Finnlands Parlamentswahlen ̶ Kaffee, Maschinen und ein breites Parteienspektrum

Am 14. April 2019 hält Finnland seine Parlamentswahlen ab. Etwa ein Dutzend Parteien haben eine realistische Chance, Sitze zu gewinnen. Kaffee und interaktive Onlinequellen (oft als „Wahlmaschinen“ bezeichnet) könnten dabei mitspielen.

Jede vier Jahre wählt Finnland sein 200 Sitze zählendes Einkammerparlament (zufällig immer im Jahr vor den US-Präsidentschaftswahlen). Dies bedeutet, sobald der Winter in den Frühling übergeht, rüsten sich die finnischen Politiker für die April-Wahlen, während die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten ihre Kandidatur ankündigen.

Wähler wie auch Politiker sind bestimmt froh, dass die Wahlsaison in Finnland nur ein paar Monate dauert, aber langweilig ist die finnische Politik keineswegs.

So löste Ministerpräsident Juha Sipilä am 8. März 2019, fünf Wochen vor den Wahlen, seine konservative Regierungskoalition auf. Als Grund wurde das Scheitern der lange Jahre debattierten Sozial- und Gesundheitsreform genannt.

Auch ohne solche Schachzüge bieten die Wahlen eine bunte Palette von Parteien und Kandidaten, die die Wähler zum Nachdenken zwingen. Neben bezahlter Werbung werden einige Wochen vor den Parlamentswahlen Reihen von Plakaten an öffentlichen Orten aufgestellt, auf denen die Liste der Kandidaten der verschiedenen Parteien zu sehen sind. In der Hauptstadt können die Wähler zum Beispiel 17 unterschiedliche Plakate begutachten.

Multiparteien-Jonglierakt

Mit der Ankunft des Frühlings, nur wenige Wochen vor den Wahlen, tritt der Wahlkampf in seine heiße Phase. Auf den Plätzen von Städten wie auf diesem im ostfinnischen Joensuu stellen die Parteien oft direkt nebeneinander ihre Zelte auf.
Foto: Ismo Pekkarinen/Lehtikuva

Drei Fraktionen, stehen vor den ersten Wahlen, obwohl sie derzeit im Parlament sitzen. Wie ist das möglich? Sie alle bildeten sich in der letzten Legislaturperiode aus Splittergruppen.

Die sogenannte Blaue Reform wurde ins Leben gerufen, als 19 Abgeordnete aus Unzufriedenheit mit der Wahl des neuen Parteichefs die populistische Finnen-Partei verließen. Die Bewegung Jetzt, die nach dem Austritt des renommierten Geschäftsmanns und Abgeordneten, Harry Harkimo, aus der konservativen Nationalen Sammlungspartei geschaffen wurde, ist eigentlich keine Partei, sondern eine Bewegung, wie der Name schon sagt. Der langjährige politische Akteur, Paavo Väyrynen, andererseits bildete die sogenannte Sieben-Sterne-Bewegung, nachdem er aufgefordert worden war, die Bürgerpartei zu verlassen. Letztere hatte er nach seinem Austritt aus der Zentrumspartei selbst gegründet.

Zu den Parteien des scheidenden Parlaments gehören neben den bereits erwähnten Parteien auch die Linke Allianz, die Grünen, die Sozialdemokratische Partei, die Schwedische Volkspartei Finnlands und die Christdemokratische Partei. Die Feministische Partei steht dieses Jahr zum ersten Mal auf dem Stimmzettel.

Welcher Kandidat passt zu mir?

Man schreibt die Nummer seines Kandidaten auf die Innenseite einer gefalteten Karte und steckt sie dann in die Wahlurne.
Foto: Jussi Nukari/Lehtikuva

Was tut man in einem Wahlkampf, in dem zehn oder zwölf Parteien die Chance haben, Sitze im Parlament zu erobern, und man sich nicht entscheiden kann, wen man unterstützen soll? Manche Leute probieren eine sogenannte „Wahlmaschine“ aus, was nicht dasselbe ist wie eine Abstimmungsmaschine. Finnlands größte Tageszeitung, Helsingin Sanomat, und die finnische Rundfunk- und Fernsehanstalt YLE bieten seit Jahren interaktive Online-Fragekataloge an, die den Wählern helfen sollen, ihre Wahl einzuschränken und Informationen zu erhalten. Auch andere Medien und Organisationen veröffentlichen ihre Versionen davon, die sich häufig auf eine kleinere Themengruppe oder eine bestimmte Landesregion konzentrieren.

