Finnische Forscher erkunden neue Sprachlerntechniken mit Kunst, Bewegung und Fühlen

Beim traditionellen Sprachenlernen liegt der Schwerpunkt oft auf schriftlichen Übungen, wobei die Rolle von Bewegung und Gefühlen vernachlässigt wird. Die Forschung belegt jedoch, dass verkörperte Erfahrungen dazu beitragen können, neue Wörter und Strukturen im Gehirn zu verankern.

Das ist die Idee hinter Embodied Language Learning through the Arts (ELLA) (übers. Verkörpertes Sprachenlernen durch die Künste, kurz ELLA). Es handelt sich dabei um ein von der Kone-Stiftung finanziertes Projekt, das sich mit der Frage beschäftigt, wie künstlerische Betätigungen den Zweitspracherwerb fördern.

„Wir brauchen ELLA, weil sich die Sprachpädagogik ändern muss“, sagt Eeva Anttila, Professorin für Tanzpädagogik an der Theaterakademie der Helsinkier Universität der Künste, die ELLA geleitet hat. „Lernen sollte Spaß machen, motivieren und emotional unterstützen.“

Was hat Kunst damit zu tun?

Auf einem Foto, das von oben aufgenommen wurde, zeichnen sechs Kinder auf dasselbe große Blatt Papier.

Bewegung und Emotionen sind eng mit Kognition verbunden, und verschiedene Betätigungen können zum Sprachenlernen beitragen.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Eeva Anttila

Bewegung und Emotionen sind eng mit Wahrnehmung verbunden. „Wenn Lernende sich körperlich mit Sprache auseinandersetzen, verinnerlichen sie diese tiefer“, stellt Anttila fest. ELLA fördert einen ganzheitlichen Ansatz, der Verkörperung, künstlerischen Ausdruck und Spracherwerb integriert, insbesondere in kulturell diversen Umfeldern.

„Die Aufmerksamkeitsspanne der Schüler ist kurz, und die Künste helfen, die Konzentration lange genug aufrechtzuerhalten, damit die Erfahrungen reifen und ihr Potenzial entfalten können. Lernen durch Handeln geht tiefer und ist wirkungsvoller.

ELLA wurde in Schulen, Vorbereitungskursen für Migranten, Gymnasien, der Erwachsenenbildung und in der Lehrerausbildung eingeführt. „Mit ELLA wollen wir das menschliche Potenzial voll ausschöpfen, indem wir mehrere Fähigkeiten gleichzeitig erlernen und üben“, so Anttila. Durch die Aktivierung der Sinne, Emotionen und motorischen Fähigkeiten entwickeln sich die sprachlichen Kompetenzen der Lernenden und gewinnen gleichzeitig kulturelle Einblicke.

Eines der ELLA-Teilprojekte, „Dans med språk“ (schwedisch für „Tanz mit Sprache“), führte an einem Gymnasium für darstellende Künste in der mittelwestfinnischen Stadt Tampere Spoken-Word-Choreografien auf Schwedisch ein. (Schwedisch ist eine Amtssprache in Finnland.)

Der Kurs steht allen offen, unabhängig von Tanzerfahrung oder Schwedischkenntnissen. Er ist mittlerweile so beliebt, dass es eine Warteliste gibt, eine beeindruckende Leistung, da sich auch zahlreiche finnischsprachige Schüler für die Teilnahme entscheiden.

Flüssiger Sprachgebrauch durch Singen

Eine bunt gemischte Gruppe von etwa 40 Personen stellt sich für ein Gruppenfoto auf; die einen stehen, die anderen knien.

Der „Learn Finnish by Singing“-Chor: Die Rolle, die das Singen beim Sprachenlernen spielen kann, ist ein faszinierendes Gebiet, das noch nicht gründlich erforscht worden ist.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Johanna Lehtinen-Schnabel

Auch das Singen beschleunigt den Spracherwerb. Eine sehr interessante Umsetzung der ELLA-Philosophie ist das Finnischlernen durch Singen.

„Dies ist ein faszinierendes transdisziplinäres Gebiet, das bisher kaum erforscht ist“, sagt Johanna Lehtinen-Schnabel, ELLA-Forscherin und Leiterin der „Learn Finnish by Singing“-Chöre in Helsinki und dem nahegelegenen Espoo.

Die Idee stammt von den Schülern eines Pilotprojekts, in dem Lehtinen-Schnabel erwachsenen Zuwanderern Musikunterricht gab. Singen hilft den Lernenden, sprachliche Prozesse, wie Aussprache, Rhythmus und Intonation, zu verinnerlichen und gleichzeitig die Angst vor Fehlern zu verringern.

Lehtinen-Schnabels Doktorarbeit an der Sibelius-Akademie, der renommierten Musikhochschule in Helsinki, konzentriert sich auf diese sprachbewussten Chöre, die Genres von Pop und Rap bis hin zu Volksmusik abdecken und die Lernenden mit verschiedenen Sprachstilen vertraut machen. Durch den Einbezug von Flashmobs, Dialekten und Improvisationen machen die Chöre das Sprachenlernen zu einem immersiven, praxisnahen Erlebnis.

„Wenn ich im Chor singe, habe ich nicht das Gefühl, zu lernen“, meint Chormitglied Alicia Sevilla. „Es macht Spaß und ist ganz natürlich.“ Sie lernt zwar auch Finnisch in einem regulären Kurs, schreibt dem Chor aber zu, dass er die Flüssigkeit ihres Sprechens und ihr gesprochenes Finnisch verbessert hat. Die Chöre stehen allen Leistungsniveaus offen und erfordern keine Vorkenntnisse der finnischen Sprache.

Die Sprachkenntnisse von Kindern freisetzen

Mehrere Reihen von Schülern werden von hinten gezeigt. Ihre Hände sind erhoben und ahmen die Geste einer Lehrerin im vorderen Teil des Raums nach.

Es macht Spaß und ist ganz natürlich, eine Sprache durch Singen zu erlernen.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Johanna Lehtinen-Schnabel

Die Forschung im Bereich des verkörperten Sprachenlernens hat sich bisher hauptsächlich auf Erwachsene und Kleinkinder konzentriert, hingegen deutlich weniger auf Jugendliche. Elias Girod, Tänzer und angehender Lehrer, hofft, dies zu ändern. In seiner Masterarbeit an der Universität Helsinki untersuchte er im Rahmen von ELLA verkörpertes Lernen im Zweitsprachenunterricht.

„Die Kopplung von Wörtern und Bewegung stärkt die neuronalen Verbindungen, wodurch Informationen einprägsamer und tiefer verankert werden“, sagt er. Dies deckt sich mit Forschungsergebnissen, die den engen Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Kognition belegen.

Für Girod bietet verkörpertes Lernen ein breites Spektrum an Möglichkeiten, darunter Aufstehen, Sitzen auf dem Boden, nach draußen gehen oder einfach die Untersuchung, wie wir unseren Körper in verschiedenen Umgebungen einsetzen. „Sprachenlernen ist mehr als nur Grammatik“, äußert er. „Es geht um Interaktion und Motivation. Künstlerische Betätigung schafft beides auf natürliche Weise.“

Finnlands nationaler Kernlehrplan (2014 novelliert, eine weitere Reform ist für das Schuljahr 2025/26 geplant) legt bereits jetzt Wert auf funktionalen und kognitiven Unterricht gegenüber formalem oder starrem Unterricht, doch Girod wünscht sich weitere Verbesserungen. Er argumentiert, dass für Schüler, die kürzlich nach Finnland gezogen sind, „die Priorität darauf liegen sollte, dass sie sich wohl und verbunden fühlen“.

Er plädiert für einen erfahrungsorientierteren Ansatz, wo Sprache durch Bewegung, Interaktion und kreativen Ausdruck statt durch isolierte Übungen gelernt wird. „Kinder sollten auch zu Aufführungen und Ausstellungen außerhalb der Schule mitgenommen werden“, fügt er hinzu und betont dabei die Bedeutung kultureller Erfahrungen für die Förderung von Sprachkenntnissen und Zugehörigkeitsgefühl.

Als praktischen Schritt schlägt er vor, professionelle Künstler für Workshops und Aufführungen in die Schulen einzuladen.

Sprachunterricht neu gestalten

Im Hintergrund tanzen ein Mann und eine Frau auf der Bühne, während im Vordergrund eine Frau laut aus einem Buch vorliest.

Die Aufführung „Kunnes avartuu“ (etwa: „Bis es sich ausdehnt“) ist ein Dialog zwischen Veli Lehtovaaras Choreografie und Gedichten, die von Milka Luhtaniemi (im Vordergrund) geschrieben und vorgelesen wurden.
Foto: Jani Salonen

Girod kritisiert die Rangliste der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment), da sie nur quantifizierbare Fächer misst und kreative Fächer ausschließt. Diese Unterlassung lässt Tanz, andere Kunstformen und die Sprache, die sie bereichert, außer Acht und übersieht ihren Bildungswert.

ELLA steht für einen Wandel in der Sprachbildung, der sie dynamischer und immersiver macht. Die Integration von Bewegung, Kreativität und zwischenmenschlicher Bindung fördert die sprachliche Entwicklung, das Selbstvertrauen, das kulturelle Bewusstsein und das Zugehörigkeitsgefühl.

