Er friert, ist übermüdet. Um ihn herum ist alles schwarz. Es ist drei Uhr nachts. Thomas Kast steht auf einer schneebedeckten Waldlichtung, irgendwo, wo sich Hasen und Füchse Gute Nacht sagen, und wartet auf die Nordlichter, die man auch Aurora Borealis nennt.
Das Thermometer zeigt minus 18 Grad. Kasts Augen suchen den Nachthimmel ab. Seine Kamera zeigt erste Erfrierungserscheinungen. Seit Stunden steht er da in der Kälte und hofft auf den magischen Moment. Seine Passion: Nordlichter.
Der 38-jährige Thomas Kast kommt aus dem Raum Karlsruhe und lebt seit dem Jahr 2000 in Finnland. Er arbeitet bei einem großen Mobilfunkkonzern in Oulu, eine Universitätsstadt mit 190 000 Einwohnern rund 200 Kilometer südlich des Polarkreises. Er war aus beruflichen Gründen nach Finnland gezogen und fand dann hier nicht nur seine große Liebe, sondern auch seine große Leidenschaft.
Kamera, Stativ, Ersatzakkus, Taschenlampe, Thermosflasche mit Tee – viel mehr braucht er nicht, wenn er sich nachts auf den Weg macht. Drei, vier Lagen Kleidung und warme Schuhe natürlich.
„Das Schlimmste sind die kalten Finger“, sagt Kast, denn die kleinen Knöpfe an der Kamera lassen sich nicht mit dicken Thermohandschuhen bedienen.
Atemberaubende Streifzüge
Zuvor studiert der Nordlicht-Verrückte wieder und wieder verschiedenste Auroravorhersagen im Internet. Ein Gewirr von Tabellen, Grafiken, Zahlen, die es zu entschlüsseln und zu kombinieren gilt. Geomagnetische Felder, Aktivität der Sonnenoberfläche, Windgeschwindigkeiten und vieles mehr spielen eine Rolle bei der Beurteilung. Und man braucht Geduld und wenn möglich absolute Dunkelheit. Schon allein Straßenlaternen behindern eine gute Sicht.
„Und dann muss ja auch noch das Wetter mitspielen. Vor Kurzem waren unglaublich starke Auroras vorhergesagt, aber was nützt das, wenn hier in Oulu der Himmel von Wolken verhangen ist. Keine Chance auf Nordlichter.“
Manchmal nimmt Thomas Kast Hunderte Kilometer in Kauf, um irgendwo weiter im Norden Finnlands wolkenfreien Himmel zu bekommen. Um sie einzufangen: die Faszination Nordlichter. In über 60 kalten Nächten entstanden so Hunderte, ja Tausende Fotos, aus denen Thomas Kast ein Zeitraffervideo „Aurora: Queen of the night“ gemacht hat.
Lange Belichtungszeit
Nordlichter lassen sich nicht leicht filmen. Es braucht die lange Belichtungszeit eines Fotoapparates, um sie festzuhalten. „Unser menschliches Auge ist in dieser Hinsicht der Technik weit überlegen“, sagt Kast.
Was als nettes Hobby begann, nimmt mittlerweile immer mehr Raum in seinem Leben ein. Er schreibt einen Blog, hat einen Kalender mit seinen Fotos herausgegeben, bietet Nordlichtreisen für Touristen an.
Das Tietomaa in Oulu, das erste Wissenschaftszentrum des Landes, hat nun seinen vierminütigen Nordlichtfilm angekauft und zeigt ihn auf einer 8 x 4 Meter großen Leinwand. „Damit wird ein lang gehegter Wunsch Wirklichkeit“, sagt Sampo Puoskari, Liaison Coordinator beim Tietomaa.
„Schon seit einigen Jahren wollten wir eine Sonderausstellung zum Thema Nordlichter machen. Nordlichter hier aus der Region. Das ist uns wichtig. Zusammen mit dem Film, für den wir einen eigenen Raum im 45 Meter hohen Turm des Zentrums eingerichtet haben, ist es nun endlich gelungen.“
Sprachlos vor Ehrfurcht
Kast steht vor der großen Leinwand in dem ansonsten vollständig abgedunkelten Raum und schaut fasziniert auf seine Time-Lapse-Sequenzen. Seine Augen leuchten.
„Es ist ein sehr erhebendes Gefühl, seine eigenen Bilder in dieser überdimensionalen Größe zu sehen. Ich hoffe, ich kann so auch etwas von der Faszination der Nordlichter weitergeben. Die Menschen anstecken, dass sie sie mal mit eigenen Augen sehen wollen.“
Denn das sei immer noch magisch für ihn. Wenn er mit eigenen Augen die Lichter über den Nachthimmel tanzen sieht. Kälte und Müdigkeit sind dann vergessen. „Manchmal werde ich sprachlos vor Ehrfurcht, so überwältigend ist es.“ Nein, langweilig werde ihm das sicher nicht. „Es ist jedes Mal anders. Jedes Mal faszinierend.“
Deshalb jagen manche Menschen den Nordlichtern hinterher
Fotos: Thomas Kast/Salamapaja
Von Tarja Prüss