Finnland ist nicht gerade bekannt für brutale Morde und blutige Tatorte; es sei denn in der Welt der Romanliteratur. Die nordischen Krimis erfreuen sich immer größerer internationaler Beliebtheit, und Finnlands Beitrag dazu ist originell.
Der Mord war besonders bestialisch. Das Opfer hatte Feinde in hoher Stellung. Der Detektiv, der mit dem Fall betraut ist, hat eine Fülle von persönlichen Problemen und steht unter dem Druck seiner Vorgesetzten, das Verbrechen zu lösen oder es dann eben ungeklärt zu lassen.
Dieses Szenario klingt vertraut, aber denken Sie jetzt nicht, dass es sich hier lediglich um einen banalen Krimi handelt. Im letzten Jahrzehnt haben Kriminalromane, die im Norden spielen, die Bestsellerliste erklommen. Aus ihnen wurden sogar Blockbuster-Filme.
Weltbild: noir
Der amerikanische Autor James Thompson baute sich seine Karriere als Schriftsteller in Finnland auf, wo er mehr als 15 Jahre gelebt hat. Er verfügt über eine beträchtliche Fangemeinde sowohl im Finnischen als auch im Englischen und Deutschen: Sein neuester Roman, Helsinki Blood (Helsinkier Blut), ist im März 2013 auf Englisch herausgekommen.
Thompson weist darauf hin, dass zwischen Kriminalroman und Roman noir ein Unterschied besteht. „Der Noir birgt eine düsterere Weltansicht in sich, desweilen sogar eine Schreckensvision“, sagt er. „Im Noir befindet sich die Welt vielleicht zu Beginn der Geschichte im Gleichgewicht, aber es ist eine grimmige Balance. Das Verbrechen wird in der Regel gelöst, doch die Welt ist anschließend deswegen kein besserer Ort, und der Protagonist hat sich nicht verändert, zumindest nicht zum Besseren.“
„Nicht immer triumphiert das Gute am Ende“, meint Tapani Bagge, dessen Buch Punainen Varjo (Roter Schatten) ebenfalls im März veröffentlicht wurde. „Es ist hartgesottener. Es sterben auch viele Menschen am Ende.“
Kritiker, Autoren und Leser gleichermaßen haben versucht, der Frage, warum diese Romangattung so beliebt ist, auf den Grund zu gehen. Einige glauben, dass der eigentliche Grund in der Betrachtungsweise liegt, die der globale Leser hinsichtlich des nordischen Wohlfahrtstaatsmodells einnimmt.
Doch es gibt simplere Erklärungen: Sowohl Bagge als auch Thompson denken, es gehe um die Qualität der Literatur. Der Erfolg von Stieg Larssons Millennium-Serie habe Verlage in den Zugzwang gebracht, weitere nordische Autoren zu finden, unterstreicht Thompson.
Finnische Vielfalt
Leena Lehtolainen, deren Buch Sag mir, wo die Mädchen sind in deutscher Übersetzung 2012 herauskam und ihr Her Enemy (Auf die feine Art), Maria Kallios zweiter Fall, im Frühjahr 2013 auf Englisch veröffentlicht wird, äußert ihre Ansicht dazu: „Ich denke, der Leser will spüren, dass sowohl er als auch die Heldin nicht machtlos sind, dass man etwas gegen die Bösewichter tun kann, dass die Dinge sich ändern können, wenn der Preis auch hoch sein mag“, sagt sie. „Das Buch mag düster sein, aber gelegentlich gibt es auch Lichtblicke bei der Hauptfigur, die nicht immer dem Gesetz folgt, ihre eigenen moralischen Werte aber kennt.“
Mag auch die Kriminalliteratur aus dem Norden insgesamt bestimmte gemeinsame Merkmale aufweisen, sind die Bücher aus Finnland nach Meinung der drei Autoren doch anders.
„Wir haben unsere uns eigene Geschichte und eine lange Grenze mit Russland, die wir nie vergessen können“, sagt Lehtolainen. „Die Ostfinnen haben einen Charakter, der eher dem der Russen ähnelt als dem der Schweden. Wir sind Teil der nordischen Länder, aber wir waren einst Teil Russlands, sodass wir und unsere Bücher eine Verbindung zwischen beiden Welten darstellen.“
„Finnland ist ein exzentrisches und schrulliges Land“, sagt Thompson. „Kulturell ist Finnland einzigartig und exotisch, mit nichts vergleichbar. Handlungen, die in Finnland spielen, können einen in neue Gefilde entführen und einem die Welt in einer Weise vor Augen führen, wie man sie sich vorher nie so vorgestellt hat.“
„Wir haben mehr Humor und eine gewisse finnische Verrücktheit“, meint Bagge. „Man findet hier mehr Bücher aus der Sicht des Täters und nicht nur aus der des Detektivs. Zudem sind die Finnen nicht gesprächig. Daher ist der Dialog in unseren Büchern realistisch, schlicht und besonders gewichtig.“
Dunkle und verschneite Nacht
Einigkeit herrscht bei allen drei Autoren darüber, dass die finnischen Jahreszeiten von äußerst wichtiger Bedeutung für ihre Handlungen sind. Lehtolainen sagt, die Jahreszeiten seien mehr als bloße Kulisse. Die Wetterbedingungen hätten eine besondere Relevanz. Die Finnen würden sich auch zu verschiedenen Jahreszeiten anders verhalten: „Die Dunkelheit macht uns melancholisch“, sagt sie.
„Wenn ich eine Geschichte schreibe, die im finnischen Winter angesiedelt ist, dann spielt die Umwelt eine so wichtige Rolle, dass sie schon fast eine Figur ist“, sagt Thompson. „Der Winter wirkt sich auf jeden Aspekt des Lebens aus. Wir stimmen unser Leben darauf ab. Der Winter ist ein Teil von uns, ein Antagonist und eine Konfliktquelle. In gewisser Hinsicht prägt er uns.“
„Lange, dunkle Zeiten bringen dunkle Gedanken mit sich“, sagt Bagge pragmatisch. „Im Winter kann man in der Tiefe der gefrorenen Seen Leichen verstecken oder im Wald unter den Schneewehen.“
„Und die Schneeschmelze lässt viele oder die meisten im Winter als vermisst gemeldeten Menschen wieder auftauchen“, fügt Thompson hinzu.
Viele finnische Autoren, darunter Leena Lehtolainen und Tapani Bagge, sind in verschiedene Sprachen übersetzt worden und haben Fans rund um den Globus.
Von David J. Cord, März 2013