Von Carina Chela, April 2025

Wie mir Livestreaming beim Finnischlernen geholfen hat und was meine eigene Erfahrung lehrt

Jeden Dienstagabend sitze ich vor meinem Computer und drücke bei YouTube auf „Go Live“, ausgestattet mit einem fragwürdigen Verständnis der finnischen Grammatik und einer noch bedenklicheren Fähigkeit, Wörter mit mehr Doppelvokalen auszusprechen, als zulässig sein sollte.

Was als unschuldiger Übungsversuch begann, entwickelte sich rasch zu etwas weitaus Bedeutsameren: zu einer Gemeinschaft, einer Gewohnheit und einem langjährigen Experiment über die eigentümlichen Prozesse, durch die Sprachen ins Gehirn gelangen.

Livestreaming ist, wie sich herausstellt, ein unerwartetes, aber effektives Mittel, eben dies zu erreichen. Es erzwingt Konsistenz, lädt zu Feedback in Echtzeit ein und stellt sicher, dass jeder Fehler, egal wie absurd, sofort erkannt, seziert und höchstwahrscheinlich in ein Mem verwandelt wird.

Aber abgesehen von dem Spektakel hat es mir auch einige Lehren über das Erlernen einer neuen Sprache mit auf den Weg gegeben. Hier sind die drei wichtigsten Erkenntnisse.

1. Erst sprechen, dann in Panik geraten

Die größte Tragödie beim Erlernen von Sprachen ist, dass wir oft zu große Angst haben, die Wörter zu verwenden, die wir uns mühsam angeeignet haben. Wir horten sie wie Drachen, die einen Schatz bewachen. Doch während Drachen aus Gier horten, tun wir dies aus Scham, sind zu ängstlich, unsere Worte aus der Hand zu geben, denn es könnte ja die falsche Währung sein, fürchten wir. Aber das ist das Geheimnis: Die einzige Art, eine Sprache zu sprechen, ist – was wohl – sie zu sprechen.

Während des Streamings stellte ich mir einen Timer auf 15 Minuten und schwor mir feierlich, meine Gedanken auf Finnisch zu formulieren, bevor ich mir die Gnade einer Übersetzungsüberprüfung gönnte. Manchmal war ich nah dran. Andere Male erklärte ich unbeabsichtigt dem grammatikalischen Konzept den Krieg. Einmal übersetzte ich den Namen meines Heimatlandes, der Vereinigten Staaten (auf Finnisch: „Yhdysvallat“) selbstbewusst als „Schweiz“ ins Englische.

Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich es gewohnt war, es nur als „Amerikka“ oder „USA“ zu sehen (Finnischsprachige verwenden diese englische Abkürzung häufig). In der Hitze des Gefechts geriet mein Gehirn in Panik und sah eine Ähnlichkeit zwischen „Yhdysvallat“ und „Itävalta“ (was eigentlich Österreich ist; ich lag also doppelt falsch). Die Zuschauer im Chat hatten großen Spaß an diesem Aussetzer und haben mich nie darüber hinwegkommen lassen – und das sollten sie auch nicht.

Denn hier ist der springende Punkt: Niemand erwartet von einem, perfekt Finnisch zu sprechen (am allerwenigsten die Finnen selbst). In dem Moment, als mir das klar wurde, waren meine Fehler für mich keine Demütigung mehr, sondern urkomisch. Fehler sind keine Misserfolge, sondern ein Beweis dafür, dass man sich anstrengt. Und wenn man Glück hat, kann man daraus sogar eine tolle Komödie machen.

Wenn man kein Livestream-Publikum hat, das einen zur Rechenschaft zieht, erzählt man seinen Tag auf Finnisch, nimmt Sprachnotizen auf oder spricht mit seinem Haustier. Dabei wird man zwar nicht korrigiert, aber auch (wahrscheinlich) nicht kritisiert.

2. Sprachen lernt man am besten in Gesellschaft

In einer farbenfrohen Illustration spricht das Gesicht einer Person auf der einen Seite mit einer Reihe von Augen auf der anderen Seite, die Livestream-Zuschauer symbolisieren.

Das Publikum schaut zu: Sprachenlernen ist auch ein kulturelles Hin und Her.
Illustration: Jarkko Ojanen

Sprachen sind keine Gleichungen, die gelöst werden müssen, sondern lebendige, atmende Elemente. Und sobald man andere Menschen mit einbezieht, wird der Prozess lebendiger, lustiger und weitaus einprägsamer.

Einer der größten Vorteile des Livestreamings meiner Finnischübungen auf YouTube war die Interaktion mit den Zuschauern. Sie korrigierten meine Fehler, forderten mich mit neuen Wörtern heraus und hatten gelegentlich großes Vergnügen an meinen sprachlichen Missgeschicken. Doch das Erlernen einer Sprache ist auch ein kultureller Austausch, und in meinem Stream ist das wechselseitig. Wie von  geduldigen Floßführern, die jemandem Nachhilfe geben, der dachte, die Fahrt wäre eher ein „Lazy River“, werde ich durch die wilden Gewässer des Finnischen gelotst, während ich mich meinerseits mit meinen kulturellen Leckerbissen revanchiere.

Einer meiner stolzesten Beiträge? Meine finnischen Zuschauer davon zu überzeugen (oder es zumindest zu versuchen), dass Reissumies eindeutig die beste Marke für dunkles finnisches Roggenbrot ist und dass man es am besten getoastet und mit Erdnussbutter und Blaubeermarmelade bestrichen genießt.

Einige Leute im Chat waren skeptisch gegenüber den nicht-finnischen Brotbelägen. Andere waren sogar entsetzt. Doch wie bei allen großen Debatten war das Gespräch selbst der halbe Spaß. Beim Erlernen einer Sprache handelt es sich nicht nur um die Beherrschung der Grammatik, es geht um die Verbindungen, die wir knüpfen, die Ideen, die wir austauschen, und das Lachen, das entsteht, wenn wir die Eigenheiten des anderen entdecken.

Wenn Live-Streaming keine Option ist, gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, das Sprachenlernen sozial zu gestalten. Man kann an Online-Foren teilnehmen, Sprach-Meetups besuchen oder finnische Beiträge in sozialen Medien kommentieren. Die Freundlichkeit von Fremden (und deren gelegentliche Belustigung) ist ein unterschätztes Lernmittel.

3. Der Trick ist nicht die Motivation – es ist die Routine

Die Motivation ist unzuverlässig. Sie kommt in großen, heroischen Schüben und verschwindet, sobald die Dinge unbequem werden. Die Routine schuftet sich jedoch ungeachtet allen Enthusiasmus voran.

Meine Dienstags-Streams wurden mir heilig, nicht weil ich immer Lust dazu hatte, sondern weil sie einfach das waren, was ich dienstags tat. Es gab viele Abende, an denen ich mich vorher dagegen gesträubt hatte, aber wenn ich erst einmal in Fahrt kam, fing es an, mir Spaß zu machen. Der Chat wurde spannender, die Kommentare flossen und plötzlich kam es mir albern vor, dass ich mich zunächst dagegen gewehrt hatte.

Wem es schwerfällt, am Ball zu bleiben, bindet seine Lerneinheiten an etwas Unverrückbares: Man kann „Selkouutiset“ (Nachrichten auf Leichtfinnisch) beim Morgenkaffee lesen, auf dem Weg zur Arbeit einen finnischen Podcast hören oder vor dem Schlafengehen einen Tagebucheintrag schreiben. Sprachen lernt man in kleinen, stetigen Momenten, nicht in großen Inspirationsanfällen.

Ein paar abschließende Gedanken

In einer farbenfrohen Illustration spricht und gestikuliert eine Person vor einem Computer, auf dessen Bildschirm ein Videosymbol und ein Wort auf Finnisch angezeigt werden.

Fehler sind keine Versäumnisse; sie sind der Beweis, dass man sich bemüht.
Illustration: Jarkko Ojanen

Trotz der Fehler, der Unbeholfenheit und des gelegentlichen sprachlichen Desasters ist mir durch das Livestreaming klar geworden, dass ich Finnisch nicht allein durch die bloße Kraft der Logik beherrschen kann. Zu oft bin ich an die Sprache wie an ein Sudoku-Puzzle herangegangen und habe die Kasusendungen analysiert, als wären sie Zahlen, deren Addition genau stimmen muss. Doch Sprache ist kein Raster, das es zu lösen gilt, sie ist etwas Gelebtes, Gesprochenes und manchmal auch etwas völlig Verpatztes.

Denn Finnisch wird ja nicht so sehr gelernt, sondern vielmehr aufgeschnappt. Es ist eine Sprache, in der sich Silben wie mondbeschienene Gewässer bewegen und Endungen mit einer Logik umwunden werden, die selbst Muttersprachlern manchmal zu denken gibt.

Welche andere Sprache hätte der weise alte Barde Väinämöinen verwenden können, um seinen Rivalen in einen Sumpf zu singen, eine böse magische Plage zu vertreiben und eine vergessene Weisheit aus dem Bauch eines Riesen zu locken, wie er es im finnischen Nationalepos „Kalevala“ getan hat? Eine Sprache voller Poesie und Kraft. Und hier sitze ich und versuche, nicht in Panik zu geraten, wenn die Kassiererin fragt: „Haluatko muuta?“ (Möchten Sie noch etwas?).

