtchens Järvenpää steht, etwa 40 Kilometer nördlich von Helsinki. Der jetzt einhundert Jahre alte Steinway wurde dem Komponisten einst zu seinem 50. Geburtstag geschenkt.
„Mit seinem warmen, subtilen, lyrischen Klang ist es ein pures Vergnügen, ihn zu spielen, und die Luft in diesem Haus ist sicherlich von spirituellen Schwingungen durchtränkt“, sagt Gräsbeck.
Zusammen mit dem Dirigenten Osmo Vänskä und dem Lahti-Sinfonieorchester ist Gräsbeck auf vielen Tracks von BIS Records zu hören. Die Plattenfirma hat vor Kurzem eine Edition sämtlicher Sibelius-Werke, von denen man weiß, fertiggestellt.
Fünf Jahrzehnte in 68 CDs
„Wir besitzen jetzt diese 68-CD-Box, die es erlaubt, sich das Gesamtwerk von Sibelius, von 1883 bis 1931, anzuhören“, so Gräsbeck. „Ein Hauptmerkmal all seiner Werke ist die starke melodische Präsenz. Schon in seinen Jugendwerken findet man fesselnde Melodien. Er besaß zwar noch nicht das romantische ‚Kalevala‘-Vokabular, das er in ‚Kullervo‘ und ‚Lemminkäinen‘ sowie seinen großen Orchesterwerken erreichte, aber das Gefühl, eine intensive Melodie vor sich zu haben, war von Anfang vorhanden.“
Gräsbeck bevorzugt die weniger bekannten Werke von Sibelius. Er findet, dass viele davon neben der engen Auswahl von einigen wenigen „Evergreens“ wie „Finlandia“, „Valse triste“, das Violinkonzert und die sieben Symphonien einen wahren Hörgenuss sowie Perspektive und Tiefe bieten.
Der Pianist präsentiert auf seinem Festival, das auf der südwestfinnischen Insel Korpo stattfindet, sowohl unbekannte Glanzstücke als auch wohlbekannte Werke. Im Juli 2015 tritt dort das Flinders-Quartett aus Australien auf. 2015 spielt Gräsbeck auch in Berlin, Tel Aviv und in der finnischen Stadt Lahti, deren Sibelius-Halle nach seinen Worten „bei Weitem der beste Ort ist, der Musik von Sibelius zu lauschen, denn sie hat so eine hervorragende Akustik.“
Auf dem Programmzettel des Sibelius-Festivals in Lahti stehen das BBC Symphony Orchestra und finnische Stardirigenten wie Osmo Vänskä, Leif Segerstam, Jukka-Pekka Saraste und Sakari Oramo.
Gräsbeck hat auch mit der Enkelin von Sibelius, Satu Jalas, Einspielungen gemacht. Sie hat ihre Violine von Sibelius geerbt, die sein Onkel Jean, ein Meereskapitän, ihm gekauft hatte. Der junge Johan Julius Christian Sibelius, dessen Spitzname damals Janne war, übernahm den kosmopolitischen Namen seines Onkels, und es blieb dabei. Auch die Schwester von Jalas, Aino, ist eine professionelle Oboistin, deren Sohn, Lauri Porra, einer der führenden finnischen Filmkomponisten und Bassisten ist, der sich vor allem im Pop, Jazz und Rock hervorgetan hat.
Sibelius, der „Godfather of metal“?
Porra spielt desweilen einige Takte aus der „Finlandia“, dem berühmten Werk seines Urgroßvaters, wenn er mit seiner ungemein erfolgreichen Metal-Band, Stratovarius, ein Bass-Solo zum Besten gibt.
„Wer sich für „Finnish metal“ interessiert, sollte unbedingt Sibelius auschecken“, sagt er. „Sein Stil hat die gesamte finnische Musik beeinflusst, besonders Metal, denn es ist sehr harmonisch und besitzt eine nationalromantische Seite. Metal und Klassik stehen sich eigentlich sehr nahe. Sibelius ließ in seine Werke viele Inspirationen aus alter karelischer (ostfinnischer) Folklore und dem ‚Kalevala‘ (dem finnischen Nationalepos) einfließen. Auch finnische Metal-Bands wie Amorphis machen das.“
„Jedem in Finnland wird diese Runen-Tradition beigebracht. In ihr herrscht eine ein wenig melancholische B-Tonart. Das kann man bei Sibelius wie auch im finnischen Metal hören. Die größeren, melodischeren Bands wie Stratovarius, Amorphis, Nightwish und Sonata Arctica sind alle auf die eine oder andere Weise von Sibelius beeinflusst. Die meisten ‚Finnish metal‘-Musiker haben einen gewissen klassischen Hintergrund, wozu natürlich auch das Spielen von Sibelius-Musik gehört.“
Porras Mutter, die ihren Großvater gut gekannt hat, leitet das Sibelius-Familienkomitee, das das Jubiläumsjahr 2015 beaufsichtigt.
Die Bausteine der finnischen Identität
„Das Schöne ist, dass 2015 in Hinblick auf Sibelius nicht nur das getan wird, was offensichtlich ist“, sagt Porra. „Zum Beispiel wird das Avanti! Kammerorchester einen Teil seiner Musik für Theaterstücke und Ballettaufführungen neu interpretieren. Ich nehme daran auf meine eigene Weise teil, indem ich im Frühjahr durch 150 Schulen toure und Sibelius-Lieder spiele und improvisiere.“
Am 12. Februar 2015 findet in der Sibelius-Halle die Uraufführung von Porras Konzert für E-Bass und Orchester mit dem Lahti-Sinfonieorchester statt. Etwa zur gleichen Zeit gibt er sein drittes Soloalbum, „Flyover“, heraus, ein Instrumental-Projekt mit Symphonieorchester.
„Selbst wenn einem die Musik von Sibelius nicht interessiert, sollte man Ainola besuchen, denn es ist eines der besterhaltenen Heimmuseen der Welt, und nahebei, in der Umgebung des Tuusula-Sees, liegen zahlreiche andere Künstlerhäuser“, sagt er. „Wir veranstalten hier immer noch Familienfeiern wie zu Ainos Geburtstag oder gehen einfach nur dorthin, um eine Tasse Kaffee zu trinken.“
Porra erinnert sich gerne an seine Großmutter Margareta, die ihm „viele lustige Geschichten“ über ihren Vater erzählt hat.
„Sibelius hatte einen viel größeren Einfluss auf die finnische Geisteshaltung als bloß auf die Musik. Schließlich trugen er und andere Künstler zur Schaffung der nationalen Identität bei. Es gibt sogar einen Begriff für das finnische Selbstverständnis: ‚Sauna, Sisu und Sibelius‘.“
Von Wif Stenger, Januar 2015