In einem kürzlichen Training der Winnipeg-Jets im amerikanischen Newark, New Jersey, sah man Patrik Laine freudestrahlend – lächelnd und Grimassen schneidend – übers Eis flitzen. Für ihn stellte es anscheinend die beste Zeit seines Lebens dar: Er ist ein Teenager, dessen Traum, in der National Hockey League zu spielen, wahr geworden ist. Seine ultra-schnellen Hände feuerten einen Handgelenkschuss nach dem anderen ins Tor, wobei er gelegentlich seine erfahreneren Mannschaftskollegen total aus der Fassung brachte.
Laines einzige Sorge an diesem Tag schien der mittmärzliche Schneesturm an der Ostküste zu sein, durch den das Spätsaisonspiel der Jets gegen die New Jersey Devils in der Nacht zuvor verschoben wurde und ihn fassungslos und mit viel Freizeit an der Hand sitzen ließ. Klar, die Jets stehen kurz davor, aus den Playoffs eliminiert zu werden, aber Laine wollte spielen. Dazu war er ja hier.
„So was habe ich noch nie gesehen, dass ein Spiel wegen ein wenig Schnee abgesagt wird“, sagt er vor seinem Spind sitzend. Laut Nachrichtenberichten wurden New York und Umgebung durch den Sturm von 15 bis 60 Zentimeter Schnee bedeckt. „Ich habe wirklich nicht verstanden, warum wir nicht spielen konnten. Aber das entscheide nicht ich. Ich werde spielen, wenn mir gesagt wird zu spielen.“
Ein Schuss, den niemand versteht
Patrik Laine beantwortet im Youtube-Kanal der Winnipeg Jets Fragen der Fans über das Leben im NHL.
Wie wohl die meisten Jugendlichen verbrachte Laine die Mußezeit an diesem Abend mit Fernsehen und Videospielen in seinem Hotelzimmer. Trotz seiner imposanten Größe von 193 Zentimetern und einem Gewicht von 95 Kilogramm ist Laine dem Gesetz nach nicht alt genug, um sich seinen älteren Teamkollegen anzuschließen, die vielleicht der Versuchung nachgegeben haben, zwei Metrostationen weiter die Vergnügungen New Yorks für über 21-Jährige auszukosten.
Zwei Nächte später im Barclays Center in Brooklyn trat sein jugendliches Ungestüm denn auch zum Vorschein. Frustriert, als ein Gegner ihm den Puck wegnahm, reagierte Laine mit einem törichten High-Sticking-Penalty bei einem 4:2-Sieg über die New York Islanders und bestätigte damit, dass selbst einer der besten Spieler im NHL gelegentlich noch seinem Alter entsprechend ein Kid sein kann.
Von seinem jungen Alter abgesehen, hat der hart schießende Stürmer bereits einen unauslöschlichen Eindruck auf den NHL gemacht und könnte auf dem Weg zu einem der größten finnischen Spieler in der Liga-Geschichte sein, auf dem gleichen Podest stehen wie Jari Kurri, Teemu Selänne und Esa Tikkanen.”
Warum sticht dieser frühreife Rookie so sehr aus der Gruppe der besten Eishockey-Spieler der Welt hervor?
„Er hat einen Schuss, den niemand begreift“, sagt Jets-Trainer Paul Maurice. „Wenn wir ihn im Video verlangsamen und uns den Flex anschauen, dann ist er immer wieder anders. Da ist der One-Timer mit unglaublicher Geschwindigkeit, der Handgelenkschuss, der von seinem Schläger fliegt, ehe man denken kann (dass so was möglich ist). Und bei diesem Alter oder eigentlich jedem Alter sieht man einen solchen Schuss einfach nicht sehr oft.
Im Riesentempo an die Spitze
Laine, der am 19. April 2017 seinen 19. Geburtstag feiert, ist in seiner ersten Spielzeit zu einer solchen Sensation geworden, dass kundige NHL-Insider sagen, dass er den Calder Cup gewinnen wird, der dem besten Rookie in der der NHL-Liga verliehen wird. Im Vorfeld der Abstimmung findet zwischen Torontos Auston Matthews, der die erste Position im NHL-Entry-Draft 2016 errang, und Laine, der die Nummer zwei war, nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen statt. (Zwei weitere finnische Spieler wurden damals ebenfalls unter die ersten fünf gewählt: Jesse Puljujärvi und Olli Juolevi.)
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels Ende März rangierte Laine mit 34 Toren, darunter drei Hattricks (drei Tore in einem Spiel), im NHL auf dem fünften Platz, während Matthews 33 Tore aufzuweisen hatte. Beide verbuchten 27 Assists, womit Laine, auch was die Gesamtpunktzahl betrifft, vor Matthews liegt.
„Wenn man das Training heute beobachtet hat, sich seine Hände und die vielen Male anschaut, die er gepunktet hat, denkt man bei sich, dieser Kerl muss das beste Kid in der Liga sein“, sagt Maurice. „Ich bin mir sicher, dass Toronto das Gleiche über Auston Matthews denkt.