Also lernen wir. Wir hören zu. Wir sprechen, wenn auch unbeholfen, im Vertrauen darauf, dass Sprachgewandtheit nicht durch große Momente der Inspiration entsteht, sondern durch die kleinen, täglichen Rituale des Versuchens, des Scheiterns und erneuten Versuchens. Wir akzeptieren den Rhythmus, die Absurdität und die schiere Magie des Ganzen, bis wir eines Tages einen Satz formulieren können, der nicht in der Luft verpufft.

Onnea matkaan! (Viel Glück auf deinem Weg!)

Von Tyler Walton, April 2025

Finnlands traditioneller Wahltagskaffee verbindet die unterschiedlichsten Wähler

Finnland weist generell eine hohe Wahlbeteiligung auf; es ist nicht übertrieben zu sagen, dass viele Menschen dies als Bürgerpflicht betrachten. So lag die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2024 bei 75 Prozent (77,3 Prozent bei den Frauen und 72,5 Prozent bei den Männern).

Ein inoffizieller Aspekt der Wahlen taucht in den Statistiken nicht auf, obwohl man argumentieren könnte, dass er zur Wahlbeteiligung beiträgt. Um in Anlehnung an einen englischsprachigen Spruch im politischen Wahlkampf übersetzt zu zitieren: „Es ist der Kaffee, du Depp.“

Kombiniert man Wahlen mit Finnlands ausgeprägter Kaffeekultur, so wird daraus die langjährige finnische Tradition des Wahltagskaffees. Nachdem man mit der Stimmabgabe seinen Beitrag geleistet hat, wird es Zeit, in einem nahegelegenen Café oder bei Freunden auf eine Tasse Kaffee und dazu vielleicht ein Stück Gebäck einzukehren. Wessen Wahllokal sich in einem Schulgebäude befindet, in dem dürfen Kinder und Eltern ein Pop-up-Café betreiben, um Geld für einen Klassenausflug zu sammeln.

Ein kaffeewürdiger Anlass

In einem großen Raum sitzen Menschen an einem langen Tisch, im Hintergrund sind mehrere Wahlkabinen zu sehen.

Sich auszuweisen und in eine Wahlkabine zu gehen, um seine Stimme abzugeben, ist eine kleine, aber bedeutsame Handlung.
Foto: Emilia Kangasluoma

In Finnland wird laut dem Internationalen Kaffeeverband pro Kopf weltweit am meisten Kaffee getrunken. Jährlich werden hier mehr als 12 Kilogramm pro Person konsumiert.

Beim Kaffeetrinken spielt jedoch nicht nur die Menge eine Rolle. Ob es sich nun um eine Kaffeepause mit Kollegen oder die symbolische Anerkennung eines wichtigen Meilensteins wie der Stimmabgabe handelt, Kaffeetrinken ist oft mit einem gesellschaftlichen Ereignis und einem Zusammengehörigkeitsgefühl verbunden.

Während der kürzlich stattgefundenen landesweiten Wahlen hatten wir uns nach Helsinki aufgemacht, um mit den Menschen über das finnische Phänomen – ja, Phänomen – des Wahlkaffees zu reden. Unterwegs nahmen wir reichlich Koffein zu uns und führten erstaunlich weitreichende Gespräche über den Stellenwert des Kaffees in den finnischen Herzen, in ihrer Kultur und in den Wahltagstraditionen.

Wählen und Kaffee gehören zusammen

Eine stilvoll gekleidete ältere Frau sitzt an einem Tisch vor einer Tasse Kaffee und einer Vase mit rosa Blumen.

Ann-Helen hat eine Wahlgeschichte, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht, und geht nach fast jeder Stimmabgabe einen Kaffee trinken.
Foto: Emilia Kangasluoma

Ann-Helen hatte gerade ihre Stimme in einem Wahllokal in Oodi, Helsinkis Zentralbibliothek, abgegeben, einem architektonischen und kulturellen Wahrzeichen, das bei Helsinkiern und Touristen gleichermaßen beliebt ist. Sie ist Psychologin sowie Psychoanalytikerin im Ruhestand und geht bereits seit den 1960er Jahren wählen.

Sie setzte sich mit einer Tasse schwarzen Kaffees in das Oodi-Café im dritten Stock, von wo aus wir einen Blick auf die silbernen Außenwände des Kiasma-Museums für zeitgenössische Kunst, die stattlichen Steinsäulen des Parlaments und die Ganzglasfassade des Musikzentrums hatten.

Wie für viele Menschen in Finnland gehören auch für Ann-Helen Stimmabgabe und Kaffee zusammen. Zum Wahltagskaffee wählt sie meist einen pikanten Snack statt eines süßen Desserts.

„Im Anschluss an die letzte Präsidentschaftswahl bin ich nicht Kaffee trinken gegangen, es fühlte sich irgendwie falsch an“, sagt sie. „Abgesehen von der damaligen Zeit bin ich stets Kaffee trinken gegangen.“ Sie sei seit einigen Jahren Witwe, sagt sie. „Es war schöner, zu zweit einzukehren, aber ich gehe trotzdem noch hin – und hier bin ich wieder.“

Die Entscheidung, wen zu wählen, sei einfach gewesen, sagt Ann-Helen. „Ich hatte zwei Kandidaten im Blick und habe auf dem Weg hierher darüber nachgedacht.“ Dies ist das zweite Mal, dass sie von der Möglichkeit Gebrauch macht, vorzeitig zu wählen. „Nur um sicherzugehen, dass mich nichts vom Wählen abhält“, meint sie.

Was empfindet sie, gewählt zu haben? „Es ist ein befriedigendes Gefühl.“ Jetzt, wo die Vorabstimmung läuft und der Wahlsonntag näher rückt, denkt sie:  „Wenn man Bekannte oder Freunde trifft, muss man sie immer fragen: ‚Hast du schon gewählt‘?“

Etwas vornehmer

Neben einem Baby im Kinderwagen sitzt eine lächelnde Frau mit einer Kaffeetasse in der Hand an einem Tisch, auf dem ein Topf Narzissen steht.

Tähti macht ihre Familie erstmals mit der Tradition des Wahltagskaffees bekannt.
Foto: Emilia Kangasluoma

An einem sonnigen, aber frischen Frühlingstag ging Tähti nach ihrer Stimmabgabe im Rathaus von Helsinki zu einem am Meer gelegenen Café am Marktplatz. Eine kühle Brise wehte, doch ein zeltartiger Pavillon sorgt für Gemütlichkeit bei den Gästen, Kellnern und Journalisten.

Der einjährige Nietos schaute von seinem Kinderwagen aus zu, während seine Mutter eine Tasse Kaffee und ein mit Marmelade gefülltes Gebäck genoss. Sie brach ihm ein Stück davon ab, damit er daran knabbern konnte.

Tähti ist Cellistin und Musiklehrerin. Sie und ihre Familie leben für ein Jahr in Helsinki, während ihr Partner sein Lehramtsstudium absolviert. Danach planen sie, in die mittelwestliche Stadt Tampere zurückzukehren.

„Es war schön, im Rathaus zu wählen, denn ich war noch nie dort“, sagt sie. „Dort zu wählen, fühlte sich vornehmer an als in der örtlichen Bibliothek, wo ich sonst immer gewählt habe.“

Sie stammt aus keiner Familie, in der Kaffee am Wahltag großgeschrieben wird, aber sie hat beschlossen, den Brauch zu übernehmen. „Ich weiß, dass er von Generation zu Generation weitergegeben wird“, erläutert sie. „Jetzt, wo ich einen einjährigen Sohn habe, ist der Zeitpunkt gekommen, damit anzufangen. Er ist zum ersten Mal mit mir wählen gegangen. Ich kann jetzt eine Tradition für unsere Familie schaffen.“

Wichtiger denn je

Eine Tasse Kaffee und ein fast rechteckiges Gebäckstück stehen auf einem Tisch mit Marimekko-Tischdecke mit Blumenmuster.

Dieses Gebäck ähnelt nur entfernt dem Tier, nach dem es benannt ist: „Possu“, auf Deutsch „Schwein“.
Foto: Emilia Kangasluoma

Tähti ist von der Idee angetan, weil das Ritual des Kaffeetrinkens „die Stimmabgabe etwas feierlicher erscheinen lässt“. Es ist schon komisch, wie Kaffee und Gebäck Menschen dazu bringen können, zur Wahl zu gehen.

„Wählen scheint wichtiger zu sein denn je“, sagt Tähti. „Als ich noch studierte, dachte ich wohl, dass eine Stimme keine Rolle spielen könne. Aber seit vielen Jahren habe ich bei jeder einzelnen Wahl meine Stimme abgegeben.“

„Angesichts der ungewöhnlichen Weltlage wird einem wirklich klar“, fährt sie fort, „dass man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass Demokratie von Dauer ist. Als ich jünger war, habe ich das als selbstverständlich angesehen.“

Nietos mampft immer noch sein Gebäckstückchen und reckt den Hals, um die zwitschernden Vögel zu beobachten, die auf der Suche nach Krümeln herumhüpfen.

