Austauschstudium in einem Land, das anders ist

Es gibt viele Gründe, warum ausländische Studenten nach Finnland kommen.

Es gibt viele Gründe, warum sie nach Finnland gekommen sind: Europas Bildungsland par excellence zu beschnuppern, Terra incognita zu erkunden oder aus purem Zufall.

Die meisten ausländischen Studenten wissen nur wenig über Finnland und, wie die Menschen hier ticken. Aber nach dem ersten Kulturschock – beim einen mehr, beim anderen weniger – haben sich die meisten eingefühlt, eingelebt und haben Spaß.

Besuch in der Turkuer Hauptbibliothek: Austauschstudenten sind beeindruckt vom finnischen Leihbibliothekswesen.

Besuch in der Turkuer Hauptbibliothek: Austauschstudenten sind beeindruckt vom finnischen Leihbibliothekswesen.Foto: Rebecca Libermann

„Ich habe mir Finnland als Austauschland ausgesucht, weil es so anders ist als all die anderen Länder, die ich schon gesehen habe“, sagt Mediastudentin Sabine. „Und dann hieß es immer, Finnland sei das beste Land der Welt. Ich wollte checken, ob das stimmt. Außerdem wollte ich einmal in meinem Leben den langen Winter erleben.”

Die Österreicherin gehört zu den vielen Austauschstudenten, die jährlich über Erasmus und andere Austauschprogramme an Finnlands größter Hochschule für angewandte Wissenschaften, Metropolia, studieren.

Metropolia genießt einen guten Ruf im Ausland. So folgte die amerikanische Designstudentin Deanna ihrer Mentorin, der finnischen Designerin Merita Soini, an die Helsinkier Hochschule. „Merita hat an meiner Uni in Tennessee einen Kurs gegeben, und wir haben uns in Sachen Design super verstanden. Außerdem wurde Helsinki zur Design-Hauptstadt der Welt erkoren. Ein Ort, der so angefüllt ist mit Design, verlockt natürlich.”

Studenten aus aller Welt

Ein Jahr im Ausland kann zu lebenslangen Freundschaften rund um den Globus führen.

Ein Jahr im Ausland kann zu lebenslangen Freundschaften rund um den Globus führen.Foto zur Verfügung gestellt von Pilar Díaz / Erasmus-Studentin, Turku

Finnland bereitet mehr als 20 000 internationale Studenten auf ihre Zukunft vor, darunter jährlich 9000 Austauschstudenten. Der Anteil an deutschen, französischen, spanischen und italienischen Studenten ist besonders groß. Außerdem studieren laut CIMO (Centre for International Mobility) mehr als 14 000 reguläre, internationale Studenten, die vorwiegend aus Russland und China kommen, an finnischen Universitäten und Fachhochschulen. Und obgleich normalerweise auf Finnisch oder Schwedisch gelehrt wird, finden mindestens 300 Studiengänge auf Englisch statt.

Sarah stammt aus Tansania. Sie ist angehende Journalistin und war von ihrer Universität als Belohnung für ihre guten Leistungen nach Finnland geschickt worden. ”Ich wäre so gerne länger geblieben“, sagt Sarah über Metropolia. Ich bin sehr beeindruckt von dem Bildungssystem hier und wie gut alles ausgestattet ist, aber auch wie ernsthaft hier studiert wird, und dass man hier praxis- und nicht nur theorieorientiert ist wie bei uns. Und dann die Art, wie Lehrpersonal und Kommilitonen einem helfen, wenn man Probleme hat. Hinterher fühlt man sich besser und nicht heruntergemacht.”

Auch die Amerikanerin Deanna findet: „Das Unterrichtssystem hier ist sehr entspannt. Es schafft eine gute Dynamik zwischen Dozenten und Studenten.“

Und die Deutsche Leandra von der Uni Hannover sagt: „Finnlands Bildungssystem ist das beste in der Welt. Total verständlich, warum es in der Pisa-Studie immer oben ist. Hier kommen die Studenten auch mit der Wirklichkeit in Berührung. Man kann sich etwas austoben und kreativ werden, und so macht das Lernen, wie ich finde, Spaß.”

Die Spanierin Pilar Díaz (links) unterhielt sich bei einer Grillparty aufs Beste mit zwei waschechten Turkuern.

Die Spanierin Pilar Díaz (links) unterhielt sich bei einer Grillparty aufs Beste mit zwei waschechten Turkuern.Foto zur Verfügung gestellt von Pilar Díaz / Erasmus-Studentin, Turku

Aber es gibt auch Kritikpunkte. Wer von woanders herkommt, ist häufig nicht an kleine Klassen und mildes Lehrpersonal, wie in Finnland allgemein üblich, gewöhnt. In anderen Ländern ist das Verhältnis zwischen Dozenten und Studenten formeller, fordernder.

