Müssten wir die beiden wichtigsten Daten in der politischen Geschichte Finnlands auswählen, wären das wohl 1809 und 1917.
1809 wurde Finnland, das über 600 Jahre als östlichster Teil des schwedischen Königreichs galt, zu einer »Nation unter den Nationen« erhoben, indem es den Status eines autonomen Großfürstentums unter dem russischen Zaren erhielt. Am 6. Dezember 1917 erklärte das Parlament (Eduskunta) Finnland zu einer unabhängigen Republik. Viele der staatlichen Strukturen waren in den vorangegangenen hundert Jahren geschaffen worden, darunter die vielleicht wichtigste, das Parlament.
Heute ist Finnland eine parlamentarische Demokratie, die auf dem Wettbewerb zwischen den Parteien und auf Gewaltenteilung basiert. Einige in den neunziger Jahren erfolgte Teilreformen, die 2000 in einer umfassenden Verfassungsreform kulminierten, haben die gewohnten Konstellationen zwischen den Akteuren des parlamentarischen Systems Finnlands verändert – ihre neuen Rollen haben sich noch nicht verfestigt, sondern sie werden weiterhin in der alltäglichen Politik getestet und ausgeformt.
Die konstitutionelle Grundlage
Die Landesverfassung fasst die Hauptprinzipien der finnischen Regierungsform in sehr einfachen Worten zusammen: Träger der Staatsgewalt in Finnland ist das Volk, das von seinen im Parlament versammelten Abgeordneten vertreten wird. Die gesetzgebende Gewalt wird vom Parlament ausgeübt, dem Präsidenten der Republik kommt eine Nebenrolle zu. Höchste Ebene der staatlichen Exekutive ist der Staatsrat (Regierung), bestehend aus dem Ministerpräsidenten und der benötigten Anzahl von Ministern. Die Judikative wird von unabhängigen Gerichten ausgeübt, in höchster Instanz vom Obersten Gerichtshof und vom Obersten Verwaltungsgericht.
Ein charakteristisches Merkmal der finnischen Verfassung ist ihre Rigidität. Ein Verfassungsgesetz kann nur mit Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments geändert werden. Für eine kurzfristige Verfassungsänderung reicht selbst das noch nicht aus: Damit ein Änderungsvorhaben in derselben Legislaturperiode wirksam werden kann, muss es zuvor für »dringlich« erklärt werden. Dies verlangt eine Fünfsechstelmehrheit, was bedeutet, dass mindestens vier oder fünf Parteien sich einig sein müssen. Trotz dieser formellen Rigidität sind in den zurückliegenden zwanzig Jahren zahlreiche Änderungen an der Verfassung vorgenommen worden. Ein Ziel war es, die Flexibilität der politischen Beschlussfassung zu verbessern. Der Preis, den man hierfür zahlen musste, war eine Einengung des Manövrierraums der parlamentarischen Opposition.
Die Beziehungen zwischen Parlament, Regierung und Staatspräsident werden durch die Prinzipien des parteienbasierten Parlamentarismus europäischen Zuschnitts geregelt. Die Regierung muss die Unterstützung einer Mehrheit im Parlament genießen, die den Ministerpräsidenten wählt. Der Präsident bzw. die Präsidentin hatte bislang traditionell beträchtliche Machtbefugnisse auf dem Gebiet der Außenpolitik, wenngleich nicht so weitreichende beziehungsweise nicht so unanfechtbare wie etwa die Staatsoberhäupter der USA oder Frankreichs. Mit der Verfassungsreform von 2000 wurde die Macht des Präsidenten in anderen Feldern der Politik beschnitten; allerdings beinhaltet das beim Präsidenten verbliebene Recht zur Ernennung bestimmter hoher staatlicher Beamter das Potenzial zu politisch signifikanten Eingriffen. Die Regierung ist auf die Kooperation des Präsidenten wie auch des Parlaments angewiesen, aber wenn diese Kooperation funktioniert, dann stärkt sie die Position der Regierung in der praktischen Politik.
