Viele der fotogenen skulpturenartigen Wächter der finnischen Hauptstadt finden sich an Jugendstilgebäuden.
Das Genre, das in Finnland als „Jugend“ (abgeleitet von „Jugendstil“) bekannt ist, hatte seine Blütezeit zwischen 1895 und 1915 und umfasst Hunderte von Gebäuden in der finnischen Hauptstadt. Tiere, Wasserspeier und andere Figuren gibt es auch in anderen Architekturstilen.
Die Fotografin Kirsi-Marja Savola hat sich Helsinkis beeindruckendste Fassadenskulpturen genauer angeschaut.
[Wir führen den Namen des Gebäudes auf (sofern es einen gibt), Straße und Hausnummer, den Stadtteil, den Architekten und das Baujahr. Für weitere Bilder auf die Pfeile klicken oder swipen.]
Mythische Geschöpfe und Legenden
Pohjola-Gebäude, Aleksanterinkatu 44, Kluuvi
Herman Gesellius, Armas Lindgren und Eliel Saarinen, 1901





Das Gebäude, das nach Pohjola, dem mythischen Norden der finnischen Folklore, benannt ist, zieren Bären, Eichhörnchen, Bäume und zahlreiche groteske Gesichter. Viele dieser geschnitzten Figuren umgeben den prächtigen Eingang und ragen über den Besuchern auf.
Ursprünglich für die beiden renommierten Versicherungsgesellschaften Pohjola und Kullervo in Auftrag gegeben, verbindet das Gebäude auf raffinierte Weise mythologische Bildsprache mit der modernen Welt von Risiko und Schutz. Die Wahl der Symbole ist auffällig – man könnte sagen, dass alte Darstellungen von Unglück und Gefahr umfunktioniert wurden, um für ein modernes Konzept zu werben: für die Notwendigkeit von Versicherungen.
Wellamo, Vyökatu 9, Katajanokka
Selim A. Lindqvist, 1904






Dieses Gebäude ehrt seine Namensgeberin Vellamo, die Göttin des Wassers in der finnischen Mythologie. An einer Eingangstür befinden sich zwei Skulpturen, die auf den ersten Blick an Seedrachen erinnern, deren Merkmale jedoch in eine andere Richtung deuten – Delfine, dargestellt im klassischen römischen Stil. Mit ihren kugeligen Köpfen und schweineartigen Schnauzen spiegeln diese Delfine eine lange Tradition wider, die von westeuropäischen Künstlern fortgeführt wurde. Sie stützten sich nicht auf vorhandenes Wissen über echte Delfine, sondern verwendeten bewusst klassische Vorbilder, um die mythologische Bedeutung der Delfine hervorzuheben.
Die geschwungenen Formen sind jedoch alles andere als friedlich: Scharfe Zähne und lange, gekräuselte Zungen verwandeln sie von verspielten Meerestieren in unheimliche Wächter der Wasserwelt. Die furchterregende Präsenz dieser zum Angriff bereiten Delfine verleiht dem Gebäude eine unerwartete Intensität. Wenn Sie Ihren Blick über den Rest der Fassade schweifen lassen, entdecken Sie weitere Gesichter, einige menschlicher als andere.
Religiöse und symbolische Figuren
Johanneskirche, Korkeavuorenkatu 12, Ullanlinna
A.E. Melander, 1891



Während traditionelle Wasserspeier dazu dienten, Regenwasser von Steinmauern abzuleiten, erfüllen die Wasserspeier, die diese neugotische Kirche schmücken, nicht diese ursprüngliche Funktion. Stattdessen nehmen sie die Form von Grotesken an – chimärenartige Statuen, die die dramatische Stimmung der gotischen Architektur betonen. Die spirituellen Gründe für die Anbringung solcher monströsen Figuren an Kirchenfassaden im Mittelalter sind nach wie vor unklar. Möglicherweise sollten sie böse Geister abwehren, die Gläubigen einschüchtern oder eine mittelalterliche christliche Weltanschauung widerspiegeln, in der selbst die groteskesten Kreaturen Teil der göttlichen Schöpfung waren und genauso fähig waren, Gott zu verehren, wie schöne Kreaturen.
Dom von Helsinki, Senatsplatz, Kruununhaka
Carl Ludvig Engel, 1830–1852





Das berühmteste Wahrzeichen der Stadt, der Dom von Helsinki, wird auf seinem Dach von den Statuen der zwölf Apostel gekrönt. Ihre symbolischen Attribute helfen bei der Identifikation – eine Tradition, die in der frühchristlichen Kunst verwurzelt ist. Petrus wird mit den Schlüsseln zum Himmel dargestellt, Paulus mit einem Schwert, Johannes mit einem Kelch, Matthäus mit einem Engel und so weiter. Jeder Apostel wird mit etwas verknüpft, das seine biblische Rolle widerspiegelt. Dieses Prinzip des bildhaften Erzählens wurde ein wesentlicher Teil in der Ikonografie der Kirche, denn die Gläubigen konnten die Apostel mühelos erkennen – selbst in Zeiten, in denen Analphabetismus weit verbreitet war.
Die Tierwelt
Kontio, Kauppiaankatu 1–3, Katajanokka
Waldemar Wilenius, 1898



