Finnlands wiederholt erfolgreiches Abschneiden in der PISA-Studie hat breites internationales Interesse am finnischen Schulsystem und seiner Förderung von lebenslangem Lernen geweckt. Sie bilden die Grundpfeiler dieser Spitzenleistung.
Die Lesefähigkeiten finnischer Jugendlicher, ihre Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften sind Spitzenklasse oder ziemlich nahe dran. Das ist das Ergebnis der PISA-Studie (Program for International Student Assessment), in der 58 Industrienationen miteinander verglichen wurden.
Alle drei Jahre werden in den meisten Mitgliedstaaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und Partnerländern die Fertigkeiten 15-jähriger Schüler beurteilt. An der jüngsten PISA-Studie, deren Ergebnisse 2009 veröffentlicht wurden, nahmen in Finnland insgesamt 4 714 Schüler von 155 Schulen teil.
In der 2006 durchgeführten PISA-Studie lag ein besonderer Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften. Hier waren die finnischen Schüler mit 563 Punkten Klassenbeste, mit deutlichem Vorsprung vor Japan, Hongkong und Südkorea. Es war zugleich das beste Ergebnis, das je bei einer PISA-Studie erreicht wurde.
Beim Leseverständnis rangierten die finnischen Jugendlichen hinter Südkorea auf Platz zwei, und in Mathematik verfehlten sie den Spitzenreiter China nur um einen Punkt.
Verständnis für die Bedürfnisse von Kindern
Der Studie zufolge liegt die Stärke des finnischen Schulsystems darin, dass es ungeachtet des sozialen Hintergrunds gleichberechtigte Lernmöglichkeiten schafft. Statt Leistungskonkurrenz bemüht man sich in Finnland, Schüler mit besonderen Bedürfnissen zu fördern und anzuleiten. Nur sehr wenige Kinder müssen eine Klasse wiederholen.
Finnische Lehrer sind hervorragend ausgebildet: Sie müssen in allen Schulstufen über einen Magisterabschluss verfügen, umfassende pädagogische Studien absolvieren und einen Abschluss auf Spezialgebieten haben.
Die jüngeren Schüler werden von nur einem Lehrer unterrichtet und erhalten keine Noten, was sie in ihrem Sicherheitsgefühl bestärkt und ihre Motivation verbessert. Sie erhalten lediglich Zeugnisse über ihre Fortschritte. Erst im 5.Schuljahr werden die Leistungen der Schüler benotet. Zielstrebung finnischer Schulen ist eine natürliche, warme Schülerbezogenheit.
Die Gesamtschule
Die Kommune, in der ein Kind wohnt, stellt ihm auch den Platz in der Gesamtschule zur Verfügung, wobei das Netz der Grundstufenschulen engmaschig ist. Der Unterricht und alle wesentlichen Lernmittel sind kostenlos. Schüler haben Anspruch auf eine warme Mahlzeit am Tag, auf Gesundheitsfürsorge in der Schule sowie einen kostenfreien Schultransport, sofern sie Schwierigkeiten haben, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule zu gelangen.
Sechsjährige Kinder erhalten einen Vorschulunterricht, der zwar nicht obligatorisch ist, aber von fast allen Kindern wahrgenommen wird.
Finnland ist ein zweisprachiges Land, und Unterricht wird sowohl auf Finnisch als auch auf Schwedisch angeboten. In den größeren Städten findet man auch Schulen mit anderen Unterrichtssprachen. Außerdem gibt es Spezialschulen für behinderte oder hospitalisierte Kinder. Somit besucht praktisch jedes Kind in Finnland die Schule.
Gymnasiale Oberstufe und Berufsschule
Etwa die Hälfte der jeweiligen Jahrgänge besucht nach der Gesamtschule die gymnasiale Oberstufe. Sie dauert im Schnitt drei Jahre und bietet zahlreiche Wahlfächer. Der Abschluss ist eine landesweite, einheitliche Reifeprüfung, die als Bedingung für das Studium gilt.
Neben der gymnasialen Oberstufe (Sekundarstufe II) gibt es auch eine dreijährige berufliche Grundausbildung (berufsbildende Sekundarstufe II). Für diesen Weg entscheiden sich fast alle, die nicht auf die gymnasiale Oberstufe gehen. Nur 7 Prozent der Jugendlichen beenden den Schulbesuch nach der Gesamtschule. Die Berufsschule verleiht die Befähigung für ein nachfolgendes Studium an einer Fachhochschule oder anderen fortführenden Bildungsstätten.
Fachhochschulen und Universitäten
Die höhere Ausbildung gliedert sich in Fachhochschulen und Universitäten. Die Fachhochschulen bieten praxisorientierte Schulung und Lehre bzw. Praktikum auf sehr hohem Niveau, während der Schwerpunkt an den Universitäten auf der wissenschaftlichen Forschung und klassischen akademischen Lehre liegt.