Das Parlament
Die Geschichte des finnischen Parlaments geht auf das 17.Jahrhundert zurück, als den vier Ständen Finnlands das Recht gewährt wurde, eigene Vertreter in den Ständereichstag zu schicken. Zum Zeitpunkt seiner Geburt im Jahre 1906 war das finnische Parlament eine Rarität – ein Einkammerparlament, gewählt in allgemeinen Wahlen, bei denen auch die Frauen das aktive und passive Wahlrecht hatten. Die Schlüsselpunkte der parlamentarischen Ordnung sind in den vergangenen 100 Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben. Bei den Parlamentswahlen haben in der letzten Zeit stets um die 70 % der Wahlberechtigten (vollendetes 18. Lebensjahr) ihre Stimme abgegeben. Unter den 200 Abgeordneten, die nach den Wahlen des Jahres 2011 ins Parlament einzogen, waren immerhin 85 Frauen.
Das Parlament tritt gewöhnlich vier Mal die Woche zu Plenarsitzungen zusammen. Während dieser Sitzungen berät es über die auf der Tagesordnung stehenden Angelegenheiten – oder vielmehr es werden Reden darüber gehalten – und beschließt über sie durch Abstimmungen. Die Abgeordneten richten häufig Fragen an Mitglieder der Regierung. Es ist eher Ausnahme, dass ein Abgeordneter gegen die Linie seiner Partei stimmt. Zwar haben die Abgeordneten im Prinzip ein freies Mandat, aber in der Praxis handelt es sich – wie auch in vielen anderen Ländern – eher um ein Parteimandat.
Ein zeitlich großer Teil der Tätigkeit eines Abgeordneten entfällt auf die Arbeit in Ausschüssen. Die Ausschüsse sind vorbereitende Organe, im Regelfall aus 17 Abgeordneten bestehend, die die dem Parlament zur Entscheidung vorzulegenden Angelegenheiten bearbeiten. Die Ausschüsse können außenstehende Sachverständige anhören. Ihre Zusammensetzung spiegelt die politischen Kräfteverhältnisse im Parlament wieder. Keine Partei ist allein so stark, dass sie den anderen ihren Willen aufzwingen könnte. Auch Sitzungen der eigenen Fraktionen sind wichtige Foren für die Arbeit der Abgeordneten.
Das Parlament hat drei Hauptfunktionen, durch die es das Volk repräsentiert und elementare politische Entscheidungen fasst. Es verabschiedet Gesetze, es behandelt und genehmigt den Staatshaushalt und es wacht über die Regierenden.
Das Verabschieden von Gesetzen ist ein komplizierter Prozess. Gewöhnlich beginnt er mit einer Vorlage, die die Regierung ins Parlament einbringt. Auch einzelne Abgeordnete können Gesetzesvorschläge machen, und dies kommt auch häufig vor, aber die Vorlagen der Regierung gehen vor und sind besser vorbereitet. Das Parlament hat keinen offiziellen Apparat für das Einbringen oder Vorbereiten eigener Gesetzesvorlagen. Um angenommen zu werden, muss eine Gesetzvorlage von einer Mehrheit des Parlaments gebilligt und vom Staatspräsidenten gegengezeichnet werden. Es dauert im Durchschnitt zwei bis vier Monate, bis eine Gesetzvorlage alle Instanzen durchlaufen hat, desweilen sogar länger.
Auch der staatliche Haushaltsentwurf, den das Parlament alljährlich vorgelegt bekommt, wird von der Regierung vorbereitet. Die Debatte über seine Details nimmt einen erheblichen Teil der herbstlichen Sitzungsperiode in Anspruch. Die Änderungen, die das Parlament am Haushaltsplan vornimmt, sind üblicherweise geringfügig.