„Ein Kind zu haben, verändert auch die Denkweise“, findet Tähti.

Kaffee unter Freunden

Eine Frau und ein Mann sitzen lächelnd in einem sonnendurchfluteten Café und halten Kaffeetassen in den Händen.

Für Saana (links) und Vesa ist der Wahltagskaffee eine Möglichkeit, die Stimmabgabe zu feiern und andere zum Wählen zu animieren.
Foto: Emilia Kangasluoma

Wir trafen Saana und Vesa im Café Monami, das sich in einem ehrwürdigen Herrenhaus am östlichen Stadtrand der finnischen Hauptstadt befindet. Beide leben schon lange in Helsinki, sind aber mehr als 400 Kilometer nördlich von Helsinki, in der Nähe von Kaustinen, aufgewachsen, dem Austragungsort eines großen jährlichen Folkmusikfestivals.

Musik wurde zu einem Teil ihres Lebens: Saana ist freiberufliche Musikerin, und Vesa, ein Allroundtechniker, arbeitet nebenbei manchmal als Konzerttontechniker.

Während sie sich an großen, unglaublich köstlichen Kuchenstücken laben, erzählten sie, wie der Wahltag in den Kleinstädten war, in denen sie aufgewachsen sind.

Als Kind begleitete Vesa seine Eltern und Verwandten häufig zum Wahllokal. „Es hatte etwas Aufregendes an sich“, so Vesa. „Es war so offiziell.“ Anschließend gab es Kaffee.

„Ich erinnere mich, wie wichtig das Wählen für die Leute war, insbesondere für ältere Menschen“, sagt Vesa. Viele zogen sich ihre besten Kleider an, um ins Wahllokal zu gehen, und manche tun das immer noch.

„Es war ein würdevoller, ernster Anlass“, sagt Saana. „Und dann feierte man, indem man Kaffee trinken ging. Die Finnen haben ohnehin eine ausgeprägte Kaffeekultur. Täglich gibt es eine Kaffeepause. Aber am Wahltag geht es festlicher und feierlicher zu.“

Sie ist sich nicht mehr sicher, ob ihr Vater nach der Wahl einen Kaffee getrunken hat, denn er ging immer abends, kurz bevor das Wahllokal schloss, wählen. „Das war seine Tradition“, so Saana. „Er sagte stets, dass jemand noch so spät hingehen müsse, damit die Wahlhelfer nicht das Gefühl hätten, den ganzen Abend da umsonst gesessen zu sein.“

Apropos „Talkoot“

Eine Tasse Kaffee und ein Stück Schokoladenkuchen stehen auf einem Tisch.

Wir glauben, Sie werden uns zustimmen, dass die Tradition des Wahltagskaffees etwas Süßes an sich hat.
Foto: Emilia Kangasluoma

Auch wenn die Stimmabgabe an sich ein individueller Akt ist, ist sie definitiv auch Teil einer kollektiven Anstrengung.

„Ich gehe immer wählen“, sagt Vesa. „Es ist schön, die Tradition aufrechtzuerhalten, und es ist auch für die Gesellschaft wichtig.

Saana findet das selbstverständlich. „Man verliert nichts, wenn man wählt“, sagt sie. „Warum sollte ich nicht wählen?“

Vesa glaubt, dass die eigene Einstellung zum Wählen, ob negativ oder positiv, auf die Menschen um einen herum abfärbt. „Es scheint, als ob der Kaffee am Wahltag dazu beiträgt, andere zum Wählen zu bewegen“, stellt er fest. „Damit bringt man zum Ausdruck: ‚Ich habe gewählt. Geht auch zur Wahlurne‘.“

Mit anderen Worten: Kaffee – und nicht zu vergessen Gebäck – bietet den Leuten einen deliziösen Vorwand, aus der Wahl eine große Sache zu machen. Er vermutet, dass es eventuell mehr Spaß macht, in den sozialen Medien ein appetitanregendes Foto vom Wahltagskaffee zu posten, als nur eine Nachricht, die da lautet: „Ich habe gewählt!“

Auf symbolischer Ebene demonstriert die sichtbare, gesellige Tradition des Wahltagskaffees, dass Wählen – und Regieren – eine gemeinsame Anstrengung ist, unabhängig von der Partei, die man gewählt hat. (Auf dem Wahlzettel stehen in der Regel ein Dutzend oder mehr Parteien. Acht bis zehn von ihnen erhalten üblicherweise genügend Stimmen, um Sitze im Parlament zu ergattern.)

Die Diskussion erinnert an das finnische Wort „talkoot“, das eine Veranstaltung bezeichnet, bei der Menschen zusammenkommen, um gemeinsam eine große Aufgabe zu bewältigen. Die Mitarbeit an einem gemeinsamen Ziel stärkt das Gemeinschaftsgefühl.

Es überrascht vielleicht nicht, dass auch zum „talkoot“ immer eine Kaffeepause gehört.

Von Peter Marten, April 2025

Wahlen: Ausländer in Finnland wählen bei Kommunal- und Regionalwahlen

Freie und faire Wahlen, über die von einer freien und unabhängigen Presse berichtet wird, sind ein Eckpfeiler der Demokratie.

In Finnland finden Präsidentschaftswahlen (im Abstand von sechs Jahren), Parlamentswahlen (im Abstand von vier Jahren), Wahlen zum Europäischen Parlament (im Abstand von fünf Jahren) und nicht zuletzt kombinierte Regional- und Kommunalwahlen (im Abstand von vier Jahren) statt.

In Finnland lebende Ausländer können an den Regional– und Kommunalwahlen (die am 13. April 2025 stattfinden) teilnehmen. Das ist eine Chance, sich als Wähler oder Kandidat in den politischen Prozess einzubringen, seine Meinung zu äußern und einen gewissen Einfluss auf die künftige Richtung der Gesellschaft zu haben.

Zum Spielen in die Bibliothek

Ein Mann sitzt auf einer Holztreppe, während im Vordergrund ein kleines Mädchen spielt.

Navid, ein langjähriger Einwohner Finnlands, der ursprünglich aus Afghanistan stammt, und seine Tochter haben Platz zum Spielen in der Kinderabteilung von Oodi, der Zentralbibliothek von Helsinki.
Foto: Emilia Kangasluoma

Eines der zahlreichen Wahllokale, die für die vorgezogene Stimmabgabe zur Verfügung stehen, befindet sich im obersten Stockwerk von Oodi, der Zentralbibliothek von Helsinki und einem der architektonischen Wahrzeichen der Stadt. Auf derselben Etage ist auch die Kinderabteilung mit einem großzügigen Spielbereich. Dutzende von Kinderwagen sind in der Nähe geparkt. Dies zeigt, wie beliebt der Ort bei Helsinkier Familien ist.

Navid, von Beruf Schweißer, ist vor kurzem aus der nordfinnischen Stadt Oulu nach Helsinki gezogen. Er stammt ursprünglich aus Afghanistan und lebt seit neun Jahren in Finnland.

Während er seine Tochter Aliisa im Auge behält, sagt er uns: „Ich glaube, es ist wichtig“, wählen zu können. Allerdings wird er seine Stimme heute nicht in Oodi abgeben, sagt er. Der Grund dafür wird deutlich, als Aliisa seine Hand ergreift und ihn zum Spielplatz zieht.

Teilnahme ist sehr wichtig

Ein Mann sitzt auf einem Stuhl und hält ein kleines Kind auf dem Schoß. Im Hintergrund sind Bücherregale und Tische zu sehen.

Der Italiener Fabio, der mit seiner Familie in Finnland lebt, schätzt die Möglichkeit, bei den Kommunalwahlen seine Stimme abgeben zu können.
Foto: Emilia Kangasluoma

Nicht weit entfernt sitzt der Italiener Fabio mit seinem Sohn Leonardo. Fabio lebt seit 12 Jahren in Finnland.

„Es ist superwichtig“, sagt Fabio auf die Frage, was es für ihn bedeutet, an der Wahl teilnehmen zu können. „Ich bin kein Staatsbürger, aber ich wohne hier, und daher ist es gut, dass ich den Bürgermeister der Stadt wählen kann, in der ich lebe.“ Er fügt hinzu, dass es „ganz schön ist, im Voraus wählen zu können“.

Leonardo ist sein drittes Kind. „Ich habe jetzt eine Familie und daher sind mir Fragen wichtig, die die Familie betreffen“, sagt Fabio. Wir haben ihn am letzten Tag seines dreimonatigen Elternurlaubs erwischt. Bald wird er an seinen Arbeitsplatz als Forscher bei der finnischen Zentralbank zurückkehren, und Leonardo wird zusammen mit seinen beiden älteren Schwestern in die Kinderbetreuung gehen.

„Waaah“, sagt Leonardo, als ob er eine gutmütige Bemerkung zu dem machen würde, was sein Vater gerade gesagt hat.

Wer darf bei welcher Wahl wählen?

In einem geräumigen Raum gehen mehrere Personen zu hölzernen Kabinen, die neben einem Schreibtisch und Bücherregalen stehen.

