Der Architektur- und Designkritiker der Financial Times, Edwin Heathcote, hat das Dance House Helsinki als „eine Reihe von Räumen voller Power und Potenzial“ bezeichnet“, so wie man es sich wünschen würde“.
Das Dance House Helsinki ist in einem neuen Anbau untergebracht, der sich an die „Kabelfabrik“ im westlich der Innenstadt gelegenen Viertel Ruoholahti angliedert. Obwohl sie ihren ursprünglichen, industriellen Namen behalten hat, handelt es sich schon seit Jahrzehnten um eine Kulturfabrik, ein kulturelles Zentrum, das u.a. mehrere Museen und eine Vielzahl anderer kultureller Organisationen beherbergt.
Außer dem Bau der neuen Erweiterung wurde auch ein Bereich zwischen zwei Flügeln der Kabelfabrik verglast, wodurch ein luftiges Foyer entstand, das heute als Eingangshalle und Treffpunkt dient.
Neue Chancen für Zuschauer und Künstler
Das Schmuckstück des neuen Haus des Tanzes ist der Erkko-Saal (benannt nach der Jane und Aatos Erkko Stiftung, eine bedeutende Geldgeberin). Der speziell für Tanzaufführungen konzipierte Raum verfügt über eine ebenerdige Bühne und bietet bis zu 700 Personen Platz.
„Ich liebe die steile Sitzanordnung, weil man dadurch jeden Künstler sehen kann“, sagt der finnische Tänzer und Choreograf Tero Saarinen. „Die Intimität bleibt erhalten, auch wenn man in der letzten Reihe sitzt.“ Er ist künstlerischer Leiter der Tero Saarinen Company, einer der führenden Tanzensembles Europas.
Die Tanzkompanie ist Programmpartner des Dance House Helsinki. „Sowohl unsere Künstler als auch unser Publikum wurden durch die neuen Aspekte und den Auftrieb, den die neue Räumlichkeit mit sich brachte, regelrecht inspiriert“, sagt Saarinen im Rückblick auf das erste Jahr an diesem Ort.
Zu den Partnern des „Tanssin Talo“, wie das Haus des Tanzes auf Finnisch heißt, gehören auch Cirko (das Zentrum für neuen Zirkus), das Tanztheater Hurjaruuth („Tanz- und Zirkusvorstellungen für Kinder und Erwachsene“) und Zodiak (das Zentrum für zeitgenössischen Tanz). Überdies gibt eine breitgefächerte Palette anderer Gruppen und Festivals dort Veranstaltungen. Sie alle experimentierten mit den Möglichkeiten, die der neue Saal ihnen bietet. Neben dem Erkko-Saal verfügt der Komplex auch über den Pannu-Saal mit 235 Sitzplätzen.
Gelebter Traum
„Räumlichkeiten, die dem Tanz gewidmet sind, sind ein Traum, von dem die Tänzer jahrzehntelang geträumt haben“, sagt Mikael Aaltonen, Spielplanleiter des Dance House Helsinki. Der Gedanke an ein finnisches Tanzzentrum ist zwar nicht neu – man kann ihn bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen –, aber er fügte sich schließlich zusammen und erreichte Ende der 2000er Jahre die entscheidende Wende. 2010 wurde eine Vereinigung gegründet, die „die Schaffung eines ausreichenden Ortes für Tanzkunst und Tanzkultur in Helsinki fördern sollte“, so Aaltonen.
Aufführungsorte von Weltrang, wie das Opernhaus in Helsinki, in der auch das Finnische Nationalballett beheimatet ist, gibt es finnlandweit. Allerdings sind nicht alle Veranstaltungsorte für Tanz- und zeitgenössische Zirkusproduktionen ideal.
„Es ist einzigartig, dass ein neues Gebäude für den Tanz konzipiert und gebaut worden ist“, stellt Aaltonen fest. Der Zeitpunkt war wohlmöglich nicht ganz zufällig: In den späten 2000er Jahren beobachteten die Helsinkier die Baufortschritte des großen neuen Musikzentrums, das 2011 eröffnet wurde. Das mag zusätzliche Gedankenanstöße geliefert haben.
Es ist auch dein Haus
„Finnland hat zu Recht viel in Einrichtungen für Musik, Sport und Literatur investiert, aber es war an der Zeit, auch eine für den Tanz zu bauen“, sagt Saarinen. „Ich kann mir nur annähernd vorstellen, welcher Identitätsschub für die kommenden Generationen von Tanzschaffenden dadurch hier in Finnland ausgelöst wird.“
Ein Mitglied der Tero Saarinen Company ist Natasha Lommi, die eine umfangreiche Karriere als Tänzerin, Choreografin und Unterrichtende vorzuweisen hat. Sie spricht auch die Zukunft des Tanzes an.