Das Parlament überwacht in vielerlei Weise die Tätigkeit der Regierung, ihre Konformität mit den Gesetzen sowie ihre politische Zweckmäßigkeit. Im Zusammenhang mit der Regierungsbildung kommt dem Parlament eine wesentliche Rolle zu, indem es den Ministerpräsidenten wählt. Nachdem die neue Regierung ihr Amt angetreten hat, präsentiert sie dem Parlament ihr politisches Programm. Im Einklang mit dem Prinzip des klassischen Parlamentarismus muss die Regierung das Vertrauen einer Mehrheit der Abgeordneten genießen.
Jedes Jahr trägt das Parlament der Regierung und einzelnen Ministern Hunderte von schriftlichen oder mündlichen Anfragen vor. Es kann auch das Vertrauen der Regierung auf den Prüfstand stellen, indem es eine Interpellation einreicht. Vom Ergebnis der abschließenden Vertrauensabstimmung hängt es ab, ob die Regierung im Amt bleiben kann. Gewöhnlich geht es bei einer Interpellation mehr um die Öffentlichkeitswirkung denn um einen ernst gemeinten Versuch, die Regierung zu Fall zu bringen. Das letzte Mal, dass eine Interpellation zum Sturz einer Regierung führte, war in den späten 1950er Jahren, aber das hat dem Gebrauch dieses Instruments keinen Abbruch getan.
Das Parlament wacht auch über die Zentralbank des Landes sowie über den öffentlich-rechtlichen Finnischen Rundfunk.
Vorherrschend sind heutzutage Koalitionsregierungen mit starker Mehrheit. Dadurch kann eine Regierung mehr oder minder sicherstellen, dass die Abgeordneten der Regierungsparteien loyal bleiben. Die meisten Minister sind gewählte Abgeordnete. Das gestattet ihnen, sich an parlamentarischen Abstimmungen zu beteiligen.
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen gehören nicht zu den parlamentarischen Akteuren. Dennoch spielen sie in Finnland häufig eine recht spürbare, wenn nicht gar entscheidende Rolle, insbesondere in Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik.
Regierung und Staatspräsident
Der größte Teil des Materials, mit dem das Parlament sich befasst und auf dessen Grundlage es seine Beschlüsse fasst, wird von der Regierung produziert. Formell wird die Regierung vom Präsidenten bestellt und aufgelöst, und der Präsident schlägt nach Beratungen mit den Parteien und Konsultationen mit dem Parlamentspräsidenten auch einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vor. In der Praxis hingegen kommt die Hauptrolle bei der Bildung, Tätigkeit und Auflösung der Regierung den beteiligten politischen Parteien zu.
Wenn eine Regierung vor Ablauf der Legislaturperiode zurücktritt, dann liegt das gewöhnlich an einer Zuspitzung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern. Nach Parlamentswahlen tritt die Regierung stets zurück. In den zurückliegenden Legislaturperioden wurden die Regierungskoalitionen jeweils von vier bis sechs Parteien gebildet, und trotz ihrer politischen Heterogenität sind die Koalitionen sehr stabil gewesen.
Die Minister haben umfangreiche Aufgabenbereiche. Sie bereiten den Staatshaushalt und Gesetzesänderungen vor und sind für die Implementierung der rechtskräftig gewordenen Gesetze verantwortlich. Die Regierung kann mit Zustimmung des Parlaments auch Verordnungen erlassen. Die Minister leiten ihre Ministerien relativ unabhängig. Die Minister leiten ihre Ministerien mit relativer Unabhängigkeit.
Es gibt 12 Ministerien, darunter die Staatskanzlei (Amt des Ministerpräsidenten), und nicht mehr als 20 Minister. Wird ein Abgeordneter zum Minister bestellt, behält er zugleich seinen Sitz im Parlament. Die meisten Minister haben diese Doppelrolle. In der Regel nehmen auch die Vorsitzenden der Koalitionsparteien als Minister an der Regierungsarbeit teil, aber es gibt auch Ausnahmen.