In einem Wahllokal in Oodi, der Zentralbibliothek von Helsinki, gehen Menschen zu den Wahlkabinen.Foto: Emilia Kangasluoma

Wie groß ist der Anteil der im Ausland lebenden Personen an der finnischen Wählerschaft? Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts leben laut dem finnischen Amt für Statistik mehr als 411 000 ausländische Staatsangehörige in Finnland. Das sind 7,3 Prozent der Gesamtbevölkerung von 5,6 Millionen, wobei im Ausland geborene Menschen, die die finnische Staatsbürgerschaft besitzen, nicht mitgezählt sind. In Helsinki und der umliegenden Region machen Ausländer mehr als 12 Prozent der Einwohner aus.

Für Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ist die finnische Staatsbürgerschaft erforderlich, und in Finnland lebende EU-Bürger können an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen. Bei Regional- und Kommunalwahlen haben jedoch alle Ausländer, die seit mindestens zwei Jahren in Finnland leben, das aktive und passive Wahlrecht.

In den meisten Teilen des Landes wählen die Menschen am selben Tag einen Kandidaten bei den Regionalwahlen und einen bei den Kommunalwahlen. Helsinki ist eine eigenständige Gemeinde ohne Landkreis, so dass die Helsinkier nur bei einer Wahl ihre Stimme abgeben.

Alle Wahlberechtigten sind automatisch als Wähler registriert (das Wahlalter beträgt 18 Jahre). Sie werden vor jeder Wahl digital oder per Post benachrichtigt und erhalten unter anderem die Adresse ihres örtlichen Wahllokals und eine Liste der Wahllokale, in denen sie ihre Stimme abgeben können. Bei den Regional- und Kommunalwahlen im April 2025 waren unter den 4 270 942 Wahlberechtigten 260 047 ausländische Staatsangehörige, was einem Anteil von 6,1 Prozent entspricht.

Von Peter Marten, April 2025

Der finnisch-amerikanische Designer Ervin Latimer kreiert inklusive Mode

Modedesigner Ervin Latimer scheint sich problemlos zwischen Haute Couture und Massenmarkt zu bewegen. Er präsentiert seine Kleidung auf renommierten internationalen Modewochen und entwirft gleichzeitig Kleidungsstücke für eine finnische Hypermarkt-Kette. Er mag zwar eine Modeschau in einem leuchtend roten Drag-Outfit veranstalten, hält sich aber für pragmatisch. Seine Kollektionen wurden in der Vogue vorgestellt, aber es ist ihm egal, wer seine Designs trägt.

Latimers Kleidungstücke ähneln den Silhouetten traditioneller Herrenmode, wie zweiteilige Anzüge und Button-up-Hemden, die jedoch so konzipiert wurden, dass sie ungeachtet des Geschlechts, der Körperform oder der Identität des Trägers getragen werden können. Durch kleine Kniffe lassen sich die Kleidungsstücke an unterschiedliche Körper und Anlässe anpassen.

„Ich entwerfe Kleidung, die Maskulinität repräsentiert. Sie ist aber für kein bestimmtes Geschlecht gedacht, sondern für Menschen, die Maskulinität ausdrücken oder darstellen möchten“, sagt er.

Dies bringt uns zum Hauptgrundsatz von Latimers Design-Philosophie: Er ist in erster Linie ein wertorientierter Designer. Er engagiert sich für Gleichstellung der Geschlechter und Gerechtigkeit, Inklusion, Antirassismus und queere Kultur, allesamt auch wichtige Teile seiner Identität, als homosexueller Sohn einer finnischen Mutter sowie eines afrikanisch-amerikanischen Vaters.

„Designer haben viel Macht. Wir teilen unsere Visionen darüber, wie Menschen und deren Körper aussehen sollten und wie sie sich selbst ausdrücken können oder nicht. Ich fühle eine gewisse Verantwortung, eine inklusive und gerechte Vision zu schaffen“, sagt Latimer.

Er möchte, dass die Menschen, die neugierig auf ihre maskuline Seite sind, seine Kleidungsstücke anschauen und denken, oh, ich kann mir vorstellen, das selbst zu tragen. Das passt zu mir. Außerdem wünscht er sich, dass seine Kleidung gleichermaßen für das Sitzen im Bus oder in der Limousine tragbar ist.

Die Karriere entsprang der Suche nach dem eigenen Weg

Der finnisch-amerikanische Modedesigner Ervin Latimer spricht über seine Designideologie (gefilmt im Paimio-Sanatorium, einem architektonischen Meisterwerk von Alvar und Aino Aalto aus dem Jahr 1933).Video: ThisisFINLAND

Latimers Marke Latimmier erwuchs aus der Suche des Designers nach seinem Platz in der Gesellschaft und aus seinem Wunsch heraus, sich selbst und seine Werte in der ihn umgebenden Welt repräsentiert zu sehen. Es habe schon immer marginalisierte Gruppen von Menschen gegeben, und das sei auch heute noch so, die nicht so sichtbar seien wie andere, sagt Latimer. Mit der Gründung einer Kreativmarke wollte er sich in der Reihe von weniger repräsentierten Kreativen in diesem Land positionieren und herausfinden, welche Form Finnischtum für ihn annehmen würde.

Es war nie Latimers Kindheitstraum,  Modedesigner zu werden. Jedoch schaute er schon in jungen Jahren seiner Tante beim mühelosen Stricken von Pullovern und ihrer Großmutter beim Basteln zu.  Er lernte visuelle Kunst am Gymnasium, wo er sich in den upgecycelten Kleidungsstücken, die er auf Flohmärkten kaufte, nicht fehl am Platz fühlte.

Er arbeitete im Einzelhandel, während er Modedesign an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften studierte, und schloss schließlich mit dem Master im angesehenen Modedesign-Programm der Aalto-Universität ab. Außerdem war er Mitbegründer und Chefredakteur von Ruskeat Tytöt Media, Finnlands erstem Kulturträger für Schwarze, Indigene und Farbige (BIPOC).

Ein Mann in modischem Anzug sitzt auf einem Stuhl, stützt sich auf eine Armlehne und schaut in die Kamera.

Foto: Mikael Niemi

Start mit Paukenschlag

Latimer erinnert sich an das erste Mal, als er von den finnischen Medien interviewt wurde. Kurz nach der Präsentation seiner Abschlusskollektion wurde ihm der Titel Titel „Finnischer Nachwuchsdesigner des Jahres“ verliehen, ein Preis, der seit den 1990er-Jahren jährlich an vielversprechende Designstudenten vergeben wird.

Latimer übertrug sein eigenes Markenzeichen auf das Thema des Wettbewerbs: Multifunktionalität. Er nutzte die neugegründete Plattform, um branchenrelevante Themen hervorheben, die er angehen wollte.

„Normalerweise muss sich ein Körper an ein Kleidungsstück anpassen. Man muss eine bestimmte Form oder Größe vorweisen, um in ein bestimmtes Kleidungsstück zu passen. Was wäre, wenn es genau umgekehrt wäre? Was wäre, wenn sich ein Kleidungsstück an den Körper einer Person anpassen könnte?“

Also entwarf er anpassbare, wendbare und geschlechtsneutrale Kleidung – ästhetisch und sorgfältig geschneidert und dennoch tragbar und zugänglich.

Im Januar 2022 wurde die Marke Latimmier mit Erfolg bei Pitti Uomo eingeführt, dem führenden Event für Herrenmode in Florenz, Italien. Latimer ging als sein Dragqueen-Alter-Ego Anna Konda, auf die Bühne, um seine Kollektion vorzustellen.

Die übergroßen Anzüge mit vorsätzlichen Schlitzen und Spalten sollten mit dem Konzept von Männlichkeit spielen.Sie wurden von Models mit unterschiedlichen Geschlechtern, Körperformen und sexuellen Identitäten getragen. Unter anderem berichtete die New York Times über die Show sowie deren Wurzeln in der Drag-Kultur. Ervin Latimer war offiziell angekommen.

Praktiziere, was du predigst

Ein blaues Gewand ist auf einem Stuhl derart arrangiert, als würde das Kleidungsstück dort sitzen.

Von den Seiten der Vogue bis zu einem finnischen Hypermarkt: Ervin Latimer entwirft Kleidung, die sich für fast alle Körperformen, Geschlechter oder Anlässe eignet.
Foto: Mikael Niemi

Außerhalb des Rampenlichts hat Latimer viel Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, wie er die Existenz einer weiteren Kleidermarke rechtfertigen könne. Die Welt benötige nicht noch mehr Textilien, stimmt er zu. Was sie jedoch benötige, seien faire Arbeitsplätze, nachhaltige Arbeitsbedingungen sowie frischen Wind in einer Industrie, die auf Exklusivität und Einschränkungen basiert. Mit anderen Worten: Er nutzt seine Fähigkeiten als Designer dazu, um einen positiven Sinneswandel zu bewirken.

„Ich würde gerne beleuchten, was hinter verschlossenen Türen in Unternehmensvorständen und Führungsteams passiert. Wer hat das Sagen und wer profitiert? Wer bekommt die Möglichkeit, zu arbeiten und warum? Wenn die visuellen Markenelemente sehr inklusiv sind, aber das Unternehmen selbst es nicht ist, dann ist dies nicht sehr nachhaltig“, sagt er.