Zwei Bärenstatuen stehen hoch über den Straßen und wachen über die Kreuzung. In der finnischen Folklore wird der Bär verehrt und oft als Wächter des Waldes und Symbol für Stärke, Weisheit und Widerstandsfähigkeit gesehen. Der Name des Gebäudes, Kontio, ist ein Synonym für karhu („Bär“).
Traditionell folgte auf eine erfolgreiche Bärenjagd das Karhunpeijaiset, ein rituelles Fest zu Ehren des Tieres und zum Gedenken an seinen Tod. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die intensive Jagd auf Bären diese in Finnland fast ausgerottet. Dank Naturschutzmaßnahmen und gesetzlicher Schutzbestimmungen konnte sich die Art seitdem wieder erholen, und heute leben in Finnland über 2.000 Bären – eine beständige Präsenz sowohl in der Wildnis als auch in der kulturellen Vorstellungswelt.
Kruunuvuorenkatu 3, Katajanokka
Georg Wasastjerna, 1902



Unterhalb jeder Reihe von Erkerfenstern dieses Jugendstilgebäudes wacht eine Reihe von Eulenfiguren über den Eingang und beobachtet Passanten mit scharfem Blick und gerunzelter Stirn. Obwohl Eulen mit Weisheit assoziiert werden, kann das finnische Wort „pöllö“ („Eule“) auch „Dummkopf“ bedeuten.
In Finnland brüten zehn Eulenarten, darunter der majestätische Uhu, Europas größte Eulenart, der durch die Jagd fast ausgerottet wurde. Bis in die 1950er Jahre wurden sogar Prämien für das Töten gezahlt. Heute ist der Uhu geschützt, und die Anstrengungen zu seinem Schutz werden fortgesetzt.
Die finnische Herrenfußballmannschaft trägt den Spitznamen Huuhkajat (Uhus), während die Damenmannschaft Helmarit (Raufußkäuze) genannt wird.
Mariankatu 11, Kruununhaka
A.H. Dalström, 1877


Über dem Eingang dieses historischen Gebäudes und ehemaligen Gymnasiums wachen gemeißelte Löwengesichter. Ihre grimmigen Gesichtsausdrücke verleihen der Fassade eine majestätische Ausstrahlung, die man aber nur wahrnimmt, wenn man nach oben schaut.
Symbolische Wächter
Nationalarchiv, Rauhankatu 17, Kruununhaka
Gustaf Nyström, 1890


Über dem Eingang thronen drei Statuen, die Drei Genien, die 1889 fertiggestellt wurden. In der römischen Mythologie bezeichnete „Genius“ eine Gottheit oder einen Schutzgeist, weshalb diese Figuren eine passende Wahl für das Nationalarchiv sind. Die zentrale Figur repräsentiert Finnland selbst, während die beiden danebenstehenden Statuen historische Forschung und Schreiben symbolisieren – und damit die Rolle des Gebäudes bei der Bewahrung der Geschichte der Nation unterstreichen.
Rauhankatu 4 und Meritullinkatu 10, Kruununhaka
Georg Wasastjerna, etwa 1915




Über dem zweiten Stock dieses historischen Gebäudes weisen acht Statuen symbolisch auf seine ursprüngliche Funktion als Hauptsitz der Nationalen Landvermessungsbehörde hin. Obwohl es später Sitz des Ministeriums für Bildung und Kultur wurde, erinnern die Statuen weiterhin an das technische Know-how und das Erbe der Landvermessung.
Jede Figur hält einen Gegenstand in der Hand, der zentrale Aspekte dieser Arbeit symbolisiert: ein Zahnrad und ein Dreieck, ein Modell eines Gebäudes, ein Lineal und eine Zeichenschiene. Diese Objekte unterstreichen die Präzision und Kreativität, die in den Bereichen Vermessung, Architektur und Stadtplanung erforderlich sind, und spiegeln die Rolle des Gebäudes bei der Gestaltung der finnischen Infrastruktur wider.
Weitere sehenswerte Gebäude
Pohjoisranta 4, Kruununhaka
Theodor Höijer, 1885





Über jedem Fenster schmücken Skulpturen von Faunen – halb Mensch, halb Ziege – aus der griechischen und römischen Mythologie dieses Gebäude im Stil der Neorenaissance aus dem 19. Jahrhundert. Die Figuren, die emblematisch für das damalige Interesse an der Antike stehen, verleihen der Fassade eine geheimnisvolle Note, die Assoziationen sowohl an Unfug als auch Weisheit hervorruft.
Lundqvist Gebäude, Aleksanterinkatu 13, Kluuvi
Selim A. Lindqvist, 1900





Helsinkis erstes eigens zu diesem Zweck errichtetes Geschäftsgebäude zieren zwei markante Skulpturen von Robert Stigell: „Spinnen“ und „Jagen“. Eine Statue zeigt eine Frau mit einem Wollknäuel, ein Symbol für Handwerk und Industrie, während die andere eine Figur mit Speer und Seil darstellt, und für Jagd und Lebensunterhalt steht.
Beide Statuen sind von mythologischen Göttinnen inspiriert, wie Artemis, der Beschützerin der Jäger, und Athene, der Göttin des Handwerks, der Weisheit und der praktischen Fertigkeiten. Diese Skulpturen spiegeln den ursprünglichen Zweck des Gebäudes als Zentrum des Handels wider und verkörpern den Geist der Industrie, der im Mittelpunkt der Entwicklung Helsinkis steht.
Die Skulpturen Helsinkis bieten einen Einblick in die reiche Geschichte und Mythologie der Stadt. Ob sie nun Gebäude bewachen oder einfach nur von oben herabblicken, diese Skulpturen – verankert in finnischer Folklore und Geschichte – sind mehr als nur Dekoration. Wenn Sie durch die Stadt gehen, nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um nach oben zu schauen und die stillen Wächter zu entdecken, die Helsinki mit seinem kulturellen und natürlichen Erbe verbinden.
Von Tyler Walton, Oktober 2025; Fotos von Kirsi-Marja Savola