Die wichtigsten institutionalisierten Formen der Zusammenarbeit des Kabinetts sind »Vorträge vor dem Staatspräsidenten«, Kabinettssitzungen sowie Abendsitzungen. Die vom Staatspräsidenten geleiteten Sitzungen repräsentieren die höchste Ebene der gesetzgebenden Beschlussfassungshierarchie in der Regierungsarbeit. Abendsitzungen sind informelle Zusammenkünfte, bei denen Angelegenheiten für die Beschlussfassung vorbereitet werden. Sie sind ein nützliches Forum, indem sie den Mehrparteienkabinetten eine Gelegenheit bieten, Einigkeit zu erzielen, bevor formelle Entscheidungen anstehen.
Eine weitere Institution mit engerem Teilnehmerkreis sind die vorbereitenden Kabinettsausschüsse; der wichtigste von ihnen befasst sich mit sämtlichen Fragen der Wirtschaftspolitik – er ist so etwas wie die Kernzelle der Regierung. Der Präsident hat das Recht zur Teilnahme an den Sitzungen des Kabinettsausschusses für Außen- und Sicherheitspolitik.
Die vom Präsidenten bzw. der Präsidentin geleiteten Sitzungen finden für gewöhnlich freitags statt. Anwesend ist auch der Justizkanzler – er wacht über die Rechtmäßigkeit der Prozeduren und Beschlüsse. Bei diesen Sitzungen beschließt der Präsident bzw. die Präsidentin formell über seine bzw. ihre Unterschrift unter die an das Parlament gehenden Gesetzesvorlagen der Regierung und unter die vom Parlament verabschiedeten Gesetze. Er bzw. sie kann gegen die Mehrheit der Regierung entscheiden oder sich weigern, ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz zu zeichnen, mit der Folge, dass dieses nicht wirksam wird.
Gewöhnlich gibt es keine nach außen hin sichtbaren Konflikte zwischen Präsident und Regierung, denn die Entscheidungen werden stets sorgfältig vorbereitet. Finnlands Präsidenten haben im Schnitt einmal im Jahr ihre Unterschrift unter ein Gesetz verweigert. Wenn es dazu kommt, kann das Parlament dasselbe Gesetz noch einmal verabschieden – danach ist der Präsident gezwungen, es zu unterzeichnen.
Das wichtigste Zwangsmittel, das dem Präsidenten früher gegenüber dem Parlament zur Verfügung stand, war das Recht zur Auflösung des Parlaments und zum Anberaumen von Neuwahlen. Dies ist seit 1917 mehrere Male vorgekommen, zuletzt 1975. Seit den Verfassungsänderungen des Jahres 1991 kann der Präsident das Parlament nur noch auf Antrag des Ministerpräsidenten auflösen. Im Übrigen beschränkt sich die Interaktion zwischen Präsident und Parlament auf bestimmte staatliche Zeremonien. Dazu gehören jährliche Feierstunden, bei denen der Präsident das Sitzungsjahr für eröffnet erklärt, und zum Abschluss einer Legislaturperiode erklärt er die Arbeit des Parlaments für beendet. Außerdem legt der Präsident vor dem Parlament sein feierliches Amtsgelöbnis ab.
Die Parteien
In seiner etwa hundertjährigen Geschichte ist das finnische Parteiensystem relativ stabil gewesen. Zu den historischen Hintergründen für die heutige Parteiengliederung gehörten das Erstarken des Nationalitätsbewusstseins, die Sprachenfrage (die zweite Amtssprache Schwedisch ist die Sprache einer Minorität), die Kluft zwischen Sozialisten und Nichtsozialisten, die Vertretung der ländlichen Bevölkerung und die Spaltung der politischen Linken.
