Finnlands erster Zirkusprofessor vereint viele Künste unter einem Zelt

Live-Video, Virtual Reality, Bogenschießen: Der finnische Zirkus geht Wege, die man sich als Kind wohl nicht träumen ließ. Und nun nennt die Zirkuskunst sogar einen Professor ihr Eigen.

Mit seiner Mischung aus Jonglage, neuartiger Zauberkunst, Körpertheater und Videokunst wurde dem in Brasilien geborenen Luis Sartori do Vale Finnlands erstes Stipendium für eine Künstlerprofessur der Zirkuskunst verliehen.

Er zaubert auch weiterhin kreative Ideen herbei und setzt sie mit einem breit gefächerten Ensemble von Freunden und Mitarbeitern um.

Ein Mix aus diversen Kunstformen

Eine Bühne ist durch eine Wand in zwei Hälften geteilt, wobei ein Mann in einem Raum auf der einen Seite Blumen gießt, und zwei Männer auf der anderen Fotos in einer Dunkelkammer entwickeln.

Die Portmanteau-Kompanie, die von Luis Sartori do Vale mitbegründet wurde, wendet in ihrer Vorstellung „Pimiö“ (was „Dunkelkammer“ auf Finnisch bedeutet) Fotografie auf mehr als nur eine Weise an.
Foto: André Baumecker

Eine Hand lässt eine Nadel auf einen kratzigen Phonographen fallen. Andere legen einen Bilderrahmen um ein umgedrehtes, projiziertes Bild eines Blumentopfes. Hände gießen die Blumen mit einer Gießkanne, während andere Hände wiederum Wasser aus einem Krug in eine Entwicklungsschale für Dunkelkammern fließen lassen.

Während ein Mann mit der Pflanze in einem Raum sitzt, arbeiten zwei andere in einer Dunkelkammer, in der Bilder komponiert, fotografiert, entwickelt und vor einem Live-Publikum gezeigt werden. Diese surreale Performance aus dem Jahr 2023 mit dem Titel „Pimiö“ (Dunkelkammer) ist eines der neuesten Werke von do Vales und der Portmanteau-Kompanie, die 2018 gegründet wurde.

Obwohl Menschen mit Kindheitserinnerungen an einen althergebrachten Zirkus unter einem großen Dach das eventuell so nicht wiedererkennen, „stellt zeitgenössischer Zirkus eine Mischung verschiedener Kunstformen dar“, sagt do Vale und fügt hinzu: „Gerade die Tatsache, dass es ein so fließendes Genre ist, zieht mich an und verleiht mir Freiheit beim Arbeiten.“

Verspielter Stil

Die Welt ist in diesem „Pendulum“-Trailer, der eine Aufführung von Luis Sartori do Vale und Thom Monckton aus dem Jahr 2020 zeigt, in Bewegung.Video: Kallo Collective

Do Vale, der auch Kinderbücher illustriert, meint „Mit dem Verzicht auf bestimmte Regeln des traditionellen Zirkus, der normalerweise mit Tieren arbeitet, sich auf technische Virtuosität konzentriert und in kreisförmigen Ringen und Zelten auftritt, zielt der zeitgenössische Zirkus darauf ab, Vorstellungen zu schaffen, die einen Dialog mit anderen Künsten eröffnen und Elemente aus dem Theater übernehmen, Tanz, Musik, Video, visuelle Kunst und Architektur.“

Sein spielerischer, genreübergreifender Stil brachte ihm Finnlands erste fünfjährige Künstlerprofessur für Zirkuskunst ein, die seit 2024 vom staatlichen Kunstförderzentrum Finnland verliehen wird. Eine Künstlerprofessur wird von einem Stipendium über fünf oder zehn Jahre begleitet.

Finnische Zirkuskünste auf dem Vormarsch

Mehrere überlagerte Fotos zeigen Menschen, die auf einer Bühne sitzen oder stehen und Papierstapel in die Luft werfen.

Papiere fliegen in „Perto“ (was „Nah“ auf Portugiesisch bedeutet), eine Produktion, die Luis Sartori do Vale mitgestaltet und inszeniert hat.
Foto: Portmanteau/WHS

Aber, was ist denn nun eine Zirkuskunstprofessur?

„Trotz der Bezeichnung hat dieser Titel nichts mit Akademikern zu tun“, erklärt Vale. „Ich unterrichte manchmal an Schulen und gebe Workshops, aber mein Hauptaugenmerk liegt auf meiner künstlerischen Arbeit. Neben meinen eigenen Projekten, hauptsächlich mit Portmanteau, arbeite ich unheimlich gerne weiterhin mit anderen Künstlern zusammen und bemühe mich darum, die finnische Zirkuskunst zu fördern und zu bereichern.“

Internationale Begeisterung

In dem Teaser „Perto“ (Nah), der 2021 Premiere feierte und von Luis Sartori do Vale inszeniert und mitgestaltet wurde, wimmelt es von Illusionen.Video: Portmanteau/WHS

Der finnische zeitgenössische Zirkus sorgt für internationales Aufsehen – die meisten seiner führenden Truppen treten eher im Ausland auf als im begrenzten Inland.