Latimer praktiziert das, was er predigt. Kürzlich entwarf er eine geschlechtsneutrale Kollektion für K-Citymarket, eine Hypermarktkette des finnischen Einzelhandelsriesen Kesko. Es war das erste Mal in ihrer Geschichte, dass die Kette geschlechtsneutrale Kleidung verkaufte.

Mit der Freedom-Kollektion hat Latimer das getan, wozu er stets neigt: Sie durchbrach die Norm. Die Kleidungsstücke fühlen sich nach Designerkleidung an (schicke Button-up-Hemden, luxuriöse Loungewear), sind jedoch auf alle Arten von Körpern zugeschnitten. Die Kollektion wurde von einem diversen Team vorgeführt sowie fotografiert, und einige Druckmuster waren vom finnisch-guineischen queeren Künstler, Gabby Electra, entworfen worden. Die Kleidungsstücke wurden in Europa hergestellt.

„Keskos Umfrage zufolge kauft jeder zweite Finne gelegentlich Kleidung in einem Hypermarkt. Wenn man das Verhalten und die Einstellungen der Verbraucher beeinflussen möchte, dann muss man an jenen Orten vertreten sein, an denen eingekauft wird.“

Nie wieder Burnout

In einer Nahaufnahme lächelt ein Mann in einem modischen Hemd und Anzug geringfügig in die Kamera.

Foto: Mikael Niemi

Ervin Latimer ist zudem ein unüberhörbarer Verfechter humaner Arbeitsbedingungen. Er selbst durchlebte ein Burnout und möchte sich und auch niemand anderen überbelasten.

„Ich habe Glück, dass ich diese Arbeit zu meinen Bedingungen tun kann, aber manchmal werde ich dadurch geblendet: Ich vergesse meine Grenzen. Ich habe das auf die harte Tour gelernt, aber ich möchte keine Kompromisse machen, wenn es ums Ausruhen geht. Letztendlich bin ich nur ein Mensch“, sagt er.

Seine Angestellten werden fair vergütet. Wenn dies nicht möglich ist, dann stellt er keine Praktikanten ein. Diese Dinge mögen für Laien eventuell selbstverständlich klingen. In der Modebranche sind sie aber nicht sehr weitverbreitet.

„Ich habe Praktika gemacht und Junior-Positionen in großen Modehäusern eingenommen und gesehen, wie rücksichtslos es zugehen kann. Ich habe die Chance, anders zu handeln. Viele traditionelle Marken sprechen unentwegt darüber, ein besseres Morgen zu schaffen. Warum bis morgen warten, wenn man heute etwas verbessern kann?“

Sesshaft werden in dem Land, das er sein Zuhause nennt

Eine Person läuft im obersten Stockwerk eines Gebäudes eine Terrasse entlang, den Hintergrund bilden Baumkronen.

Sanatorium in Paimio. Genau wie Latimer glaubten auch die Architekten Alvar und Aino Aalto daran, dass herausragendes Design für alle zugänglich sein sollte.
Foto: Mikael Niemi

Latimer ist sich nicht sicher, ob er sagen darf, ob er seinen Platz in der Designlandschaft schon gefunden hat. Jetzt ist er Mitte Dreißig, seine Marke ist jung und im Augenblick wünscht er sich, dass er das, was er im Moment tut, noch lange Zeit weitermachen kann – auf eine Art, die mehrfach nachhaltig ist.

Ein Grund, warum Latimer sein Heimatland Finnland so sehr liebt, ist dessen Infrastruktur, die ihm das Leben oft erleichtert. Er hat unter anderem in den Vereinigten Staaten und Italien gelebt sowie gearbeitet und er genießt die großen Städte und die Chancen dort. Am meisten schätzt er hier jedoch die kleinen Dinge: die Zuverlässigkeit und Zweckmäßigkeit.

„Selbst an jenen Freitagen, an denen ich nach einer langen Arbeitswoche am Ende bin, kann ich mich stets darauf verlassen, dass der Bus pünktlich ist und mich nach Hause bringt.“

Text Kristiina Ella Markkanen, ThisisFINLAND Magazine

Zum achten Mal in Folge: Finnland behält den ersten Platz im World Happiness Report – andere nordische Länder unter den Top 7

Jedes Jahr am 20. März, dem Internationalen Tag des Glücks, veröffentlicht das UN Sustainable Development Solutions Network den World Happiness Report. In der Ausgabe des Jahres 2025 führt Finnland erneut die Liste der glücklichsten Länder der Welt an – zum achten Mal in Folge.

Auch die anderen nordischen Länder konnten ihre Plätze aus dem Vorjahr halten: Dänemark auf Platz zwei, Island auf Platz drei, Schweden auf Platz vier und Norwegen auf Platz sieben.

Die Hauptliste des Berichts, das Länder-Ranking zur Lebenszufriedenheit, vergleicht die Antworten auf eine der mehr als 100 Fragen der Gallup World Poll. Die Frage lautet: Wo ordnen Sie Ihr eigenes Leben auf einer Skala von null bis zehn ein (wobei null das schlechtestmögliche Leben und zehn das bestmögliche Leben ist)?

Diese „Lebensbewertungen“ legen den Schwerpunkt auf die Lebenszufriedenheit der Menschen. Der Bericht verwendet einen Durchschnitt der letzten drei Jahre, um die Liste der glücklichsten Länder zu ermitteln.

Rahmen für das Glück

Mehrere Radfahrer fahren an einem sonnigen Tag über eine Brücke, im Hintergrund sind Gebäude zu sehen.

Fahrradfahrer genießen das großartige Wetter in der finnischen Stadt Tampere.
Foto: Jukka Salminen/Visit Tampere

Wenn ein Land seit langem den Ruf genießt, glücklich zu sein, fragt man sich, was das Rezept dafür ist. Darauf gibt es natürlich keine einfache Antwort.

Finnland hat jedoch die sogenannte „Infrastruktur des Glücks“ gefördert. Das Land hat die Kultur und die sozialen Institutionen aufgebaut und aufrechterhalten. Sie bilden für den Einzelnen und Gemeinschaften die Grundlage und den Rahmen für ihr Glück.

Staaten können Maßnahmen ergreifen, um Glück zu fördern – um dem Glück auf die Sprünge zu helfen. Die Forschung zeigt, dass die Lebenszufriedenheit mit einer gut funktionierenden Gesellschaft zusammenhängt, die Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit und Zugang zum Arbeitsmarkt bietet.

ThisisFINLAND hat Finnen und Ausländer gefragt, wie sie Glück in Finnland wahrnehmen. In „Mein glücklicher Ort in Finnland“ erklären vier Auswanderer, wie das Leben in Finnland zu ihrer Glückserfahrung beiträgt. In „Wir haben Menschen in Finnland gefragt, was sie glücklich macht“ geben Passanten in Helsinki eine breite Palette von Antworten. (Beide Artikel enthalten Videos.)

Fürsorge und Teilen

Eine Gruppe von Personen in Badeanzügen und mit Handtüchern in der Hand steht an einem Ufer.

Sauna und Schwimmen sind großartige Möglichkeiten, sich in der finnischen Hauptstadt zu entspannen, wie die Helsinki Happiness Hacks zeigen, die von ThisisFINLAND-Freunden bei Visit Finland zusammengestellt wurden.
Foto: Svante Gullichsen/Visit Finland

Der Weltglücksbericht 2025 ist 260 Seiten lang. Was steht sonst noch darin?

Jedes Jahr befassen sich die Autoren mit glücksrelevanten Themen, um ein umfassendes Bild der Fragen zu zeichnen, die die Menschen bewegen. Im Jahr 2025 liegt der Schwerpunkt auf „den Auswirkungen von Fürsorge und Teilen auf das Glück der Menschen“.

Wie kann man so etwas messen? Die Forscher schauen sich die Antworten der Menschen auf Fragen zum Wohlwollen der anderen an. Wenn Sie Ihren Geldbeutel verlieren und ein Fremder, ein Nachbar oder ein Polizist sie findet, würden Sie erwarten, dass er sie zurückgibt? Finnland schneidet beim „Geldbeutel-Indikator“ gut ab. Dies zeigt, dass die Menschen ihren Mitbürgern vertrauen.

In dem Bericht heißt es: „Alle internationalen Experimente zum Verlust von Geldbeuteln haben gezeigt, dass Finnland und die anderen nordischen Länder zu den besten Orten gehören, an denen man seinen Geldbeutel verlieren kann“.

Bezug zum Wohlbefinden

Ein Mann und eine Frau, die Wintermützen und sportliche Kleidung tragen und Skier in der Hand halten, fahren mit einer Straßenbahn.

Wenn Sie in Tampere den Winter verbringen, sollten Sie mit der Straßenbahn zu einem Wald fahren, wo Sie Langlaufski fahren können.
Foto: Laura Vanzo/Visit Tampere

Es gibt auch Daten darüber, wie oft Menschen gemeinsam essen. (Untersuchungen zeigen, dass „alleine essen nicht gut für das Wohlbefinden ist“ und dass das gemeinsame Essen mit anderen in allen Regionen der Welt große Auswirkung auf das Wohlbefinden hat). Familienmahlzeiten sind in Finnland nach wie vor weit verbreitet: 81 Prozent der Familien mit Kindern essen mindestens einmal am Tag gemeinsam.