Wahlmaschinen haben sich als äußerst beliebt erwiesen. Neben den beiden offiziellen Landessprachen Finnisch und Schwedisch bietet YLE seine Version, den Wahlkompass, auch auf Englisch und Russisch an.

Das Wort „Maschine“ klingt vielleicht kompliziert, aber es ist ganz einfach. Die Herausgeber erbitten im Vorfeld von den Kandidaten Antworten auf einige Dutzend Schlüsselfragen und speisen die Antworten dann in das System ein. Der Wähler kann später online dieselben Fragen beantworten, indem er oder sie sich durch die Liste klickt.

Hier sind einige Beispiele, die auf der Webseite von YLE stehen: Sollte Finnland Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel sein? Sollte der finnische Staat die Menschen dazu anregen, weniger Fleisch zu essen, beispielsweise durch Steuermaßnahmen? Sollten unter 18-Jährige eine Behandlung zur Geschlechtsumwandlung vornehmen dürfen? Sollte der Elternurlaub zu gleichen Teilen auf die Eltern verteilt werden? Würde eine NATO-Mitgliedschaft die Sicherheit Finnlands verbessern? Sollte Helsinki in der Hauptverkehrszeit eine Staugebühr erheben?

So kann man herausfinden, wer Werte und Ansichten hat, die den eigenen entsprechen, entweder was eine Frage als solche betrifft oder insgesamt. Die Benutzer sind desweilen über die Ergebnisse erstaunt, aber sie haben dann die Möglichkeit, auf diese Kandidaten zu klicken und sich deren Antworten detaillierter anzusehen.

Bedeutet das, dass hier beim Wählen künstliche Intelligenz angewendet wird? Durchaus nicht, vielmehr handelt es sich um eine Möglichkeit, die eigenen Gedanken zu ordnen und ein wenig zu recherchieren, bevor man zur Wahlurne schreitet.

Komm und bestimme mit!

Man geht hinter eine Beschirmung und kann so diskret seine Stimme abgeben.
Foto: Markku Ulander/Lehtikuva

Die Leute gehen wählen. Die Wahlbeteiligung bei den vorangegangenen Parlamentswahlen betrug beachtliche 70,1 Prozent. Alle Bürger ab 18 Jahren werden automatisch als Wähler registriert und erhalten vor jeder Wahl eine Benachrichtigung per Post. Die Vorauswahl beginnt etwa zwei Wochen vor dem Wahltag und macht fast die Hälfte der Stimmen aus (46,1% der abgegebenen Stimmen bei den Parlamentswahlen 2015 fanden in der Vorauswahlperiode statt.)

Man kombiniere das mit der finnischen Neigung zum Kaffeetrinken – die Finnen trinken weltweit am meisten Kaffee, pro Jahr mehr als zehn Kilo pro Kopf – und man hat eine weitere Tradition: den Wahltagkaffee. Die Menschen machen aus der Wahl einen Ausflug, indem sie sie mit einem Besuch im örtlichen Café verbinden. In früheren Zeiten zog man sich für den Urnengang die besten Kleider an. Heute ist man weniger formell, aber die Wahltradition besteht weiterhin.

Eltern dürfen ihre Kinder ins Wahllokal mitnehmen, damit sie Interesse fürs Wählen bekommen und in der Hoffnung, dass die Tradition auf die nächste Generation übertragen wird. Der gesamte Wahlprozess dauert einige Minuten. Man zeigt seinen Ausweis vor, der Name wird auf der Liste abgehakt, und man erhält eine gefaltete Karte. Dann geht man hinter eine Abschirmung und schreibt die Nummer seines/r Kandidaten/in auf die Karte. Diese wird schließlich auf der Vorderseite abgestempelt und vom Wähler/in in den Schlitz einer versiegelten Wahlurne gesteckt.

Das ist alles. Danach geht es mit Freunden oder der Familie zum Kaffeetrinken. Im April kann das Wetter sogar gut genug sein, um draußen am Tisch zu sitzen. Aber auch wenn man an den Vorauswahltagen wählt, kann man immer noch Kaffeetrinken gehen.

Bei so vielen Parteien ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine von ihnen den direkten Wahlsieg davonträgt. Normalerweise tritt die Partei mit den meisten Sitzen im Parlament mit mehreren anderen Parteien zusammen, um eine Regierungskoalition zu bilden und Durchschlagskraft zu erlangen. Aus diesem Grund stimmen die meisten Wähler erst für eine Partei und dann für einen Kandidaten. Selbst wenn diese/r Kandidat/in nicht ins Parlament reinkommt, wird die Stimme dieser Partei trotzdem helfen, Sitze zu gewinnen.

April 2019