„Die hiesige Szene hat sich im Ausland einen Namen gemacht und nimmt rasant zu“, sagt do Vale. „Als ich 2011 nach Finnland kam, gab es rund 20 aktive Kompanien. Heute sind es mit rund 400 Profis mindestens doppelt so viele. In letzter Zeit sind zahlreiche finnische Artisten, die im Ausland gearbeitet oder studiert haben, nach Hause zurückgekehrt, was sich positiv auf das Wachstum und die Entwicklung dieses Sektors auswirkt.“

Auch nach Finnland kommen immer mehr internationale Talente, wie z.B. Vale. Geboren 1982, begann er 2000 in Brasilien mit dem Jonglieren, studierte dort bildende Kunst, um dann buchstäblich davonzulaufen und sich der Zirkuswelt an der École Supérieure des Arts du Cirque in Brüssel anzuschließen. Er trat mit Frankreichs führenden zeitgenössischen Zirkusgruppen auf und hatte auch Shows in Finnland, bevor er nach Helsinki zog, um mit dem Helsinkier Tanztheater Hurjaruuth an dessen beliebter Talvisirkus (Winterzirkus)-Show zu arbeiten, die seit 1996 in verschiedenen Iterationen stattfindet.

Gewaltiges Jugendnetzwerk

Zwei Männer tanzen in einem kleinen Wald aus weißen Luftballons, die über der Bühne schweben, jeder mit einer hängenden Schnur, die am Boden befestigt ist.

„Lento“ (was auf Finnisch „Flug“ bedeutet) bringt Risiko, Kontrolle, Besessenheit und Nostalgie zum Ausdruck.Foto: Luis Sartori do Vale

„Zirkus ist in Finnland und Schweden ziemlich ausgeprägt, aber in vielen europäischen Ländern noch nicht als Kunstform anerkannt“, sagt Lotta Nevalainen von Circus & Dance Info Finland. Wir haben ein sehr großes Netzwerk von Zirkusschulen. Zum Beispiel hat der Zirkus Helsinki über 1.000 Schüler, wobei die ältesten Unternehmen, Circo Aereo und WHS, staatliche Finanzierung erhalten.“

Was macht den zeitgenössischen finnischen Zirkus aber so besonders? „Er besitzt einen starken Sinn für körperliche Präsenz kombiniert mit hoher künstlerischer Kompetenz“, findet Nevalainen. „Dank Designern wie Mikki Kunttu, der das Lichtdesign für den Cirque de Soleil geschaffen hat, ist auch das Lichtdesign häufig hochklassig.“ Finnische Zirkusartisten zeichnen sich überdies oft durch Luftkunst aus, so die Meisterin der Vertikaltuchakrobatik, Ilona Jäntti, und Gruppen wie Race Horse Company.

Die Vorführung in sich fühlen

Zwei ernst aussehende Männer, von denen einer eine altmodische Laterne in Händen hält, starren auf etwas außerhalb des Bilderrahmens.

Luis Sartori do Vale (links) und Thom Monckton blicken in „Pendulum“ in die Ferne.
Foto: Cosmin Cirstea/Yourphotostory.dk

Die Do Vale-Professur würdigt erstmals den Zirkus auf der gleichen Ebene wie die anderen darstellenden Künste, etwa Theater und Tanz. Warum wurde ihm diese Ehre zuteil?

„Luis hat mit zwei international recht namhaften Kompanien zusammengearbeitet, darunter der Kompanie Nuua, die er mit dem Jongleur Olli Vuorinen gegründet hat“, erläutert Nevalainen. Sie wurden auf europäischer Ebene anerkannt, als sie noch sehr jung waren. Dann gründete Luis seine eigene Kompanie, Portmanteau.

„Er ist sehr wissbegierig, mit allem Möglichen zu arbeiten, von neuartiger Zauberkunst über Objektmanipulation bis hin zu visueller Kunst, wobei er häufig Elemente der visuellen Erzählung darin einbindet. Seine Stärken liegen im Dialog zwischen verschiedenen Kunstformen und darin, Jonglage in andere Erzählformen zu bringen.“

Neben Körpertheater, Akrobatik und Zauberkunst, kommen bei do Vale in seinen Aufführungen auch Bogenschießen, Zeichnen, Fotografie, Live-Video, Trommeln, Tanzen und Rollschuhlaufen vor.

„Ich bin jedoch daran interessiert, diese technischen Fähigkeiten als Ausdrucksmittel und nicht so sehr als Virtuosität zu erkunden“, sagt er. „Mein Ziel ist es, das Publikum dazu einzuladen, die Vorstellung auf der Basis ihrer eigenen persönlichen Erfahrungen zu interpretieren und in sich zu fühlen.“

Von Wif Stenger, März 2024