Ein Phänomen der jüngeren Vergangenheit war der Aufstieg der Grünen, die seit 1987 im Parlament vertreten sind und von 1995 bis 2002 in der Regierungskoalition waren und ihr seit 2007 erneut angehören.
Im finnischen Mehrparteiensystem lässt sich der Rückhalt der Parteien in der Bevölkerung grob wie folgt auf den Punkt bringen: Die drei oder vier größten Parteien vereinigen jeweils rund 20% der Wählerschaft auf sich, der Rest der Stimmen verteilt sich auf etwa zehn kleinere Parteien, von denen die Hälfte Sitze im Parlament erhält.
Im Parlament ist es praktisch unerlässlich für die Parteien, bei der Vorbereitung des Staatshaushalts und anderer Gesetzgebungen miteinander zu kooperieren. Die Angehörigen der Koalitionsparteien sind in ihrem Abstimmungsverhalten normalerweise loyal mit der Linie der Regierung, die Parteien der Opposition wiederum bilden gewöhnlich keinen starken Block.
Die Regierungskoalitionen können auf einer breiten Parlamentsmehrheit aufbauen und politisch unkonventionell zusammengesetzt sein. Ein Beispiel: Von 1995 bis 2003 war die größte bürgerliche Partei, die konservative Nationale Koalitionspartei, in der gleichen Regierung wie die beiden Linksparteien des Landes. Das wiederholte sich nun mit der Regierungskoalition, die 2011 gebildet wurde.
Zu den etablierten Parteien gesellten sich auch neue Parteien hinzu und fanden mit der Zeit ihren Weg in die Regierung. Zum Beispiel war die kleine Finnische Agrarpartei (SMP), die sich durch Kritik an den „alten Parteien“ hervorgetan hatte, nach ihrem Wahlerfolg 1983 bis 1990 mit in der Regierung. Die Grünen, die 1987 ins Parlament einzogen, bildeten 1995 bis 2002 und 2007 bis 2011 einen Teil der Koalition, und gehören auch weiterhin der Regierung an, die 2011 gebildet wurde. Die populistische Partei der Wahren Finnen, die aus der Finnischen Agrarpartei hervorgegangen ist, holte 2011 bei den Wahlen die drei größten Parteien im Stimmenumfang ein, und wurde an den Koalitionsverhandlungen beteiligt. Die Wahren Finnen beschlossen dann jedoch, der neuen Regierung fernzubleiben. Schließlich ist der finnische Parlamentarismus flexibel, pragmatisch und aufnahmefähig.
Seit 1982 sind alle Staatspräsidenten aus der Sozialdemokratischen Partei hervorgegangen – zuvor hatte Finnland nicht einen einzigen Präsidenten mit linkem Hintergrund gehabt. 2000 wurde Tarja Halonen als erste Frau zur Präsidentin der Republik gewählt und 2006 wiedergewählt. Ihre zweite und letzte Amtszeit läuft 2012 aus.
