Live-Gigs mit weniger Klimasorgen: Finnlands Musikindustrie hat einen Plan

Wenn man mit Freunden auf einem Konzert oder Festival ist, möchte man lieber kein Unbehagen über die Treibhausgas-Emissionen der Veranstaltung empfinden. Doch was, wenn sie sorgfältig geplant wurde, um Emissionen zu minimieren, oder sogar als klimaneutral zertifiziert wurde?

Finnlands Live-Musikindustrie beabsichtigt, internationaler Vorreiter in Sachen Klimaneutralität zu werden. Aus diesem Grund taten sich Branchenvereinigungen, darunter der Finnland-Festival-Verband und der Verband der finnischen Symphonieorchester, für eine vom Ministerium für Bildung und Kultur mitfinanzierte, einjährige Untersuchung des CO₂-Fußabdrucks dieses Wirtschaftszweigs zusammen und stellten 2023 im Helsinkier G Livelab Club ihre Cool Music-Klima-Roadmap vor.

Finnland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden, deshalb sind alle Bereiche der Wirtschaft mit eingebunden, nicht nur die Schwerindustrie, sondern auch „leichtere“ Sektoren wie Kunst und Kultur. Die Live-Musik-Roadmap erfordert tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise, wie Festivals und Konzerte veranstaltet werden – und vor allem in der Art und Weise, wie die Fans sie erreichen.

Umsetzung und Optimierung

Eine Frau singt und eine weitere Frau sowie drei Männer spielen Streichinstrumente für ein Publikum in einem Raum mit zahlreichen Gemälden an den Wänden.

Die amerikanische Komponistin und Musikerin Caroline Shaw (Mitte) ist beim Our Festival mit dem Kamus-Streichquartett im Studiomuseum des berühmten Malers, Pekka Halonen (1865–1933), aufgetreten. Our Festival, ein Mitglied des Finnland-Festival-Verbandes, kann auf eine lange Erfolgsbilanz in Sachen Nachhaltigkeit zurückblicken und hat Schritte unternommen, um bis 2025 klimaneutral zu werden.
Foto: Maarit Kytöharju / Our Festival

Eine Analyse der aktuellen Situation legte eine Ausgangsbasis für eine Progression fest, die belegte, dass der Reiseverkehr mehr als 70 Prozent der Emissionen in diesem Wirtschaftsbereich ausmacht.

„Die größten Emissionsquellen entfielen auf Transport und Beschaffung, einschließlich Catering, Marketing und Performance-Technologie“, sagt Sara Salminen von Positive Impact, ein Mitglied des Roadmap-Teams, das für 2030 und 2035 in vier Hauptbereichen – Verkehr, Energie, Konsum und kulturelle Veränderungen – Ziele setzt.

„Konkrete Ziele zur Verringerung von Emissionen können durch eine Optimierung der Logistik und die Auswahl pflanzlicher Lebensmittel in der Gastronomie direkt umgesetzt werden“, sagt Salminen.

„Zu den Zielen für 2030 gehört es, pflanzliche Lebensmittel in der gesamten Musikbranche zur Regel zu machen, klimafreundliche Entscheidungen zur Eindämmung der Emissionen im Verkehr zu treffen, sich wann immer möglich für erneuerbare Energien zu entschließen und alle Akteure der Musikindustrie dazu zu verpflichten, sich der gemeinsamen Klimamission zu verpflichten.“

Smooth-Jazz-Tournee

Drei Männer stehen in einer Reihe und spielen Kontrabass, Tenorsaxofon und Akkordeon.

Von links: Eero Tikkanen, Pauli Lyytinen und Harri Kuusijärvi bilden das Trio Sole Azul, das „den Tango an den Wurzeln ausreißt und ihn in den gefrorenen nordischen Boden verpflanzt“, wie es auf ihrer Website heißt. Die drei haben für den finnischen Jazzverband Pionierarbeit in Hinblick auf ein kohlenstoffarmes Tourneemodell geleistet.
Foto: Aarni Toiviainen

Der finnische Jazzverband, der Auftritte in ganz Europa organisiert, hat in den letzten Jahren Pionierarbeit für ein klimafreundliches Tourneemodell geleistet.

2022 tourte das Jazz-Tango-Trio Sole Azul durch Nordfinnland. Es fuhr mit einem Zug nach Lappland, fast 1.000 von seinem Standort in Helsinki entfernt. Die Musiker ließen sich in einer Hütte in Kittilä nieder und pendelten mit dem Elektroauto zu fünf Konzertorten, darunter mehrere kleine Dörfer.