Geld für wohltätige Zwecke zu spenden, ehrenamtliche Arbeit zu leisten und Fremden zu helfen, wird ebenfalls mit fürsorglichem Verhalten verbunden. Da Finnland in diesen Rankings nicht an der Spitze steht, vermuten die Autoren des Berichts, dass andere Faktoren eine Rolle spielen.

Das bringt uns zurück zur finnischen Infrastruktur des Glücks. Finnland „verfügt über allgemein zugängliche und qualitativ hochwertige Gesundheits-, Bildungs- und soziale Unterstützungssysteme“, heißt es in dem Bericht. Da „die Ungleichheit des Wohlbefindens gering ist“, gibt es „einen entsprechend geringeren Bedarf an privater Wohltätigkeit“.

Finnland und seine Infrastruktur des Glücks

  • Vertrauen spielt eine entscheidende Rolle. In Finnland erstreckt sich das Vertrauen nicht nur auf persönliche Beziehungen, sondern auch auf öffentliche Einrichtungen, die Staatsführung und sogar Fremde.
  • Gute Regierungsführung und ein politisches System, das transparent, rechenschaftspflichtig und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist.
  • Ein gesellschaftlicher Rahmen, der Stabilität und Sicherheitsnetze kombiniert, so dass der Einzelne ohne Angst vor dem Scheitern Lebensentscheidungen treffen kann.
  • Ein starkes Gefühl der gemeinsamen Verantwortung fördert eine faire und gerechte Gesellschaft, die für das Glücklichsein von zentraler Bedeutung ist. Über 90 Prozent halten das Zahlen von Steuern für eine wichtige Bürgerpflicht.
  • Partizipation und Dialog: Aktive Teilnahme und ein offener Dialog zwischen der Öffentlichkeit und den Behörden fördern Inklusion und Empowerment. Das Recht auf freie Meinungsäußerung fördert Transparenz und eine lebendige Demokratie.
  • Gleichheit und soziale Gerechtigkeit: Finnlands Engagement für Gleichberechtigung, einschließlich der Gleichstellung der Geschlechter und eines starken Schutzes für Minderheiten, fördert ein sozial integratives Umfeld, das zur allgemeinen Zufriedenheit beiträgt.
  • Bildung und Information: Das weltweit erstklassige finnische Bildungssystem gewährleistet einen gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung und befähigt den Einzelnen zum Erfolg. Eine garantierte Pressefreiheit und Medienkompetenz ermöglichen den Bürgern einen kritischen Umgang mit Informationen und schaffen eine informierte und engagierte Gesellschaft.
  • Die Verbindung zur Natur ist ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens und des Wohlbefindens. Der Zugang der Finnen zur und das Eintauchen in die Natur fördert Ruhe und Zufriedenheit und baut Stress ab.
  • Einfachheit und Sauna: Die finnische Kultur ist tief verwurzelt in der Wertschätzung von Einfachheit, Funktionalität und der Bedeutung der kleinen Momente im Leben. Das Herzstück dieser Kultur ist die Sauna. Hier können sich die Finnen entspannen, vom Alltagsstress abschalten und sich mit sich selbst und anderen auf sinnvolle Weise verbinden.
  • Die finnische Gesellschaft ist so aufgebaut, dass sie ein ausgewogenes Leben unterstützt und das persönliche Wohlbefinden neben den beruflichen Verpflichtungen im Vordergrund steht. Die Arbeitspolitik und die sozialen Strukturen ermöglichen einen Lebensstil der Produktivität und der persönlichen Entfaltung.

Von der ThisisFINLAND Redaktion, März 2025

Made in Finland: Schweden schickt die finnische Sauna-Party-Band KAJ zum ESC

Anfang März wählten die schwedischen Fernsehzuschauer und eine Expertenjury „Bara Bada Bastu“ (in etwa „Lass uns doch in die Sauna gehen“) zu ihrem Song für den jährlichen Eurovision Song Contest (ESC) im Mai in Basel (Schweiz).

Der von einer fröhlichen Choreografie unterstützte Song von KAJ ist eine einfache und eingängige Ode an die Freuden des finnischen Saunabadens. KAJ ist ein schwedischsprachiges Trio aus Westfinnland, das sich selbst als Spaß-Band bezeichnet. Schwedisch ist eine der Amtssprachen Finnlands und wird von mehr als 5 Prozent der Bevölkerung gesprochen, vor allem an der Küste.

Der Song landete schnell auf Platz eins der Global Viral 50-Liste von Spotify. Das Video wurde in den ersten Tagen mehr als zwei Millionen Mal gestreamt und in zahlreichen Kommentaren wurde der Band für einen Moment des Spaßes und der Flucht vor den Sorgen der Welt gedankt.

Die Songs von KAJ zeichnen sich immer durch einen einfachen, stampfenden Tanzbeat aus und schaffen eine ausgelassene Partystimmung. In „Bara Bada Bastu“ gibt es Einflüsse von Reggae, Techno und Stadionhymnen.

Freundschaftliche Rivalen

Eine Frau mit platinblondem Haar und schwarzem Outfit steht vor einer rosafarbenen Wand, die mit weißen Logos bedeckt ist.

Die finnische Sängerin Erika Vikman tritt für Finnland beim Eurovision Song Contest 2025 an.Foto: Jussi Nukari/Lehtikuva

Kevin Holmström, Axel Åhman und Jakob Norrgård waren erst zehn Jahre alt, als sie 2009 KAJ gründeten. Den Namen der Gruppe bildeten die Musiker von der Westküste Finnlands aus ihren Initialen, genau wie die berühmtesten ESC-Gewinner aller Zeiten, ABBA aus Schweden, die den Song Contest vor etwas mehr als 50 Jahren gewannen.

Björn Ulvaeus von ABBA gehörte zu denjenigen, die sich über den Sieg von KAJ beim Melodifestivalen, dem schwedischen ESC-Vorentscheid, freuten. Er postete ein Social-Media-Video aus seiner eigenen Sauna und gratulierte ihnen zu ihrem „super-einprägsamen Ohrwurm“. Die Band repostete es mit den Worten: „Wir haben unser viertes Mitglied gefunden.“

Für Finnland wird Erika Vikman mit „Ich komme“ in Basel auftreten. Ihr heißer Song ist keineswegs so familienfreundlich wie das Sauna-Lied von KAJ. Vikmans „Ich komme“ ist der erste finnische Beitrag überhaupt mit einem deutschen Titel.

Die Einwohner der teilnehmenden Länder können nicht für den Beitrag ihres eigenen Landes beim ESC stimmen, so dass Schweden auf viele finnische Stimmen zählen kann, während Finnland auf Stimmen aus dem deutschsprachigen Raum hofft – und natürlich aus Schweden.

Skurril ist einprägsam

Ein Sänger in einem leuchtend grünen Oberteil kniet mit vier Tänzern in rosa Outfits.

Der finnische Rapper Käärijä (Jere Pöyhönen) tritt mit „Cha Cha Cha“ beim Eurovision Song Contest 2023 auf.Foto: Vesa Moilanen/Lehtikuva

Finnland war bis Anfang des 19. Jahrhunderts jahrhundertelang Teil des Königreichs Schweden, und die beiden Länder sind freundschaftliche Rivalen, vor allem im Eishockey und anderen Sportarten. Diese Rivalität schwappte 2023 auch auf den ESC über, als der temperamentvolle finnische Rapper Käärijä mit „Cha Cha Cha“ das Publikumsvoting gewann, aber in der Gesamtwertung hinter der Schwedin Loreen, die ihren zweiten ESC-Sieg errang, auf Platz zwei landete.

Finnland nimmt seit 1961 am ESC teil und kam bis 2006, als die Monster-Metal-Band Lordi mit „Hard Rock Hallelujah“ gewann, nie über den sechsten Platz hinaus. Mit „Hard Rock Halleluja“ stellte die Band einen Punkterekord auf.

In gewisser Weise setzt KAJ die Tradition der albernen Novelty-Acts Lordi, Käärijä und Windows95man (Finnlands Vertreter im Jahr 2024) fort. Die Erfolge der beiden Erstgenannten haben gezeigt, dass die ESC-Wähler manchmal einfach nach einem Song suchen, der Spaß macht und ins Ohr geht, und nicht nach den glatten, melodramatischen Power-Balladen, die oft gewinnen – und oft aus Schweden kommen.

Heißes Topic

Drei Männer in Anzügen posieren, einer hält ein Akkordeon, ein anderer einen Strauß kleiner Blätter und der dritte eine Schöpfkelle in der Hand.

KAJ, das sind drei junge Männer aus Westfinnland (von links): Axel Åhman, Kevin Holmström und Jakob Norrgård.Foto: Erik Åhman

„Bara Bada Bastu“ ist eine stimmungsvolle Huldigung der finnischen Saunakultur. Mit rund 3,3 Millionen Saunen in einem Land mit 5,6 Millionen Einwohnern nimmt Finnland das Dampfbaden ernst. 2020 nahm die Unesco die „Saunakultur in Finnland“ in ihre Liste des immateriellen Kulturerbes auf.

Obwohl verschiedene Arten von Schwitzbädern seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt in Gebrauch sind, ist Finnland das Land, das am häufigsten mit der modernen Sauna assoziiert wird. „Sauna“ ist auch das einzige finnische Wort, das in anderen Sprachen weit verbreitet ist (der schwedische Begriff ‚Bastu‘ kommt von ‚Badstuga‘ oder ‚Badehütte‘).

