In klassischen Musikkreisen gilt Finnland schon seit langem als Hochburg der Dirigenten, ein heiß umkämpftes Feld.
Etablierte Namen wie Susanna Mälkki, Esa-Pekka Salonen, Sakari Oramo, Jukka-Pekka Saraste, Osmo Vänskä und Hannu Lintu sind allerdings bereits 55 oder älter. Eine neue Altersgruppe aufstrebender junger Finnen beweist nun, dass das Land Dirigententalente von einer Generation zur nächsten fördert. Alle diese Taktstockschwinger verbindet Professor Jorma Panula und das Ausbildungssystem, das er an der Sibelius-Akademie in Helsinki geschaffen hat.
Panula (geboren 1930) hat einige der gefragtesten finnischen Nachwuchsdirigenten unterrichtet: Emilia Hoving, Tarmo Peltokoski und Klaus Mäkelä, die zum Zeitpunkt des Schreibens alle unter 30 waren.
Wie ein Orchester reagiert
„Die pädagogischen Instrumente, die Panula vor Jahrzehnten eingeführt hat, sind mit der Grund, warum es so viele prominente Dirigenten aus Finnland gibt“, sagt Hoving (geboren 1994). „An der Sibelius-Akademie dürfen Dirigierstudenten während ihres Unterrichts ein Studentenorchester dirigieren, was sehr wichtig ist.“
Der Unterricht wird gefilmt, und im Anschluss daran gibt es eine Analysesitzung mit dem Professor. „Das ist von wesentlicher Bedeutung, damit sich ein junger Dirigent technisch weiterentwickelt und ein tiefes Verständnis dafür bekommt, wie ein Orchester auf seine Gesten reagiert“, so Hoving, die die besten finnischen und schwedischen Orchester sowie das BBC Symphony, das Philharmonia, das Yomiuri Nippon Symphony Orchestra und das Royal Scottish National Orchestra dirigiert hat. Die finnische Filmregisseurin Anna-Karin Grönroos hat Hoving in dem preisgekrönten Dokumentarfilm „Conductivity“ porträtiert.
Hoving begann ihr Studium bei Panula, absolvierte aber den größten Teil ihrer Ausbildung bei Sakari Oramo und Atso Almila.
Panula sorgte 2014 für Kontroversen, als er behauptete, Frauen hätten nicht genug Kraft für den Dirigentenjob. Das brachte ihm Kritik von Salonen und anderen ein. Dieses Argument wird auch durch den Erfolg finnischer Dirigentinnen wie Susanna Mälkki, Dalia Stasevska und Eva Ollikainen, die von Hoving für die Abhaltung „inspirierender Meisterkurse“ an der Akademie gerühmt wurden, gründlich widerlegt, falls überhaupt ein Beweis dafür nötig ist.
Stellare Karrieren
Der letzte prominente Panula-Protegé ist Peltokoski (Jahrgang 2000), bekannt für seine extravagante Bühnenpräsenz. Er wurde von der Deutschen Welle als „jüngster Stardirigent der Welt“ bezeichnet. Der philippinisch-finnische Pianist ist Erster Gastdirigent der Bremer und Rotterdamer Philharmoniker und musikalischer Leiter der Orchester von Toulouse und Riga.
Im Mai 2024 veröffentlichte er sein erstes Album bei der Deutschen Grammophon und meinte dazu: „Es ist ein Luxus, Mozart mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen aufzuführen; diese drei Symphonien einzuspielen, ist ein wahr gewordener Traum.“ Ein zweites Album mit Musik des englischen Komponisten Ralph Vaughan Williams ist bereits in Arbeit.
Der gefeiertste finnische Nachwuchsdirigent ist Klaus Mäkelä (geboren 1996), ein Cellist, der das Orchestre de Paris und die Osloer Philharmoniker leitet. Ab 2027 wird er Chefdirigent des Royal Concertgebouw Orchestra und der bislang jüngste Musikdirektor des Chicago Symphony Orchestra sein.
Auch Mäkelä lobt Panula für seine Ausbildung, betont jedoch in Interviews, dass das Hauptziel seines Mentors darin bestand, jedem jungen Dirigenten dabei zu helfen, sich auf seine eigene einzigartige Weise zu entfalten.
Superwichtig
Die Arbeit eines Dirigenten umfasst natürlich viel mehr als nur den Auftritt auf der Bühne. Die meisten Anstrengungen finden hinter den Kulissen statt, von der Analyse der Partituren und der Zusammenstellung von Konzertprogrammen bis hin zur Leitung von Proben und das Orchester dazu zu bringen, Werke so zu interpretieren, wie der Dirigent sie sich vorstellt. Für alle diese jungen Künstler ist die Entdeckung neuer Werke, die uraufgeführt werden sollen, ein wichtiger Teil ihres Berufs.
„Ich finde, dass wir ein völlig neues Kapitel für das (Chicagoer) Orchester aufschlagen können, was das Repertoire und die Entwicklung desselben außergewöhnlichen Klangs angeht, aber dabei so flexibel wie möglich bleiben“, erklärte Mäkelä im April 2024 gegenüber der New York Times. Peltokoski hat kürzlich neue Werke wie das Posaunenkonzert des peruanischen Komponisten Jimmy López Bellido aus der Taufe gehoben, während Hoving die australische Erstaufführung des Violinkonzerts „Procession“ der amerikanischen Komponistin Missy Mazzoli leitete.
„Es ist superwichtig, zeitgenössische Werke auf den Programmzettel zu setzen“, sagt Hoving. „Ich mache liebend gerne neue Musik, aber es ist nicht immer einfach, sehr abenteuerliche zeitgenössische Programme umzusetzen. Mancherorts kann es aus Marketinggründen schwierig sein.“
Die Pandemie habe in dieser Hinsicht ihren Tribut gefordert, denn das Orchester musste das Publikum wieder in die Konzertsäle locken, was mit vertrautem Repertoire leichter zu bewerkstelligen sei.
„Das ist verständlich, aber wir sollten uns nicht auf einem ‚bequemen‘ Programm ausruhen“, sagt sie. „Das finnische Publikum steht in der Regel der zeitgenössischen Musik sehr positiv und begeistert gegenüber, was mich sehr freut.“
Von Wif Stenger, Oktober 2024