„In einem Land von der Größe Finnlands ist es praktisch unmöglich, ein professioneller Bühnenkünstler zu sein, ohne ein großes Gebiet abdecken und viele Kilometer zurücklegen zu müssen“, so Harri Kuusijärvi, der Akkordeonist der Gruppe. „Wir hoffen, dass die Klimaneutralität auf Tourneen bald selbstverständlich sein wird.“

Jazz-Gigs sind in der Regel eine einfachere Angelegenheit als die Auftritte von Sinfonieorchestern oder großen Rockbands, aber die Branche verfolgte das Jazz-Pilotprojekt, um sich dort Denkanstöße zu holen.

Kultur und Kunst in der Klimapolitik

Während die Nacht hereinbricht, verfolgt das Publikum die Geschehnisse auf einer Freibühne und tanzt.

Beim Raahe-Festival „Jazz on the Beach“, dessen Veranstalter, wann immer möglich, „Slow Touring“ mit Schiff und Bahn befürworten, herrscht Musik- und Tanzbetrieb.
Foto: Ville Vainio / Raahe Jazz on the Beach

„Die meisten Künstler, Promoter und Eventveranstalter haben bereits vor unserem Projekt großes Interesse am Klimaschutz an den Tag gelegt, es fehlten ihnen aber konkrete Instrumente dafür“, sagt Raisa Siivola, Tourneeprojekt-Managerin des Jazzverbandes.

„Die meisten von ihnen gaben an, dass sie durch das Projekt nützliche Informationen zur Verbesserung ihrer Nachhaltigkeit erhalten hätten.“

Die größte Herausforderung besteht ihrer Meinung nach darin, „Pläne in die Tat umzusetzen. Es ist schwierig, die bestehende Arbeits- oder Konsumkultur umzukrempeln. Eine weitere Herausforderung ist, vermehrt politische Sensibilisierung zur Förderung immaterieller Güter und Dienstleistungen wie Kultur und Kunst als Teil der gesamten Klimapolitik zu schaffen.“

Laut Charles Gil, der internationale Tourneen produziert und das Raahe-Festival „Jazz on the Beach“ leitet, „herrscht zwar mehr Bewusstsein für das Thema, aber in der Praxis gibt es noch sehr viel zu tun.“ 

Räder, Busse und Bahnen

Ein Mann in einem schwarzen Hemd blickt hinter einem offenen Flügel in die Kamera, wobei die Saiten im Inneren des Klaviers sichtbar sind.

Der renommierte Jazz-Keyboarder Kari Ikonen experimentiert mit Konzerttourneen, bei denen lediglich Fahrrad-, Bus- und Bahntransporte zum Einsatz kommen.
Foto: Tanja Ahola

Gil plädiert für „Slow Touring“, also langsame Tourneen mit dem Schiff und der Bahn, wann immer dies möglich sei. Es reduziere nicht nur die Emissionen, sondern senke auch den Stresspegel der Musiker, wovon auch das Publikum profitiere. Gil bringt auch keine ausländischen Künstler mehr zu einzelnen Auftritten nach Finnland.

„Für das Raahe-Festival buchen wir lediglich ausländische Künstler, wenn sie ohnehin in Finnland touren“, erläutert er. „Es ist schwieriger, aber dafür ist man motivierter, auch an anderen Orten mehr Konzerte für einen Gastkünstler zu finden, den man wirklich haben möchte.“

2022 unternahm der gefeierte Keyboarder Kari Ikonen mit Buchungsunterstützung von Gil eine einmonatige „flugfreie europäische Solopiano-Tournee mit Zero CO₂-Emissionen“ und 14 Konzerten in fünf Ländern, wobei er größtenteils mit dem Zug reiste. Seine Tournee durch die baltischen Länder 2024 wird Zug, Bus und E-Bike umfassen.

Im Herbst 2020 hatte Ikonen bereits mit Fahrradtouren durch die südfinnische Region Uusimaa experimentiert, als die Covid-Beschränkungen das Publikum klein hielten. „Diese Tour hatte großen Spaß gemacht und die Aufmerksamkeit der lokalen Medien auf sich gezogen“, erzählt er. „Ich hatte Glück mit dem Wetter; ich musste meine Kleidung nur einmal hinter der Bühne zum Trocknen aufhängen.“

Von Frau Stenger, Oktober 2023