„Aber Patty Laine hat sich als Spieler im Vergleich zum Jahresbeginn deutlich verändert. Der Grund, warum diese Story nicht erzählt wird, sind die Scorer-Werte, die verflixt konsistent sind. Er startete als Torschütze und ließ das ganze Jahr nicht davon ab. Aber sein Spiel jenseits vom Puck hat auch große Fortschritte gemacht. Und dabei ist er erst 18 Jahre alt.“
Sollte Laine, wie erwartet, gewinnen, wird er der erste Finne sein, der zum Rookie des Jahres ernannt worden ist seit Selänne, der 1993 im Alter von 23 Jahren nach sechs Spielzeiten mit den Jokerit in Helsinki ebenfalls mit den Jets seine NHL-Karriere begann.
„Das wäre umwerfend, finde ich“, sagt Laine. „Wir haben in diesem Jahr viele tolle Rookies und sie haben sich alle gut gemacht. Das wäre eine reife Leistung für mich. Ich versuche tagtäglich, ein guter Spieler zu sein, und hoffentlich kann ich das auch werden.”
Von Tampere nach Winnipeg
Überraschung! Patrik Laine erscheint plötzlich auf einer lokalen Geburtstagsparty eines Jungen in Winnipeg.
Laines rasche Integrierung in den NHL führt der Generaldirektor der Jets, Kevin Cheveldayoff, auf den „Selänne-Effekt“ zurück, wie er ihn nennt. Ihm zufolge kann ein finnischer Spieler, der im kleinsten Markt des NHL startet, keinen leichteren Übergang haben.
„Es herrscht wahrscheinlich nicht viel Unterschied zwischen Winnipeg und Finnland, denn auch dort sind die großen Städte nicht so riesig“, sagt Cheveldayoff. „Als Selänne hierher kam, schloss er Winnipeg ins Herz und Winnipeg gewiss auch ihn. Auch Patrik tat das, aber Patrik hat seinen eigenen Charakter.“
Laines Familie hat dazu beigetragen, sein Leben in Kanada angenehmer zu gestalten. Seine Mutter kam aus Tampere, ihrer Heimatstadt im südlichen Mittelfinnland, um in der ersten Hälfte der Spielzeit bei ihm zu sein, und sein Vater lebt während der zweiten Hälfte mit ihm in Winnipeg. „Das hat mir sehr geholfen“, meint der Teenager. „Ich muss mir um nichts Sorgen machen, nur Eishockey spielen. Es ist toll; es steht immer Essen auf dem Tisch, wenn ich nach Hause komme, und alles andere ist auch ok. Es hat alles etwas leichter gemacht.“
Laine sagt, er vermisst Tampere und plant, den Sommer in der Spielzeitpause dort zu verbringen. Die Jets sind so ziemlich aus dem Rennen, sich für die Play-offs zu qualifizieren. Er ist dennoch fest entschlossen, die restliche Spielzeit mit einem Hoch zu beenden. Er hat aber viel Zeit gehabt, die Bewunderung seiner Mannschaftskollegen zu gewinnen.
„Er ist ein sehr respektvoller junger Mann“, sagt Cheveldayoff. „Das erkennt man auch daran, wie er sich den erfahreneren Spielern anpasst. Er betritt einen Raum nicht automatisch und denkt dabei: ‚So, hier bin ich‘. Er kommt rein und ist respektvoll mit ihnen, auch respektvoll mit den Betreuern und Trainern. Er gibt Autogramme, bis der Bus abfährt. Wenn man sich in meiner Position zurücklehnt und zuschaut, sieht man, wie eine Person handelt, wenn niemand zusieht. Bei ihm ändert sich überhaupt nichts.”
Schnelle Anpassungsgabe
Laine spielte davor für den Tampere-Klub Tappara (Tappara bedeutet „Streitaxt“). Seine ehemaligen Teamkollegen äußerten sich erstaunt über seine zunehmende Hartnäckigkeit und Reife im NHL, insbesondere wie schnell er nach einer Gehirnerschütterung wieder auf die Beine kam, die durch einen bösartigen Hit von Buffalos Jake McCabe verursacht worden war. Laine verpasste acht Spiele in den 17 Tagen, in denen er sich erholte, was es umso bedeutsamer macht, dass er dennoch in den Statistiken Matthews überrundet hat.
Laut Cheveldayoff hat sich Laine von Anfang an mit seinem körperlichen Spiel und seiner schnellen Anpassung an die NHL-Spielflächen, die schmaler sind als die in Europa, Respekt eingeheimst.
Am wichtigsten ist, dass Laine weiß, dass er gut und nicht zu scheu ist, es zu gestehen.
„Ich glaube, ich hatte stets Selbstvertrauen, aber das Spiel war so anders. Jetzt erkenne ich aber, dass ich in dieser Liga gut spielen, punkten und Dinge produzieren kann“, sagt er. „Ich habe immer an mich geglaubt. Aber jetzt ist es einfacher zu sehen, dass ich in dieser Liga ein guter Spieler sein werde.“
Von Michael Hunt, März 2017