Finnlands neue Regierung streckt ihre Fühler aus

Ein Politreporter prognostiziert, was Finnlands neue Regierungskoalition eventuell erreichen oder nicht erreichen kann.

Unto Hämäläinen, politischer Berichterstatter der größten finnischen Tageszeitung „Helsingin Sanomat“ prognostiziert, was Finnlands neue Regierungskoalition eventuell erreichen oder nicht erreichen kann.

Die finnischen Parlamentswahlen fanden am 19. April statt. Unmittelbar danach begannen zwischen den Parteien die Verhandlungen über die Zusammensetzung des neuen Kabinetts. Am 29.Mai wurde schließlich die neue Regierung ernannt.

Sie besteht aus drei Mitte-rechts-Parteien: der konservativen Zentrumspartei, der populistischen „Die Finnen“-Partei und der gemäßigt konservativen Nationalen Sammlungspartei. Sie stellen auch die größten Parteien im Parlament dar.

Das Zentrum und die Sammlungspartei sind alte und erfahrene Regierungsparteien, während „Die Finnen“ erstmals Regierungsmitglieder sind. Die Regierung bildet ein starkes Mehrheitskabinett, da es mit seinen drei Parteien im Parlament 124 von 200 Sitzen auf sich vereinen kann.

Game of Thrones – Das Spiel der Throne

Die neuen Kabinettsmitglieder laufen auf ihrem Weg zu einer Pressekonferenz am gelben Helsinki-Sightseeing-Schiff vorbei.

Die neuen Kabinettsmitglieder laufen auf ihrem Weg zu einer Pressekonferenz am gelben Helsinki-Sightseeing-Schiff vorbei.Foto: Antti Aimo-Koivisto/Lehtikuva

Ministerpräsident Juha Sipilä, der Vorsitzende des Zentrums, sitzt zum ersten Mal im Kabinett. Er wurde 2011 neu ins Parlament und ein Jahr später bereits zum Parteichef gewählt. Der 54-Jährige war zuvor als Unternehmensleiter und Unternehmer in der IT-Branche tätig.

Die Zentrumspartei hatte die Wahlen haushoch gewonnen und 49 Sitze ergattert. In den vorigen Wahlen kam die Partei dagegen nur auf 35 Sitze. Mit einem Verlust von 16 Sitzen hatte sie eine Wahlniederlage erlitten und saß deshalb ab 2011 auf der Oppositionsbank.

Diese teilte sich das Zentrum vier Jahre lang mit der „Die Finnen“-Partei, die 2011 bei den Parlamentswahlen mit 39 Sitzen – ein Zugewinn von nicht übersehbaren 34 Sitzen – den größten Wahlsieg davongetragen hatte. In der Wahlgeschichte Finnlands bedeutete das einen außergewöhnlich hohen Sieg. Dennoch verblieb die Partei in der Opposition, weil sie sich der Unterstützung Griechenlands und Portugals durch die Mitgliedsländer der Eurogruppe entschieden widersetzte.

Bei den Parlamentswahlen in diesem Frühjahr konnten „Die Finnen“ ihren Wählerrückhalt behaupten und 38 Sitze erringen. Neuer Außenminister ist nun Timo Soini, der 18 Jahre lang den Parteivorsitz geführt hat. Die Sammlungspartei, die dritte Koalitionspartei, die noch im vorigen Parlament und Kabinett die führende Partei darstellte, musste mit einem Verlust von sieben Sitzen bei den diesjährigen Wahlen eine schmerzliche Schlappe einstecken. Sie verfügt derzeit über 37 Sitze.

Trotz der Wahlniederlage ist die Sammlungspartei weiterhin Koalitionspartner. Ihr Vorsitzender, der ehemalige Ministerpräsident Alexander Stubb, wechselte in der neuen Regierung zum Finanzminister über.

Die Wahl der Gratwanderung

Ministerpräsident Juha Sipilä (Mitte), flankiert von Außenminister Timo Soini (rechts) und Finanzminister Alexander Stubb gibt das neue Kabinett bekannt.

Ministerpräsident Juha Sipilä (Mitte), flankiert von Außenminister Timo Soini (rechts) und Finanzminister Alexander Stubb gibt das neue Kabinett bekannt.Foto: Antti Aimo-Koivisto/Lehtikuva

Sipiläs Regierung betont nachdrücklich die Kontinuität der Außen- und Sicherheitspolitik. Finnland bleibt ein bündnisloses Land, möchte sich aber die Möglichkeit offenhalten, eine Mitgliedschaft in der NATO anzustreben. Die militärische Kooperation zwischen Finnland und Schweden soll ausgebaut werden. Die Beziehungen zu Russland sollen aufrechterhalten werden. Finnland befürwortet jedoch die gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union und ist bereit, sie fortzusetzen.

Infolge des Kriegs in der Ukraine wird die Sicherheitslage im Ostseeraum als sich verschlechternd eingeschätzt. Sie soll daher in der Legislaturperiode der Regierung genauer unter die Lupe genommen werden.

Und so heißt es denn auch im Regierungsprogramm: „Die Regierung wird einen außen- und sicherheitspolitischen Bericht erstellen, in dessen Rahmen auch die Auswirkungen einer möglichen NATO-Mitgliedschaft auf Finnland ausgelotet werden sollen. Darüber hinaus wird ein verteidigungspolitischer Bericht vorbereitet, in dem die verteidigungspolitischen Richtlinien für die Aufrechterhaltung, Entwicklung und den Einsatz der Verteidigungsfähigkeit formuliert werden sollen.“

Das Regierungsprogramm zur europäischen Politik enthält unter anderen drei besonders wichtige Stellungnahmen:

1) Die Europäische Union soll sich auf die relevantesten Fragen konzentrieren; es ist nicht notwendig, die Integration in allen politischen Bereichen zu vertiefen.