Ergebnis der Parlamentswahlen von 2023 (2019)
Partei | Sitze | % der Stimmen |
Nationale Koalitionspartei | 48 (38) | 20.8 (17.0) |
Wahre Finnen | 46 (39) | 20.1 (17.5) |
Sociademokratische Partei | 43 (40) | 19.9 (17.7) |
Zentrumspartei | 23 (31) | 11.3 (13.8) |
Grüne Partei | 13 (20) | 7.0 (11.5) |
Linke Allianz | 11 (16) | 7.1 (8.2) |
Schwedische Volkspartei | 9 (9) | 4.3 (4.5) |
Christdemokraten | 5 (5) | 4.2 (3.9) |
Sonstige | 2 (2) | 3.0 (2.9) |
Zusammenfassung
Im finnischen Parlamentarismus ist die Regierung das vorbereitende und exekutive Organ, das den Stoff produziert, der dem Parlament zur Beratung sowie zur Billigung oder Ablehnung vorgelegt wird. Die Gesetzentwürfe werden zweimal dem Präsidenten bzw. der Präsidentin vorgelegt, aber normalerweise kommt es nicht zu Konflikten zwischen ihm oder ihr und der Regierung oder dem Parlament. Ein Konflikt zwischen Parlament und Regierung kann zum Sturz der Regierung führen. Seit den achtziger Jahren sind die Regierungen jedoch so stark gewesen, dass es der Opposition unmöglich war, sie zu Fall zu bringen. Verfassungsreformen haben die Wandlung in ein System des Mehrheitsparlamentarismus beschleunigt. In der Folge bleiben die Regierungen heutzutage gewöhnlich die ganze vierjährige Legislaturperiode im Amt. Die Tätigkeit des Parlaments gründet sich in hohem Maße auf den Vorlagen, die ihm von der Regierung zugestellt werden. Die Regierung muss das Parlament ständig mit verschiedenen Mitteln darüber auf dem Laufenden zu halten, was sie tut und was sie vorhat, aber auf der anderen Seite ist sie es, die die politische Tagesordnung des Parlaments kontrolliert.
Finnland ist seit 1995 Mitglied der Europäischen Union. Aus der Mitgliedschaft sind dem Parlament und der Regierung neue Verpflichtungen und neue Rollen erwachsen, weshalb von Zeit zu Zeit die Kompetenzverteilung zwischen ihnen und dem Staatspräsidenten, der laut Verfassung die Außenpolitik in Zusammenarbeit mit der Regierung leitet, gewisse Reibungen verursacht. Die Rolle des Ministerpräsidenten ist mit der Unionszugehörigkeit erstarkt, ebenso durch die Verfassungsreformen und die Langlebigkeit der Regierungen. Über seinen Großen Ausschuss hat das Parlament Zugang zu den von der Regierung vorbereiteten EU-Angelegenheiten, und der Standpunkt des Großen Ausschusses in einer EU-Frage ist für die Regierung politisch bindend.
In einem parteienbasierten Parlamentarismus der Art, wie Finnland ihn praktiziert, können die Regierungskoalitionen auf einer breiten Parlamentsmehrheit aufbauen und politisch unkonventionell zusammengesetzt sein. Die Beschlussfähigkeit des Parlaments setzt Koalitionsbildung sowie die Bereitschaft zu Kompromissen voraus. Heutzutage prägen Pragmatismus und ein starker Hang zum Konsens die finnische Politik, Faktoren, die immer präsent waren. Dies hat den Freiraum eingeengt, den die Parteien zum Artikulieren ihrer Ideologien und Programme und zu deren Umsetzung haben.
Finnischer Parlamentarismus zeichnet sich durch große Flexibilität aus, vor allem bei der Bildung von Regierungskoalitionen. Dies wird auch bereits vor den Wahlen deutlich. Die Parteien erklären vor den Wahlen nicht, mit welchen Parteien sie koalieren würden. In der Praxis wird die Regierung mit den Parteien gebildet, die sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen können. Das Programm ist mehr als nur eine dem Parlament zu Beginn des Amtsmandats der Regierung vorgelegte Erklärung. Es ist ein Aktionsplan mit von der Regierung fest abgesteckten Zielen, die sie auch erreichen will.
Den Rhythmus des politischen Lebens in Finnland bestimmen die alle vier Jahre stattfindenden Parlamentswahlen und die im Sechs-Jahres-Turnus abgehaltenen Präsidentenwahlen. Ein Faktor, den auch die neue Verfassung ignoriert, ist die Tatsache, dass das Parlament einen Teil seines Antriebs und seiner Dynamik aus den ständig wachsamen Nachrichtenmedien, dem Wirken von Interessenverbänden und aus der Internationalisierung der Politik und der Globalisierung der Wirtschaft bezieht.
Von Jarmo Laine, Sonderberater an der Finnischen Akademie der Wissenschaften, April 2015, aktualisiert Juni 2019