Was würde Jean Sibelius wohl denken, wenn er wüsste, dass seine Musik von Musikern und Publikum weltweit hoch geschätzt wird, seine Landsleute aber vor allem seinen persönlichen Werdegang kennen?
Jean Sibelius wurde am 8. Dezember 1865 geboren und 150 Jahre später ist er noch immer die Galionsfigur der finnischen Musik.
„Wenn es überhaupt jemanden gibt, den man als Ikone der finnischen Musik bezeichnen kann, so ist das zweifellos Sibelius. Er war schon zu Lebzeiten der berühmteste Finne und wird es wohl auch in Zukunft bleiben“, sagt Hannu Lintu, Chefdirigent des finnischen Radio-Sinfonieorchesters.
Dennoch ist Jean Sibelius kein Synonym für die finnische Musik, betont Sibelius-Forscher Timo Virtanen von der finnischen Nationalbibliothek. Es gab Komponisten vor Sibelius, neben ihm und nach ihm. Viele Komponisten seiner Zeit orientierten sich an mitteleuropäischen und deutschen Musiktraditionen.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert entwickelte Sibelius die finnische Tonsprache. Er schuf einen Stil, der sowohl national als auch universal war.
„Es gibt in Sibelius‘ Musik etwas sehr Finnisches, aber manchmal hatte er das Gefühl, dass das Finnische zu explizit war. Er wollte ein Kosmopolit sein“, erinnert Virtanen. „Man sollte sich Sibelius‘ Werken über die Musik nähern, nicht über ein ausgeprägtes nationales Gefühl“, stimmt Hannu Lintu zu.
Finnen kennen seine Biographie besser als seine Musik
Obwohl Sibelius Finnlands Nationalkomponist ist, kennen ihn viele Finnen vor allem aus Filmen und Biographien, aber weniger durch seine Musik. Das Werk, das Finnen am ehesten wiedererkennen, ist die Finlandia-Hymne. Der durchschnittliche Zuhörer bemerkt Sibelius‘ Einfluss auf die finnische Musik nicht, aber für Fachleute ist er nicht zu überhören.
„Sibelius hatte keine eigene Schule, aber die von vielen finnischen Komponisten bevorzugte symphonische Struktur geht auf Sibelius zurück. Des hat auch dazu geführt, dass einige Komponisten sich bemühten, einen ganz anderen Weg zu gehen, eine andere Richtung einzuschlagen als Sibelius“, erklärt Timo Virtanen.
Sibelius‘ Musik wird häufig als revolutionär beschrieben, insbesondere seine späteren Werke. Kompositionen wie die 7. Symphonie und Tapiola zeichnen sich durch einen modernen Ton aus, der auch moderne Musiker fasziniert.
‘Das verfluchte Violinkonzert’
Sibelius war seiner Zeit in vieler Hinsicht voraus, sagen übereinstimmend Timo Virtanen und Hannu Lintu. Das berühmteste Beispiel für seinen Mut ist sein Violinkonzert, op. 47 d. Es wurde 1905 uraufgeführt, gelangte aber erst einige Jahrzehnte später zu vollem Ruhm.
„Es ist für den Solisten, den Dirigenten wie auch den Zuhörer eine schwierige, originelle und herausfordernde Komposition. Sibelius selbst nannte es ein verfluchtes, ein schönes Violinkonzert. Er bezeichnete sich selbst oft als eine Erscheinung aus den Wäldern und das ist genau das, was das Violinkonzert nach Ansicht seiner Zeitgenossen ist: dunkel, melancholisch und fremd“, fasst Virtanen zusammen.
Heutzutage ist das Violinkonzert nach Vivaldis Vier Jahreszeiten das am meisten aufgenommene Violinkonzert. Warum ist es so populär?
Laut Timo Virtanen macht die außergewöhnliche Balance zwischen dem fulminanten virtuosen Concerto und der musikalisch eindringlichen Komposition das Konzert sowohl fesselnd als auch originell. Es ist leicht zugänglich und gleichzeitig mitreißend. „Für den Zuhörer ist es kein einfaches Stück, aber es bietet unglaublich schöne Momente und ein großartiges Ende, das dem Zuhörer ein erhebendes Gefühl gibt“, beschreibt Virtanen.
Chefdirigent Lintu hat sowohl das Violinkonzert als auch andere Werke von Sibelius weltweit dirigiert.
„Bei den besten Aufführungen bewies der Solist die große Fähigkeit, die Komposition als Ganzes wahrzunehmen und den Fokus nicht auf die Abfolge der Töne zu legen. Das Violinkonzert verlangt von dem Solisten Virtuosität. Es bietet viele Interpretationsmöglichkeiten. Technische Perfektion allein reicht nicht aus. Man muss gewissermaßen in die Komposition eintauchen“, sagt Lintu.
Von Lena Nelskylä, Dezember 2015
Jean Sibelius1865–1957 – international anerkannter und am häufigsten aufgenommener finnischer Komponist – Hauptwerke: Symphonien 1–7 (1899–1924) – Seit 2011 wird in Finnland an Sibelius‘ Geburtstag, dem 8. Dezember, die finnische Flagge gehisst – ihm zu Ehren und zu Ehren der finnischen Musik. |
Hannu Lintugeboren 1967 – Chefdirigent des finnnischen Radio-Sinfonieorchesters – bekannt für seinen Beitrag zur zeitgenössischen Musik und Uraufführungen – dirigierte weltweit zahlreiche Sinfonieorchester |
Timo Virtanengeboren 1965 – Doktor der Musik, Dozent an der Sibelius Akademie der Kunstuniversität – Editionsleiter der Jean Sibelius Werke bei der Finnischen Nationalbibliothek |