2) Die Regierung vertritt eine ablehnende Haltung, was die Erhöhung von Finnlands Verantwortung in der Eurokrisenunterstützung betrifft.

3) Die EU stellt für Finnland eine wichtige Sicherheitsgemeinschaft dar. Finnland unterstützt einen Ausbau der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU und eine Reform der Sicherheitsstrategie der Union.

Die Vornahme von erheblichen Einsparungen

Eine Ansammlung von 14 soeben vereidigten Ministern versucht sich, für ein Gruppenfoto zu ordnen und zu lächeln.

Eine Ansammlung von 14 soeben vereidigten Ministern versucht sich, für ein Gruppenfoto zu ordnen und zu lächeln.Foto: Antti Aimo-Koivisto/Lehtikuva

Mitten in den Regierungsverhandlungen erhielt Finnland schlechte Nachrichten von der EU-Kommission, die damit rechnet, dass die finnische Wirtschaft im nächsten Jahr nur ein Prozent wachsen wird, während die übrige Eurozone 1,9 Prozent zulegen wird. Schon das vierte Jahr in Folge vermindern sich Investitionen in Finnland.

Die Kommission ist der Ansicht, dass Finnland die Schulden- und Defizitkriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht mehr erfüllen könne. Das Haushaltsdefizit werde voraussichtlich das Drei-Prozent-Limit überschreiten. Auch der Anteil der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt werde sich auf mehr als 60 Prozent erhöhen.

Die neue Regierung plant, die Staatsfinanzen mit rigorosen Maßnahmen zu sanieren. Sie hat bereits Einsparungen von vier Milliarden Euro beschlossen, die den gesamten öffentlichen Sektor, mit Ausnahme der Landesverteidigung, betreffen. Erhebliche Einsparungen werden u.a. im Sozial- und Gesundheitswesen, im Bildungswesen und in der Unternehmensförderung vorgenommen werden.

Neben diesen Einsparungen droht die Regierung mit zusätzlichen Kürzungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, falls es ihr im Sommer 2015 nicht gelingen sollte, einen sogenannten „Gesellschaftsvertrag“ mit den Arbeitsmarktorganisationen zu schließen. Sie will die Sozialpartner davon überzeugen, u.a. einer verlängerten Arbeitszeit ohne Lohnerhöhungen zuzustimmen, womit in der Praxis Löhne und Gehälter gesenkt würden.

Nach Schätzung der Regierung hat Finnlands Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den wichtigsten Wettbewerberländern um 10-15 Prozent nachgelassen. Deshalb ließen sich finnische Produkte auf den Weltmärkten nicht verkaufen.

Die Arbeitnehmerverbände haben der Regierung einseitige Erpressung vorgeworfen. Der gleichen Ansicht ist auch die „rot-grüne“ Opposition, die sich aus den beiden Linksparteien, der Sozialdemokratischen Partei und dem Linksbündnis, sowie den Grünen zusammensetzt.

Ein langer Sommer

Mit einem Lächeln weicht Ministerpräsident Juha Sipilä einigen Journalisten aus.

Mit einem Lächeln weicht Ministerpräsident Juha Sipilä einigen Journalisten aus.Foto: Martti Kainulainen/Lehtikuva

SDP-Vorsitzender Antti Rinne, der Finanzminister der vorherigen Regierung, erklärte in der Parlamentsdebatte zum Regierungsprogramm, dass Juha Sipiläs Regierung den sozialen Frieden gefährde, indem sie Familien mit Kindern, Studenten, Rentnern und Arbeitslosen mit empfindlichen Kürzungen drohe, falls Lohn- und Gehaltssenkungen oder der Erhöhung der Arbeitszeit nicht zugestimmt werden sollte.

Der Parteichef der Grünen und frühere Umweltminister, Ville Niinistö, und der Vorsitzende des Linksbündnisses und Kulturminister im vorigen Kabinett, Paavo Arhinmäki, warfen den Regierungsparteien vor, ihre Wahlversprechen nicht eingehalten zu haben. Alle Parteien hätten vor den Wahlen verkündet, den Bildungshaushalt nicht zu beschneiden. Nun würde dieser aber dennoch gekürzt.

Finnlands Wirtschaftsschwierigkeiten stießen auch auf akademisches Interesse. Der mit einem Nobelpreis ausgezeichnete US-Ökonom Paul Krugman schrieb um die Mai-Juni-Wende in seinem Blog, der in der New York Times erscheint, zwei Einschätzungen zur finnischen Wirtschaft.

Laut Krugman liegt der Hauptgrund für Finnlands wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Gemeinschaftswährung, dem Euro. Der Euro sei zu Finnlands „Zwangsjacke“ geworden, der die Rückkehr der finnischen Wettbewerbsfähigkeit durch eine Abwertung der Währung verhindere.

Krugman erinnerte in seinem Schreiben daran, dass Finnland zu Beginn der 1990er Jahre (als sich Finnland ebenfalls in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand) die damalige finnische Mark abgewertet hatte und es dem Land dadurch rasch gelang, seine Wettbewerbsfähigkeit wieder zu verbessern. Da Finnland über keine eigene Währung mehr verfüge, bleibe der einzige Weg, um seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, eine interne Abwertung, also die Senkung der Löhne und Gehälter, prognostizierte Krugman.

Es ist wahrscheinlich, dass der neuen Regierung ein schwieriger, erster Sommer bevorsteht. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum 21. August einen Gesellschaftsvertrag auf die Beine zu stellen. Zum Zeitpunkt meines Artikels Anfang Juni erscheint eine Einigung sehr schwierig.

Von Unto Hämäläinen, Juni 2015