„Sauna“ ist eines der wenigen finnischsprachigen Wörter, die in ‚Bara bada bastu‘ eingestreut sind, zusammen mit yksi, kaksi, kolme (eins, zwei, drei) – beispielsweise in der Zeile “Yksi, kaksi, kolme, sauna!“ Der heiß umkämpfte Wettbewerb kann beginnen.

Von Wif Stenger, März 2025

Mein Glücksort in Finnland

Meine magische Kleinstadt

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Foto: Outi Törmälä

Futsal-Star Neide Oliveira zog von São Paulo nach Imatra, um ihren Sport mit Gleichgesinnten voll auszukosten.

„Ich bin ein schüchterner Mensch, aber stehe der Welt offen gegenüber. Ich mag es, unterschiedliche Kulturen zu erleben und treffe gerne neue Leute.

Futsal ist meine Leidenschaft. Ich teile in den sozialen Medien Tipps und Gedanken zum Sport und habe über eine halbe Millionen Follower. 2022 wurde ich vom Vorstand des River Vuoksi Futsal Club kontaktiert und nach Imatra eingeladen, um für das Team zu spielen und zu arbeiten. Ich wusste, dass die Finnen als glücklichste Nation eingestuft worden waren, aber hatte auch vom Schnee und dem kalten Wetter gehört. Nach einigem Nachdenken hatte ich das Bedürfnis, dorthin zu reisen, um zu sehen, was es mit Finnland auf sich hat.  Es war die richtige Entscheidung für mich. Hier kann ich meiner Leidenschaft frönen, den Frauen-Futsal bekannter zu machen.

Ich wohne in Imatra in Südost-Finnland, das etwa 26.000 Einwohner hat. Ich lebe im wahrsten Sinne des Wortes im Wald, und ich habe festgestellt, dass ich zum Glücklichsein nicht viel benötige. Wenn ich die Tür öffne, dann gibt es Bäume und frische Luft.  Dafür bin ich so dankbar. Ich habe auch neue Freundschaften genüpft. Um mich zu entspannen, lese ich Bücher oder schreibe über meine Reisen. Einmal pro Woche schalte ich mein Handy aus und manchmal gehe ich zu einem See in der Nähe, um dort einfach nur zu sitzen. Ich bin so glücklich, dass ich hierhergezogen bin, weil ich eine Verbundenheit mit der Natur spüre. In São Paulo gab es wesentlich mehr Menschen, Verkehr und Lärm.

Finnland kann im Winter kalt und dunkel sein, aber die Menschen machen jeden Tag das Beste daraus, indem sie spazieren gehen, Zeit in der Natur verbringen oder saunieren. Ich habe gelernt, dass man nicht durch Zuschauen glücklich wird. Man wird es durch das Leben.“

Zwei Seiten des Seins

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Foto: Outi Törmälä

Der vietnamesische Mitbegründer eines Start-ups, Jarvis Luong, fand heraus, dass sogar das Leiten 
eines Unternehmens weniger stressig sein kann.

„Ich zog 2016 nach Finnland, um Informatik zu studieren, und vor drei Jahren habe ich Reactron Technologies mitgegründet. Ich habe zwei Seiten. Eine meiner Seiten hat einen asiatischen Hintergrund. Sie legt viel Wert auf Bildung und beruflichen Erfolg. Ich habe immer das nächste Ziel im Blick.

Die andere Seite, die persönliche, hat einen finnischen Einfluss erfahren. Das bedeutet, dass ich mit der aktuellen Situation vollauf zufrieden bin. Ich kann bis acht oder neun Uhr schlafen und einen langsamen Morgen genießen, bevor ich anfange zu arbeiten. Ich kann reisen, wann immer ich will und ich habe eine liebevolle Lebensgefährtin. Ich bin glücklich mit meinem Leben, so wie es ist.

Zu Hause in Hanoi, Vietnam, verfolgte ich die sozialen Medien und die Trends viel mehr. Das führte oft zu dem Gefühl, dass ich etwas verpasse. In meiner Freizeit habe ich normalerweise mit meinen Freunden einen ganzen Tag in einem Einkaufszentrum verbracht.

In Finnland verläuft mein Leben ruhiger als zuvor. 
Ich gehe gerne mit meinen fünf Freunden auf Roadtrips. Ich habe viele abgelegene Orte besucht, wie Kuusamo und Kilpisjärvi. Wir entspannen uns einfach und genießen die Sauna oder spielen Brettspiele. Ich fühle Frieden in der Natur.

Die Arbeit hier ist entspannt, weil die Menschen ehrlich sind. Um genau zu sein, fühle ich mich in diesem Arbeitsumfeld immer bereit für eine neue Herausforderung.“

Kreatives Comeback

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Foto: Outi Törmälä

Autorin Mintie Das ist durch die Welt gereist, aber Finnland ist der Ort, an dem ihre Kreativität aufgeblüht ist.

„Ich wurde in Indien geboren und habe überall auf der Welt gelebt. Meine Mutter starb bei einem Autounfall, als ich zwei Jahre alt war, und mein Vater nahm mich und meinen Bruder mit in die Vereinigten Staaten und erzog uns als Weltbürger. Als ich 13 Jahre alt war, kamen wir nach Finnland und das hat mein Leben letztendlich verändert. Ich habe noch nie so ein Gemeinschaftsgefühl gespürt, als würde ich dazugehören.

Ich liebe die Fähigkeit der Finnen, über sich selbst zu lachen sowie ihre bescheidene, aber sachliche Kultur. Ich liebe sogar die Melancholie. Es geht hier um einfache Dinge wie einen Spaziergang in der Natur. Glücklichkeit wird nicht erzwungen, sondern es handelt sich um eine wahre Zufriedenheit.

Ich hatte eine erfolgreiche Karriere in der PR-Branche in den USA, aber vor 13 Jahren ließ ich mich scheiden und zog zurück nach Finnland, um herauszufinden, ob es so gut war, wie ich es in Erinnerung hatte. Das Schreiben ist meine Leidenschaft, und hier traf ich über die Arbeit großartige Herausgeber.
Ich lernte die Kunst des kreativen Schreibens und fand meine eigene Stimme.

Es ist ein Privileg, hier zu leben. Bildung, öffentlicher Nahverkehr, kostenlose Gesundheitsfürsorge – all diese Dinge funktionieren. Vielleicht kommen Finnen nicht auf andere zu, aber ich spreche alle an und habe auf diese Art schon viele Freunde gefunden. Auch meinen Musiker-Ehemann habe ich hier kennengelernt.

Wenn man in ein neues Land zieht, dann kann man ein Außenseiter sein oder sich von der Kultur prägen lassen. Als ich nach Finnland kam, begann ich, meine eigenen Werte zu hinterfragen, und entdeckte meine kreative Seite. Ich sage immer, dass mein Herz indisch ist, mein Geist amerikanisch und meine Seele finnisch.“

Das Entdecken von Sisu

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Foto: Outi Törmälä

Das Leben in Finnland hat die Peruanerin Vanessa Cueva Pastor De Valtonen offener werden lassen.

„Ich werde nächstes Jahr meinen Abschluss an der Krankenpflegeschule machen. Zu Hause in Lima, Peru, habe ich Zahnmedizin studiert und war sehr gestresst. Ich war darauf gefasst, auch hier unter starkem Druck zu stehen, aber das Studium ist entspannter. Dank des flexiblen Zeitplans konnte ich auch in einem Krankenhaus in Teilzeit arbeiten.

Als ich vor vier Jahren hierhergezogen bin, war es Winter und ich konnte nicht länger als fünf Minuten nach draußen gehen, weil es so kalt war. Inzwischen habe ich mich an das Wetter gewöhnt und gehe draußen laufen, auch wenn es sehr kalt ist. Mein Lieblingsort ist Lappland im Winter – es ist großartig, wie still und friedlich es ist. Ich denke, die Finnen sind glücklich wegen der Lebensqualität, der Sicherheit und der Gleichberechtigung – jeder hat die gleichen Chancen. Es gibt außerdem auch viel Natur, die Work-Life-Balance ist gut, und man bekommt bezahlten Urlaub. All diese Faktoren beeinflussen das Glücksgefühl.

Hier zu leben hat mich auf vielfältige Weise verändert.  Die Menschen hier sind entspannt und immer direkt. Ich mag diese Einstellung. Mein Partner kommt aus Finnland, und wir leben in der Hauptstadt Helsinki. Die Finnen lieben Kaffee, und ich habe auch gelernt, ihn zu genießen. Ich gehe oft mit meinen Freunden in Cafés, oder wir schlendern durch die Stadt, aber ich habe auch gelernt, die Zeit nur für mich alleine zu schätzen.

Durch das Leben hier bin ich offener geworden. Ich finde, dass man hier so sein kann, wie man ist. Ich habe die Bedeutung von Recycling erkannt und Sisu entdeckt, die Einstellung, nicht aufzugeben. Von kleineren Verstimmungen lasse ich mich nicht mehr unterkriegen.“

Text Laura Iisalo, ThisisFINLAND Magazine