Für sie ist Dance House Helsinki „ein Ort, an dem junge Menschen und junge Tänzer sowie Menschen, die davon träumen, Tänzer zu werden, erleben, dass dies ein Ort für alle ist“, sagt sie. „Ich habe meinen Schülern erklärt, dass das auch ihr Haus sei.“
Ereignisreicher Spielplan
Das erste Aufführungsjahr legte dar, was ein maßgeschneiderter, zentraler Ort für den Tanz zu Finnland und seiner Hauptstadt beisteuern kann. Die Besucherzahlen beliefen sich auf insgesamt 56.000, obwohl zwei Monate im Programmplan wegen der Covid-19-Beschränkungen abgesagt werden mussten. Dance House Helsinki stellte eine Vielzahl in- und ausländischer Choreografen vor und ermöglichte dadurch eine neue Vernetzung mit internationalen Künstlern.
Aus Deutschland kamen das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch mit dem Monumentalballett „Vollmond“ nach Helsinki und die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker, die in ihrem „ Mystery Sonatas/for Rosa“ zeitgenössische Choreografie mit Barockmusik verband. Das Koreanische Nationalballett brachte „Vortex“ zur finnischen Erstaufführung, das Tero Saarinen bereits 2014 für das Ballett choreografiert hatte.
„Matriarchy“, eine Performance unter der Regie von Pauliina Feodoroff, befasste sich mit Themen, die nicht nur für das indigene Volk der Sámi von Bedeutung sind, sondern auch für alle anderen. (Das weit im Norden gelegene Heimatland der Sámi ist durch die Grenzen zu Finnland, Schweden, Norwegen und Russland viergeteilt.)
Im Gründungsjahr des Dance House Helsinki veranstaltete das Tanztheater Hurjaruuth dort seinen klassischen Winterzirkus, und Zodiak produzierte im Haus des Tanzes zahlreiche Events, darunter das zehntägige Side Step Festival.
Schrankenlos
Für viele der Produktionen, wie die von Zodiak und der Tero Saarinen Company, sind eine Reihe von Pay-what-you-can-Tickets erhältlich. Jeder kann es sich also leisten, eine Aufführung zu besuchen.
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels befindet sich das Dance House Helsinki bereits in seinem zweiten Jahr mit einem Programm, das die innovative Akrobatik der australischen Zirkusgruppe Gravity and Other Myths umfasst, den Flamenco-Superstar Rocío Molina, die Frühlingsgala der Ballettschule des Finnischen Nationalballetts, einen Besuch des Lyoner Opernballetts und mehrere Produktionen der Tero Saarinen Company.
„Silentopia“, eine finnische, interdisziplinäre Aufführung des Sivuun Ensembles, beschäftigt sich mit der Ökokrise, und dabei treten nicht nur Musiker und Tänzer, sondern auch Wissenschaftler auf.
Dialog mit der Tanzszene
Ebenfalls auf dem Kalender stehen zwei Produktionen von Sparks, einem künstlerischen Entwicklungsprojekt des Dance House Helsinki, das von der Finnischen Kulturstiftung unterstützt wird. Es bietet finnischen Tanzkünstlern Mittel für Forschungen, Künstlerresidenzen und Produktionen.
Elina Pirinen wird „Mortal Tropical Dances“ uraufführen, die „durch Tanz, Spiel, Gesang und Beten aus lauter Energie, Sex, Hoffnung, Wahnsinn, tiefer Freude, Leiden, Humor, Vorstellungskraft, Wärme und Trost heraus eine intensive Beziehung zum Publikum aufbauen“, so die Online-Beschreibung. Kaisa Nieminen und Marika Peura heben „down below things shudder“ aus der Taufe, das „über die Potenzialität des Tanzens fantasiert – rollende Wellen, zuverlässige Körper, der Wunsch, überbordend zu tanzen.“
Aaltonen nennt Sparks „eine großartige Gelegenheit, der Öffentlichkeit interessante finnische Künstler vorzustellen“. Er spricht davon, „einen Dialog mit der finnischen Tanzszene herzustellen“.
Dynamische Tanzszene
Saarinen sagt, er sei „stolz auf (Finnlands) vibrierende Tanz-Community“ und freue sich über all die Truppen, die aus dem Ausland kommen. „Helsinki ist schon jetzt eine der aufregendsten Tanzstädte Nordeuropas und dank des Dance House Helsinki in Zukunft ein noch wichtigerer Hub“, so Saarinen.
„Ich hoffe, dass zahlreiche unterschiedliche Tanzschaffende verschiedener Generationen diese Räume betreten und unseren Geist in Erstaunen versetzen und vertiefen, was Tanz sein kann.“
Von Emma De Carvalho, April 2023