„Da wir eigens für Austauschstudenten eingerichtete Klassen haben“, sagt Leandra, kommt man sich wie in einem Elfenbeinturm vor, in dem einen die Lehrer alles superleicht machen und nur ein Minimum von einem verlangen.“ Diese Kritik hört man öfter von den europäischen Studenten. Doch nicht in allen Studienfächern werden Austauschstudenten isoliert unterrichtet.

Stimmungsbarometer

Ein erstmaliges Stimmungsbarometer unter ausländischen Studenten, das Ende 2010 im Rahmen eines internationalen Vergleichs an 23 finnischen Lehranstalten durchgeführt wurde, belegt, dass 89 Prozent der ausländischen Studenten im Land der tausend Seen gute bis sehr gute Erfahrungen gemacht haben.

Besonders die allumfassende Hightechausstattung an den Unis und Fachhochschulen hat es ihnen angetan, während die hohen Lebenskosten besonders Studenten aus weniger begüterten Ländern mit niedrigen Stipendien und Familien, die ihnen nichts zuschießen können, vor schwere Probleme stellen.

Der Kultur- und Wetterschock

Viele Besucher sind erstaunt und begeistert, wenn sie erfahren, dass man vor Helsinki, und nicht nur dort, im Winter auf dem Meer herumspazieren kann.

Viele Besucher sind erstaunt und begeistert, wenn sie erfahren, dass man vor Helsinki, und nicht nur dort, im Winter auf dem Meer herumspazieren kann.Foto: Jakub Libiszewski/Erasmus-Student von UC London

In vielen Ländern bleiben vorwiegend Austauschstudenten unter ihresgleichen, mangelt es an Kontakten zur Landesbevölkerung. Doch in Finnland haben viele ausländische Studenten noch größere Schwierigkeiten, Anschluss an ihre finnischen Studienkollegen zu finden.

„Ich hätte nie gedacht, dass der Unterschied zwischen Deutschen und Finnen, was Schüchternheit und Schutz ihrer Privatsphäre anbelangt, so groß ist. Oft habe ich mich als aufdringlich empfunden, wenn ich bloß mein normales munteres, aufgekratztes Wesen an den Tag legte“, sagt Leandra.

Marianne aus Namibia pflichtet ihrer Studienkollegin bei und erzählt schmunzelnd: “Man weiß, dass man sich an Finnland akklimatisiert hat, wenn man jemanden, der einem auf der Straße anlächelt, für betrunken, verrückt oder für einen Amerikaner hält. Wo ich herkomme, hat man ein anderes soziales Temperament.“

Auch Deanna aus Tennessee findet die Finnen etwas reserviert. „Es ist schwer, einem Finnen nahe zu kommen, aber wenn sie sich erst mal für einen erwärmt haben, sind sie sehr nett, ehrlich und zuverlässig. Ich finde es inspirierend, mit Finnen zusammen zu sein. Sie sind viel gelassener als die Amerikaner, und was sie sagen, machen sie auch.”

Und dann ist da das Wetter: Viele Austauschstudenten treffen mitten im Winter in Finnland ein und schlittern mit ihren unbekreppten Schuhen in den zu dünnen Anoraks erst einmal bibernd über Helsinkis Straßen. So erging es auch Sarah. „Ich war ganz geplättet von dem Wetter. In Tansania war es um die 40 Grad und hier überall Schnee und Kälte.“

Würden Sie wiederkommen?

Man weiß nie, wem man auf dem Land in Finnland begegnet. Die Kanadierin Sareena McDonald unterhielt sich in Sysmä mit einer Kuh.

Man weiß nie, wem man auf dem Land in Finnland begegnet. Die Kanadierin Sareena McDonald unterhielt sich in Sysmä mit einer Kuh.Foto zur Verfügung gestellt von Sareena McDonald

Aller wetterlichen und zwischenmenschlichen Kühle zum Trotz bereuen die meisten Austauschstudenten ihren Aufenthalt in Finnland durchaus nicht.

Die Österreicherin Sabine zählt auf, was sie an Finnland so bewundert: „Die Menschen, das Essen, die wunderschöne Landschaft, die beeindruckende Flora und Fauna, die Tatsache, dass Finnland Wegbereiter ist im Schutz von Natur und Wasser, in frauenpolitischen Fragen, gesundem Schulessen und so vielen anderem“, und schiebt gleich hinterher, „ich würde wiederkommen, nicht nur um hier zu studieren, sondern auch um hier meine Sommerferien zu verbringen.“

„Ja, ja und nochmals ja. Ich möchte auf jeden Fall wiederkommen. Das Land bietet so viele Möglichkeiten, und es gibt noch so viel zu entdecken“, meint auch Marianne aus Namibia.

Praktisch alle befragten Metropolia-Studenten waren sich einige: Studieren in Finnland macht Spaß.

Von Rebecca Libermann, Juli 2011