Finnlands großartige Natur gehört allen

Nach dem Jedermannsrecht kann sich jeder in der finnischen Natur frei bewegen, unabhängig davon, wem das Land gehört.

Dank eines einmaligen, nur in den nordischen Ländern existierenden Rechtsprinzips, darf jeder sich in den finnischen Wäldern und Landschaften frei bewegen, unabhängig davon, wem das Land gehört.

Das Jedermannsrecht ermöglicht es Finnen und Ausländern gleichermaßen, Finnlands viel gerühmte Wälder, Fjälls und Seen zu erkunden und die Produkte der Natur kostenfrei einzusammeln wie die köstlichen Wildbeeren und Pilze, selbst wenn diese in Wäldern wachsen, die sich in Privatbesitz befinden.

„Das Rechtsprinzip des Jedermannsrechts formte sich im Laufe vieler Generationen“, sagt Rechtsexpertin Anne Rautiainen vom finnischen Outdoors-Verband. „Es ist in keinem einzigen Gesetz verankert, obwohl sein Geltungsbereich in vielen Teilen der Gesetzgebung im Rahmen unterschiedlicher Themenkreise wohldefiniert ist.“

„Das Jedermannsrecht basiert auf dem Grundgedanken, es jedem Einzelnen zu ermöglichen, die allzeit beliebten finnischen Outdoor-Aktivitäten wie Wandern, Langlauf im Wald, Bootfahren, Schwimmen sowie Pilze- und Beerenpflücken ungehindert genießen zu können.“

Mit Rechten kommen Pflichten

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Man braucht keine Erlaubnis, um mit einem simplen Fischhaken und Leine in finnischen Gewässern zu angeln. Für sonstiges Fischen ist jedoch eine Genehmigung erforderlich.Foto: Visit Finland

„Das Jedermannsrecht gewährt jedem einzelnen Zugang zu rund 90 Prozent des Landes, was Finnland zu einem, im wahrsten Sinne des Wortes, freien Land macht“, hebt Umweltminister Ville Niinistö hervor. „Wir sollten an dieser großartigen rechtlichen Tradition festhalten, aber bei der Wahrnehmung dieser Rechte müssen wir uns natürlich auch verantwortungsvoll verhalten. Jeder Einzelne, auch die neue Generation von Stadtkindern sowie Immigranten und Touristen, die vielleicht nicht an dieses Recht gewöhnt sind, sollten unbedingt lernen, wie das Recht funktioniert.“

Orte, an denen das Zugangsrecht begrenzt ist, sind Gärten von Privathäusern, Felder, wo Ernte wächst, eine Reihe von Naturschutzgebieten, Industriegebiete, militärische Gelände und ein schmaler Streifen entlang der finnisch-russischen Grenze. Das Jedermannsrecht gestattet auch den Gebrauch von Kraftfahrzeugen abseits von öffentlichen Straßen nicht. Es gilt überdies nur für simples Fischen mit Angelrute (zum Fischen mit Netzen, Reusen oder Fliegenfischen braucht man jeweils eine Genehmigung). Für einige Aktivitäten wie Jagen oder Lagerfeuer ist stets die Erlaubnis des Landbesitzers erforderlich.

Grauzonen

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Wanderer wärmen sich an einem Lagerfeuer am Ufer des Kitkajoki, ein Fluss bei Kuusamo im Nordosten Finnlands.Foto: Visit Finland

Bei einigen Aspekten ist die rechtliche Definierung in Bezug auf das Jedermannsrecht bewusst unklar gehalten. So können Wanderer „temporär“ in nicht umzäunten oder geschützten Naturgebieten frei campen. Doch wenn das Land jemandem gehört, dürfen keine „unzumutbare Störungen“ oder „signifikante Schäden“ verursacht werden.

Hiermit sei Raum für gesunden Menschenverstand und Flexibilität in der Anwendung der Vorschriften geschaffen worden, erläutert Rautiainen. „So wurde beispielsweise kein eindeutiger Abstand festgelegt, wie weit man sich dem Haus eines anderen nähern darf, weil sich die Umstände unterscheiden, wenn ein Gebiet abgelegen ist oder bebauter“, sagt sie. „Das funktioniert auch in der Praxis meistens, da die Finnen ein instinktives Gespür dafür haben, was jemand anderen stören könnte.“

Anne Rautiainen leitete vor Kurzem ein Expertenteam, das beauftragt war, einen umfangreichen Leitfaden zusammenzutragen, der den Rahmen des Jedermannsrechts bis ins kleinste Detail beleuchtet. „Wir hoffen, dass dieses neue Handbuch Fragen klären wird und damit möglichen Konfliktsituationen vorbeugt. Seine Erstellung war jedoch viel komplizierter als erwartet. Wir mussten zahlreiche Juristen konsultieren, staatliche und kommunale Behörden, auch Organisationen wie die Interessengruppen der Naturschützer und Grundbesitzer“, sagt sie.

Einmaliges nordisches Kulturerbe

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Sommernächte: Wanderer dürfen ihre Zelte überall in Finnlands freier Natur aufstellen.Foto: Elina Sirparanta/Visit Finland

Hinter dem Jedermannsrecht steht der Grundgedanke, dass im Wesentlichen überall in Finnland Aktivitäten im Freien dort erlaubt sind, wo sie nicht ausdrücklich verboten sind, während sie in den meisten Ländern überall dort verboten sind, wo sie nicht ausdrücklich gestattet sind.

Finnlands Jedermannsrecht, das Norwegens und Schwedens Rechten ähnelt, ist weltweit so beispiellos, dass vorgeschlagen wurde, es in das UNESCO-Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufzunehmen. Diese eklektische Liste umfasst solche Kulturschätze wie die französische Küche, den argentinischen Tango und die traditionelle persische Teppichweberei.

„Hier in Finnland wird das Jedermannsrecht manchmal für selbstverständlich angesehen“, sagt Rautiainen. „Internationale Publizität wird vielleicht zu einer größeren Wertschätzung dieser Freiheiten bei uns führen. Auch könnte sie dazu beitragen, Touristen klarzumachen, was für wunderbare Möglichkeiten sie hier haben, abseits der ausgetretenen Pfade die Wildnis zu erkunden und unsere herrlichen Naturlandschaften frei zu genießen.“

Von Fran Weaver, Juni 2013