Eine neue, dynamische Generation finnischer Modetalente erregt die Aufmerksamkeit berühmter Modehäuser, Talent-Scouts und der internationalen Presse. Viele aufstrebende Talente haben eines gemeinsam: In ihrer Arbeit zeichnet sich der avantgardistische Einfluss der Aalto-Professorin Pirjo Hirvonen ab.
Sara Maino, Leiterin für Talentsuche und leitende Moderedakteurin der Zeitschrift Vogue Italia, hatte die Pre-Helsinki-Modewoche besucht und in einem Interview mit der finnischen Tageszeitung Helsingin Sanomat ihrem Erstaunen Ausdruck verliehen.
Erstaunt habe sie neben den einfallsreichen Nachwuchstalenten die außergewöhnliche Qualität des Modedesign-Programms der Fachrichtung für Kunst, Design und Architektur der Aalto-Universität. In den letzten fünf Jahren haben Aalto-Absolventen begehrte Branchenpreise gewonnen, Aufmerksamkeit in internationalen Zeitschriften wie W, Wallpaper oder Vogue Paris auf sich gezogen und wurden von führenden Modehäusern – von Lanvin und Maison Margiela über Marimekko und Balenciaga – vom Markt weggeschnappt.
Noch vor zehn Jahren aber machte die finnische Mode – mit wenigen Ausnahmen – noch keine Schlagzeilen in der internationalen Modepresse. Was ist passiert?
„Es ging von uns aus“, antwortet Pirjo Hirvonen, Professorin für Modedesign an der Aalto-Universität. „Wir haben eine wagemutige neue Kultur entwickelt, in der wir unsere Denk- und Arbeitsweisen stetig weiterentwickeln“, informiert uns Hirvonen, die von 2003 bis 2008 das Mode- und Textildesign-Programm und von 2008 bis 2015 die Fachrichtung Design der Aalto-Universität leitete.
Aalto unterhält ein weitläufiges Alumni-Netzwerk, dessen Mitglieder weltweit Schlüsselpositionen in der Branche bekleiden und eng mit der Fachrichtung zusammenarbeiten. Die Universität verfolgt einen sehr praxisorientierten Ansatz, der sich von dem anderer hochrangiger Institute wie etwa der Parsons-Universität in New York oder der Londoner Hochschule Central Saint Martins abhebt.
„Unsere Studenten entwerfen und stellen ihre eigenen Materialien her, ob es sich um bedruckte Stoffe für eine Kollektion oder andere Materialien handelt“, vertraut uns Hirvonen an. „Studenten wissen, dass sie etwas selbst anfertigen können, wenn es nicht verfügbar ist. Dieses Modell ist Gold wert: nicht nur für die Branche, sondern auch als Problemlöseansatz in allen Bereichen“, verdeutlicht sie.
Not macht erfinderisch
Hirvonens Vision geht größtenteils auf ihre eigenen Erfahrungen als junge Designerin zurück. Nach ihrem Abschluss an der Universität für Kunst und Design (einem Vorläufer der Aalto-Universität) arbeitete Hirvonen in den 1980er- und 1990er-Jahren als interne Designerin für Damenbekleidung.
„Damals wurden wird darin geschult, Kleidungsstücke für die finnische Bekleidungsindustrie zu entwerfen.“
Im Rahmen der Globalisierung sei die inländische Textilindustrie weitgehend verschwunden. Doch laut Hirvonen hat sich diese Veränderung letztendlich als Segen erwiesen.
„Wir alle waren gezwungen, umzudenken und zu erkennen, dass es sich um ein internationales Parkett handelt – was für Finnland gut ist, ist einfach nicht gut genug“, sagt sie.
Als jungem Kreativtalent mit unzähligen Ideen für den internationalen Markt habe man ihr erklärt, dass sie zwar großartige Ideen habe, inländische Kunden damit aber nicht zufrieden stellen könne. „Diese Antwort war furchtbar einengend und niederschmetternd“, erinnert sie sich. Aber dies hat nur ihre Entschlossenheit verstärkt, eine solche Denkweise zu ändern.
„Als ich mit dem Modeprogramm begann, war es mein vorrangiges Ziel, diese Einstellung und die Unterrichtsmethoden zu reformieren. Kreativität und eine Vision ohne Grenzen müssen gefördert werden“, betont sie.
Verkaufen lernen
Aber gute Ideen allein reichten nicht aus. Ein eingehendes Verständnis des globalen Marktes sei unverzichtbar. Hirvonen führte Business-Management-Kursen in den Modelehrplan ein und setzte in Zusammenarbeit mit Design-Fachrichtungen anderer Universitäten wichtige Projekte um. Sie initiierte zudem übergreifende Studien innerhalb des Fachbereichs und ebnete den Weg für ein neues Masters-Programm für Nachhaltigkeit.
„Viele externe Lehrkräfte sind international in diesem Bereich tätig – unsere gesamte Arbeit muss strategisch und operativ sein“, so Hirvonen. „Und man darf nicht vergessen, dass nicht nur die Studenten begabt sind, sondern auch die Dozenten. Talentierte Lehrkräfte, die sich in dieser Branche auskennen, sind ein Muss.“
Das rigorose Auswahlverfahren des Hochschulprogramms beinhaltet eine Praxiswoche, in der Anwärter eine Reihe unterschiedlicher Aufgaben in Angriff nehmen müssen.
„Signale richtig zu deuten, ist eine Kunst – Studenten sind manchmal müde oder nervös – aber es ist wichtig, den Gesamtzusammenhang zu betrachten“, stellt Hirvonen fest. „Dieser Bereich erfordert eine unverfälschte Einstellung und Leidenschaft – ohne sie kann man unmöglich erfolgreich sein“, führt sie aus.
Wagemutige Originalität
Finnische Mode wird oft ganz allgemein als wagemutig aber sensibel, minimalistisch, nachhaltig, umwelt- und sozialverantwortlich charakterisiert.
Obwohl einige dieser Beschreibungen zutreffen, ist Wagemutigkeit für Hirvornen der grundlegende Aspekt: „Finnische Mode ist von wagemutiger Originalität und von der Verwirklichung individueller Visionen geprägt.“
„Diese junge Generation hatte es im Vergleich zu ihren Vorgängern sehr leicht. Und doch hat sie die Gefahren des Konsumdenkens erkannt, ist sehr umwelt- und politikbewusst und setzt sich mit zentralen Problemstellungen auseinander. Das zeigt sich in ihrem Design. Es sind keine Wegwerfklamotten, sondern langlebige Kreationen, die nicht an kurzlebige Trends gebunden sind“, verdeutlicht Hirvonen.
Auf unsere Frage nach den Namen zukünftiger Stars am Modehimmel hält sie sich bedeckt: „Ich ziehe keine meiner Studenten anderen vor. Sie sind ein wenig wie Blumen in der Sonne: Es blühen immer neue, aufregende Talente auf.
Von Katja Pantzar April 2016