Je nach Lehranstalt werden die Studenten auf Basis ihrer Zeugnisse oder aber durch eine Kombination von Notendurchschnitt und Aufnahmeprüfung ausgewählt. Die nationale Bildungsstrategie Finnlands sieht vor, dass 2020 bereits 42 Prozent aller jungen Erwachsenen einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss haben.
In Finnland dauert die Ausbildung lange. Viele junge Leute, die den höheren Bildungsweg gehen, schließen ihr Studium erst mit 25 Jahre ab. Das Ziel ist lebenslanges Lernen. Auch für Erwachsene, die bereits im Berufsleben stehen, gibt es zahlreiche, öffentlich geförderte Weiterbildungswege.
Alle Bildungsstufen sind kostenlos. Die Studenten und Auszubildenden werden vom Staat durch subventionierte Mahlzeiten, Wohnungsbeihilfen und medizinische Versorgung unterstützt. Die Ausbildungsinstitutionen befinden sich überwiegend in kommunalen und staatlichen Besitz.
Infolge des umfassenden, erstklassigen öffentlichen Schulsystems existiert in Finnland auf der Ebene der Grundausbildung kein kommerzieller Bildungs- und Ausbildungsmarkt, und auch sonst ist das kommerzielle Angebot im Lehrbereich verglichen mit vielen anderen westlichen Ländern relativ klein.
In der Schule
Die Klassenstärke pro Jahrgang umfasst rund 30 Schüler, in den unteren Klassen oft weniger. In den ersten sechs Jahren werden die Schüler vom Klassenlehrer unterrichtet. In den letzten drei Jahren der Gesamtschule übernehmen Fachlehrer den Unterricht. Schüler mit Sprachstörungen, Lese- und Schreibschwächen oder ähnlichen Problemen erhalten zusätzlichen Unterricht.
An den Gesamtschulen werden u.a. Muttersprache und Literatur, Fremdsprachen, Umweltkunde, Gemeinschaftskunde, Religion oder Weltanschauungskunde, Geschichte, Sozialkunde, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Erdkunde, Sport, Musik, Kunst sowie Handarbeit und Hauswirtschaftslehre unterrichtet. Die Ausbildungsziele und der Unterrichtsplan sind landesweit einheitlich, aber darauf aufbauend dürfen die einzelnen Kommunen und Schulen ihre eigenen Lehrpläne entwickeln.
Akzent auf Sprachen
An den finnischen Schulen genießt der Fremdsprachenunterricht hohe Priorität. Mit der ersten Fremdsprache beginnen die Schüler in der dritten Klasse und mit der zweiten Landessprache (Schwedisch für Finnischsprachige und Finnisch für Schwedischsprachige) in der siebten Klasse oder auch früher.
Zusätzlich können die Schüler bis zum Abitur bis zu sechs Sprachen wählen. Die meistgewählten Fremdsprachen sind Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch und Spanisch.
Kinder von Einwandererfamilien, deren Muttersprache weder Finnisch noch Schwedisch ist, erhalten zusätzlichen Finnisch-Unterricht. Kommunal subventionierter Unterricht in der eigentlichen Muttersprache der Kinder wird ebenfalls zweimal wöchentlich erteilt.
Respektvoller Religionsunterricht
Die meisten Finnen gehören der evangelisch-lutherischen Kirche an, und ihre Kinder nehmen am Religionsunterricht teil. Auch Kinder aus anderen Religionsgemeinschaften haben das Recht, in ihrem Glauben unterrichtet zu werden, sofern sich zumindest drei Kinder der gleichen Konfession für eine Gruppe finden.
Konfessionslose Kinder sind vom Religionsunterricht befreit. Stattdessen erhalten sie in ihrer gesamten Schulzeit Unterricht in Ethik, Religionslehre und Fragen des menschlichen Zusammenlebens.
Wahlfreiheit für Schüler und Lehrer
In vielen Kommunen gibt es Schulen der Sekundar- und der Gymnasialstufe mit spezialisierten Unterrichtsplänen, deren Schwerpunktsfächer beispielsweise Musik, Kunst oder Sport sind.
Dank ihres hohen Ausbildungsniveaus genießen die Lehrer ein hohes Maß an Selbstständigkeit bei der Gestaltung ihrer Arbeit und der Wahl der Unterrichtsmethoden. Anstatt auf Kontrolle beruht das finnische Schulsystem auf einer Kultur des Vertrauens. Die Lehrer sind aktiv, was die Weiterentwicklung ihres Berufsstands betrifft, und führen beispielhaft das Prinzip des lebenslangen Lernens vor.
Von Salla Korpela, März 2009, aktualisiert im August 2010