Aufgrund der klirrend kalten Winter wissen Finnen, wie man mit Eis und Schnee umgeht. Im arktischen Boom von heute ist die Nachfrage nach Finnlands arktischen Know-how groß.
Da Finnen ihre Winter bei Temperaturen weit unter null und Dunkelheit verbringen, haben sie gelernt, das Beste daraus zu machen. Jeder weiß, wie man auf eisigen Straßen Auto fährt. Die Finnen kennen sich auch im Testen von Fahrzeugen unter arktischen Bedingungen gut aus. Das Know-how und die Infrastruktur für Quantentechnologie- und Nanotechnologielösungen hat Finnland seiner Grundlagenforschung im Bereich der Tieftemperatur zu verdanken.
1. Eisbrechen im Aalto-Eistank
In der Hauptstadtregion Helsinki gibt es ein arktisches, meerestechnisches Ökosystem mit drei separaten Wasserbecken zum Testen von Polarschiffen und Offshore-Konstruktionen im Modellformat. Eines dieser Wasserbecken – der Aalto-Eistank – befindet sich auf dem Gelände der Abteilung für Maschinenbau der Aalto-Universität in Espoo. Die Anlage kann von akademischen Fachkräften und Industrieexperten gleichermaßen genutzt werden.
„Der Aalto-Eistank, der 2015 und 2016 gründlich überholt wurde, ist aufgrund seiner Abmessungen und insbesondere wegen seiner Breite einzigartig in Europa. Das 40 Meter breite und 40 Meter lange Wasserbecken ist mit einem Kühlaggregat und Geräten ausgestattet, die Meereis im Modellmaßstab erzeugen. „Das feinkörnige Eis wird mithilfe eines Sprühverfahrens erzeugt“, erläutert Jukka Tuhkuri, Professor für Festkörpermechanik an der Aalto-Universität.
„Die getesteten maßstabsgetreuen Schiffsmodelle sind in der Regel fünf bis sechs Meter lang. Das breite Becken ermöglicht die Erforschung der Drehbewegung von Schiffen im Eis, des Eisversagens an breiten, am Meeresboden verankerten Offshore-Konstruktionen wie Häfen und Windparks. Arktische Offshore-Konstruktionen werden getestet, indem man maßstabsgetreue Modelle erstellt und Eis dagegen drückt“, veranschaulicht Tuhkuri.
Gängige Experimente in dem 2,8 Meter tiefen Eistank umfassen Widerstands-, Antriebs- und Manövriertests mit kleinen Schiffsmodellen im Eis, Eisbelastungstests an Offshore-Konstruktionen und die Modellierung natürlicher Eisformationen wie Eisrücken.
Professor Tuhkuri ist Mitglied des Forschungsteams Arctic Marine Technology, das zu den weltweit führenden Forschungsgruppen in diesem Bereich gehört. Neben ihrer Arbeit mit dem Aalto-Eistank führen die Forscher auch Experimente und Messungen in der Antarktis, in arktischen Gewässern, auf Schiffen und in anderen Laboratorien durch.
2. Ein arktisches Testgelände für Fahrzeuge
Ein neues Testgelände zum Testen selbstfahrender Fahrzeuge unter eiskalten Klimabedingungen wurde in Muonio knapp 200 Kilometer nördlich des Polarkreises eröffnet. Das 5.000 Quadratmeter große Testgelände steht allen Fahrzeugherstellern aus der Automobilbranche offen und wird als „Lapland Proving Ground“ bezeichnet.
Muonio ist eine der kältesten finnischen Gemeinden und daher ein idealer Ort zum Testen von Fahrzeugen unter extremen arktischen Bedingungen – klirrende Kälte, Schnee, Eis und Dunkelheit.
Das Testgelände umfasst unterschiedliche Teststrecken von 20 Kilometern Länge, bis zu 10 Kilometer lange Eisbahnen auf einem örtlichen See sowie eine große Werkstatt und ein Bürogebäude. Auch Kältekammern, in denen die Temperatur bis auf -45°°C heruntergekühlt werden kann, stehen zur Verfügung.
Weitere Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen befinden sich ganz in der Nähe im Arctic Research Centre. Diese Einrichtungen können von Forschungs- und Entwicklungsorganisationen, Universitäten, Technologie- und Dienstleistungsanbietern genutzt werden, die für die Testindustrie in der Automobilbranche arbeiten. Der Lapland Proving Ground ist Teil des Aurora-Projekts und auf die Schaffung eines erstklassigen arktischen Testökosystems für intelligente Transportsysteme und selbstfahrende Fahrzeuge in Finnisch-Lappland ausgelegt.
3. Weltrekord bei Tieftemperaturen
Viele physikalische Phänomene treten bei Tieftemperaturen deutlicher in Erscheinung, da sie nicht durch thermisches Rauschen beeinflusst werden. Im wissenschaftlichen Forschungsbereich werden diese Phänomene als Tieftemperaturphysik bezeichnet“, konkretisiert Professor Jukka Pekola. Er leitet das Kompetenzzentrum für Tieftemperatur-Quantenphänomene und –vorrichtungen der Aalto-Universität.
„Wir forschen in einem Temperaturbereich um den absoluten Nullpunkt, also bei -273,15 Grad Celsius. Quantenphänomene wie Supraleitfähigkeit, Supraflüssigkeiten und Nanoelektronik sind besonders interessant“, verrät er.
Pekola und sein Team entwickeln verschiedene Kühltechnologien von Temperaturen um den absoluten Nullpunkt.
„Im Jahr 2000 erzielte unser Tieftemperaturlabor den Tieftemperatur-Weltrekord von 0,000 000 000 1 Kelvin“, berichtet Pekola.
In gewisser Hinsicht ist die Tieftemperaturphysik deshalb eine Grundlagentechnologie, und die Forschungsarbeit im Tieftemperaturlabor stellt eine Grundlagenforschung dar, ohne die eine praktische Anwendung nicht möglich wäre.
„In zehn bis zwanzig Jahren gibt es vielleicht noch keine Quantencomputer, aber ganz sicher Quantensimulatoren. Sie werden für Molekülsimulationen verwendet werden, und solche Anwendungen können beispielsweise bei der Entwicklung neuer Medikamente zum Einsatz kommen.“
Von Leena Koskenlaakso, ThisisFINLAND Magazine 2017